Montag, 17. Juni 2013

Ins Auge gehen - Donnerstag, 21. Februar 2013

Jan erwachte mit einer unbändigen Wut im Bauch, als der Wecker ihn aus dem Schlaf riss. Er war gerade auf dem Weg ins Bett gewesen gestern Abend, als sein Handy aufgeleuchtet hatte und eine SMS von Lotte anzeigte. Natürlich wollte sie ihm wieder nur Vorwürfe machen, das blöde Miststück. Sie machte eine große Nummer daraus, dass er ihr Karneval versehentlich einen mitgegeben hatte. Wie sie sich zuvor aufgeführt hatte, darauf war sie natürlich nicht eingegangen. Während sein Ärger gewachsen war, war noch eine zweite SMS hinterhergekommen, als hätte sie seine Gedanken lesen können. Darin machte sie plötzlich einen auf zahmes Reh und bat um eine Aussprache. Es war doch absolut lächerlich. Wenn er so böse war, warum kam sie dann wieder angekrochen? Es ging ihr doch bloß darum, ihm Vorwürfe zu machen oder ihn dann wieder mit irgendwelchen anderen Kerlen oder sonstigen hinterfotzigen Aktionen zu verletzen. Deswegen hatte er ihr auch gar nicht erst geantwortet gestern Abend. Trotzdem hatten ihm ihre SMS die halbe Nacht seines Schlafes beraubt und nun fühlte er sich wie zerschlagen. Gegen 4 Uhr morgens, kurz, bevor er endlich eingeschlafen war, waren seine Gedanken so weit gewesen, dass er eine gewisse Versuchung empfand, ihr doch zu antworten und sich mit ihr zu treffen. Er konnte gar nicht sagen, was genau ihn an einem Treffen reizte. Vielleicht war es der Gedanke, seiner Wut Luft zu machen und ihr persönlich zu sagen, was sie für ein Miststück war. Zu sehen, dass ihr Gesicht auch ohne Make Up völlig unbeschädigt war und ihre Vorwürfe aus der Luft gegriffen und lächerlich. Vielleicht wollte er es ihr auch klarmachen, ihr zeigen, dass sie ihn doch brauchte, auch wenn sie mit ihrem arroganten Gehabe an Karneval kläglich versucht hatte, ihm das Gegenteil zu beweisen. Er malte sich aus, wie sie zu ihm kam, er ihr klarmachte, wie lächerlich und aufgesetzt ihr Verhalten war und danach über sie herfiel und sich nahm, was ihm zustand. Und zwar nur ihm und nicht irgendeinem anderen ihrer Scheißkerle, mit denen sie immer wieder versuchte, ihn eifersüchtig zu machen. Vielleicht würde sie zuerst so tun, als ob sie es nicht wolle, aber am Ende würde sie ihm dankbar sein und zu schätzen wissen, dass er es ihr besorgt hatte. Sie würde begreifen, wo sie hingehört. Hoffentlich. Er griff zu seinem Handy.

Ok, sei heute Abend um 20 Uhr bei mir. Jan

*****
Routinemäßig war Lotte einen Blick auf ihr Handy, um zu sehen, wie spät es war, als sie aus der Dusche zurück ins Schlafzimmer lief. Sie verspürte einen Schlag in die Magengrube und Aufregung stieg in ihr hoch. Eine SMS von Jan. Damit hatte sie nicht gerechnet. Zwar hatte sie natürlich ein bisschen darauf gehofft, aber nun, wo tatsächlich eine da war, verspürte sie mehr ein beklemmendes Gefühl und eine leichte Angst, als den Drang, die SMS zu öffnen. Natürlich siegte ihre Neugier trotzdem und sie tippte mit leicht zitternden Fingern auf den Touchscreen um die Nachricht zu lesen, nachdem sie sich schnell ein Shirt übergestreift hatte.
Heute Abend um 20 Uhr... es war so typisch, dass er versuchte, ihr zu befehlen, wann sie sich sehen würden, dass das Treffen nach seinen Bedingungen abzulaufen hatte, wenn er sich schon dazu herab ließ. Aber sie wusste, dass jede Diskussion zwecklos sein würde. Wenn sie etwas dagegen sagen würde, würde er sich gar nicht mit ihr treffen. Vielleicht wäre das auch besser, aber den Gedanken schob sie schnell wieder weg. 
Sie überlegte. Eigentlich musste sie heute Abend Babysitten. Der Termin stand bereits seit drei Wochen und Margit, die Mutter der Zwillinge, auf die sie aufpassen sollte, würde alles andere als erfreut sein, wenn sie so kurzfristig absagen würde. Andererseits gab ihr Auge immer noch Anlass zu unangenehmen Nachfragen und sie war sich relativ sicher, dass Margit ihr welche stellen würde, sie war genau der Typ dafür. Allein das war Argument genug, den Termin abzusagen, sie hatte keine Lust, ihr irgendeine Geschichte aufzutischen oder sich für etwas rechtfertigen zu müssen, dass hatte sie bei Doro in den letzten Tagen bereits oft genug gemusst. Sie würde gleich anrufen und Margit mitteilen, dass sie eine Augenentzündung habe und die Kinder damit nicht anstecken wolle. So war immerhin ein Fünkchen Wahrheit mit dabei und bei so einem Grund konnte sie sich auch nicht über ihren Ausfall beklagen. Es war ja auch nicht so, dass sie ständig Termine absagte. Bisher hatte sie es nur ein einziges Mal getan und damals hatte sie mit 40 Fieber und einer Sommergrippe im Bett gelegen. Sie war sonst immer zuverlässig, also konnte sie sich das heute erlauben. Sie griff zum Hörer, um Margit über ihre Augenentzündung in Kenntnis zu setzen.

*****

Ute verspürte immer noch eine unendliche Erleichterung. Die Entfernung der Zyste war ohne Komplikationen verlaufen und nach allem, was die Ärzte ihr gesagt hatten, war die Sache damit erledigt. Es gab keinen Anlass anzunehmen, dass diese Geschichte zukünftige Schwangerschaften negativ beeinflussen könnte, hatte man ihr versichert und auch sonst fühlte sie sich bestens und spürte keinerlei Nachwirkungen des Eingriffs.
Am Nachmittag wollte sie in die Stadt und sich zur Feier des Tages ein paar neue Sachen kaufen, um damit hoffentlich Lars zu beeindrucken, wenn er morgen aus Paris zurück kam.
Er hatte gar nichts mitbekommen von ihrem Krankenhausaufenthalt. Einmal hatte er angerufen aus Paris, aber glücklicherweise erst, als sie wieder zu Hause gewesen war.
Sie hatte wirklich Glück gehabt, das hätte alles auch ins Auge gehen können. Nun musste sie bloß noch eine Lösung für ihre Schwangerschaft finden...

Donnerstag, 4. April 2013

Alte Muster - Mittwoch, 20. Februar 2013

Endlich war ihr Auge soweit abgeschwollen, dass sie es wagen konnte, mit gezieltem Make Up das Haus auch wieder bei Tageslicht zu verlassen. Erst jetzt wurde Lotte wirklich klar, wie sehr sie sich eingeschränkt gefühlt hatte. Am Nachmittag hatte sie sich mit Doro auf einen Kaffee in der Stadt getroffen. Sie hatte kritisch ihr Auge begutachtet und dann auf sie eingeredet, dass sie sich nach diesem Vorfall doch jetzt wenigstens für alle Zeiten von dem Gedanken verabschiedet hätte, noch einmal in irgendeiner Form etwas mit Jan zu tun zu haben. Lotte hatte es abgenickt, aber in Wahrheit war sie sich da gar nicht so sicher. Jetzt, wo sie abends wieder alleine mit Schröder auf dem Sofa saß und versuchte, im Fernsehprogramm eine Ablenkung von den Gedanken an Lars zu finden, kamen auch wieder Gedanken an Jan auf. Es war nicht direkt so, dass sie ihn vermisste, kein Vergleich zu Lars, es war ein seltsames, kaum definierbares Gefühl. Es tat ihr weh, dass er sich gar nicht mehr gemeldet hatte nach dem Vorfall. Wenn er sich wenigstens entschuldigt hätte. Es musste ihm doch leid tun. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ihm nicht leid tat. Wenn man sich jahrelang geliebt hatte, konnten Gefühle doch nicht einfach so verschwinden. Und wenn sie ihm egal wäre, wäre er schließlich nicht so ausgerastet. Dann wäre es ihm egal gewesen, was sie vermeintlich mit anderen Männern trieb. Aber es war ihm nicht egal gewesen, er hatte sie deswegen geschlagen. Eigentlich musste er sie dann doch immer noch lieben. Aber Menschen, die man liebte, schlug man nicht. Das hatte Doro heute immer wieder gepredigt.
Andererseits war Jan teilweise durch seinen Drogenkonsum beeinflusst und nicht Herr seiner Sinne. Vielleicht konnte man ihn gar nicht voll dafür verantwortlich machen. Sie wusste, dass es das eigentlich nicht besser machte. Vorallem hätte er sich wenigstens entschuldigen können, als er wieder bei Sinnen war. Aber er hatte es nicht getan. Er würde es auch nicht tun, so oder so nicht, das wusste sie. Jan entschuldigte sich nicht. Nie. Bei niemandem. Selbst wenn es ihm leid tun sollte, würde er sich eher die Zunge abhacken, als dass er sich entschuldigen würde. Was neutral betrachtet ein weiterer Grund wäre, ihn für alle Zeiten aus ihrem Leben zu verbannen. Sie hatten sich nie gut getan. Dennoch hatte sie ein starkes Bedürfnis, sich beim ihm zu melden. Die Situation machte sie wahnsinnig, sie wollte das Geschehene nicht einfach so stehen lassen. Vielleicht konnten sie sich ja aussprechen. Vernünftig und in Ruhe. Nüchtern. Damit die Situation bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen, das zwangsläufig irgendwann passieren würde, nicht wieder völlig aus dem Ruder lief.
Eigentlich wusste sie, dass der Gedanke absurd war. Alle bisherigen Versuche, sich irgendwann einmal mit Jan zu irgendetwas auszusprechen, hatten zu vielen Dingen geführt, aber nie zu einer Klärung.
Sie erwischte sich dabei, wie sie sich an ihren Versöhnungssex erinnerte. Mit keinem hatte sie soviel Spaß im Bett gehabt wie mit Jan. Vielleicht, weil bei keinem so viele Emotionen mit dabei gewesen waren. Selbst bei Lars nicht, das war einfach etwas anderes gewesen. Man konnte die beiden überhaupt nicht vergleichen.
Sie verbot sich die Gedanken an Sex mit Jan. Wie dumm musste sie sein? Saß sie ernsthaft hier auf dem Sofa und träumte von einem Kerl, der ihr zum wiederholten Male eine verpasst hatte und sich noch nicht einmal dafür entschuldigt hatte? Ihr schmerzendes Auge sollte Mahnung genug sein.
Eigentlich ging es ihr doch nur um eine Aussprache. Sie wollte deeskalierend wirken, damit es beim nächsten Mal nicht wieder soweit kam.

Vielleicht war es auch nur das übliche Muster - wenn es mit einem Kerl zu Ende gegangen war, kam die Sehnsucht nach dem Vertrauten und damit nach Jan. Es war immer so gewesen bei ihnen, wenn sie beide frei waren, hatten sich ihre Wege wieder gekreuzt. Eigentlich primär, wenn sie frei gewesen war. Er hatte keine längere Beziehung gehabt. Wahrscheinlich hielt es niemand auf Dauer aus. Genau so, wie es mit ihnen nie auf Dauer funktioniert hatte. Und dennoch hatte es sie immer wieder zueinander hingezogen. Es war ja auch nicht alles schlecht gewesen.

Aber darum ging es ihr jetzt gar nicht. Sie wollte nur eine Aussprache, vielleicht auch eine Entschuldigung, auch wenn sie wusste, dass sie sie nicht bekommen würde. Vielleicht wollte sie auch nur Ablenkung von Lars. Die würde sie ganz sicherlich bekommen, wenn sie sich bei Jan melden würde. Ob es dadurch insgesamt besser würde, blieb dahingestellt...

Sie griff nach ihrem Handy. Schiss der Hund drauf, es musste ja niemand erfahren. Sie wusste, dass Doro ausrasten würde, wenn sie wüsste, dass sie sich bei Jan meldete.

Sie würde ihm nur eine SMS schicken, mehr nicht. Wahrscheinlich antwortete er ohnehin nicht darauf und damit hatte sich das Thema erledigt. Aber so hatte sie wenigstens für heute Abend etwas Anderes als Lars, worüber sie sich Gedanken machen konnte.

Falls es Dich interessiert - seit heute kann ich mit normalem Tages-Make Up wieder das Haus verlassen, ohne das mein Auge unangenehm auffällt.

Sie drückte auf Senden, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Direkt leuchtete die Empfangsbestätigung auf. Lotte spürte, wie ihr Magen unruhig wurde. War die SMS zu vorwurfsvoll? Würde er sich dadurch nur erneut angegriffen und provoziert fühlen? Vielleicht sollte sie noch eine hinterher schicken. Sie wollte schließlich eine Aussprache.

Jan, warum hast Du das getan? Können wir uns treffen und uns aussprechen? Ich möchte nicht, dass unser nächstes Zusammentreffen völlig eskaliert. Lass es uns vorher vernünftig klären. Lotte

Mittwoch, 3. April 2013

Aura - Dienstag, 19. Februar 2013

Ute hatte nicht gut geschlafen in dieser Nacht. Obwohl Lars sich ihr gegenüber nicht besonders liebevoll aufgeführt hatte während seiner Anwesenheit, so hatte sie es doch genossen, als er noch nicht wieder nach Paris abgereist war, sondern neben ihr im Bett gelegen hatte. Nun war sie wieder allein und neben der Tatsache, dass sie Lars vermisste, raubte ihr vorallem die Sorge vor der morgigen OP den Schlaf. Hoffentlich ging alles gut bei der Entfernung der Zyste. Sie hatte eine Wahnsinnsangst, dass die Ärzte ihr hinterher doch sagten, sie könne nun keine Kinder mehr bekommen. Das wäre neben allen anderen Sorgen das Schlimmste, was ihr passieren könnte. Auch wenn ein weiteres großes Problem natürlich darin bestand, wie sie Lars beibringen sollte, dass das vermeintliche Baby gar nicht unterwegs war, ohne dass er sie sofort verlassen würde.
Manchmal hatte sie sich in den letzten Tagen schon gefragt, warum sie ihn überhaupt halten wollte. Er hatte sich neutral betrachtet vermutlich ziemlich unmöglich ihr gegenüber aufgeführt, aber trotzdem liebte sie ihn über alles und die Vorstellung, er könnte sie verlassen und am Ende gar mit dieser Charlotte eine Familie gründen, tat ihr unerträglich weh. Da nahm sie lieber seine aktuellen Launen in Kauf. Ganz sicher würde es bald wieder besser werden. Trotzdem waren die vergangenen Tage nicht angenehm gewesen für sie. Er hatte sie kaum beachtet und sich die meiste Zeit in sein Arbeitszimmer zurückgezogen oder war außer Haus unterwegs gewesen, ohne ihr zu sagen, wo er hinging oder wann er zurück sein würde. Sie hatte keine Ahnung, wo er gewesen war, ob er sich gar mit Charlotte getroffen hatte oder was er sonst getrieben haben mochte. Rein von ihrem Bauchgefühl her hatte sie allerdings nicht den Eindruck, dass er sich mit einer anderen Frau getroffen hatte. Er hatte nachdenklich und bedrückt gewirkt, nicht wie ein Mann, der auf Beutezug ging.Vielleicht hatte er einfach Zeit für sich gebraucht oder hatte austesten wollen, inwieweit sie dazu bereit war, ihm die von ihm während der Aussprache proklamierten Freiheiten zu gewähren, damit er sie nicht verlassen würde. Aus diesem Grund hatte sie es kommentarlos über sich ergehen lassen und keine Fragen gestellt. Es würde sich schon alles wieder einrenken. Aber dafür musste sie das Spielchen mitspielen und attraktiv für ihn sein. Das ging nicht, wenn sie nörgelte oder nicht bereit war, seine Bedingungen zu erfüllen. Er musste sich wohl bei ihr fühlen. So wohl, dass er das Nest nicht mehr verlassen wollte, wenn er erfuhr, dass er vorerst nicht Vater würde. Aus diesem Grund hatte sie ihn neben ihrem Schweigen auch verwöhnt, soweit es ihr möglich war. Sie hatte seinen Lieblingskäse gekauft, den er auch genussvoll verzehrt hatte, wie sie beim Frühstück beobachten konnte, auch wenn er kein Wort darüber verloren hatte. Außerdem hatte sie nur gekocht, was er gerne mochte und auch das würde er zur Kenntnis genommen haben, auch wenn er ebenfalls nichts darüber geäußert hatte.
Außerdem wollte sie sich die Haare wieder wachsen lassen und sie hatte sich ein paar Modezeitschriften besorgt, um an ihrem Kleidungsstil zu arbeiten. Bis Lars am Freitag kam, wollte sie sich schon ein oder zwei neue Sachen besorgt haben. Entweder musste sie sich heute darum kümmern oder hoffen, dass das nach der OP kein Problem darstellen würde.
Sie fragte sich, was für Unterwäsche Charlotte wohl trug. Ihr war klar, dass ihre eigene Auswahl eher zweckmäßig als erotisch war und dass ihre bisherigen Versuche, Lars mit erotischen Unterwäschekäufen zu beeindrucken, eher mäßig erfolgreich gewesen waren. Aber worauf in aller Welt stand er nur? Sie hatte verstohlen einige der Playboys, die er in seinem Arbeitszimmer hütete, durchgeblättert in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden, aber alles, was sie darin sah, würde an ihr vollkommen lächerlich aussehen, da war sie sich sicher.
Sie versuchte, sich Charlotte in Unterwäsche vorzustellen. Sie war doch auch keines dieser Modepüppchen. Natürlich, ab und an sah man sie mal aufgebrezelt, aber das war selten der Fall, in der Regel wirkte sie nicht einmal unbedingt so, als würde sie besonders viel Zeit auf ihr Äußeres verwenden, sondern als würde sie sich einfach das Erstbeste anziehen, was ihr aus dem Kleiderschrank entgegenstürzte und dann im Rausgehen noch zweimal kurz durch die Haare bürsten. Trotzdem sah sie unbestritten attraktiv damit aus, auf jeden Fall attraktiver, als sie selbst es auch mit viel Mühe in der Regel aussah. Sie fragte sich, woran das lag. War es vielleicht nur eine Art besonderer Stil und in Wahrheit verschwendete dieses Biest doch jede Menge Zeit auf ihr Äußeres und ließ es nur so aussehen, als täte sie es nicht? So etwas gab es, das hatte sie in diversen Frauenzeitschriften gelesen, aber irgendwie konnte sie es sich nicht vorstellen. Daran, dass Charlotte eine klassische Schönheit wäre, die einen Müllsack tragen konnte und selbst darin noch gut aussah, konnte es auch nicht liegen. Sie war zwar nicht hässlich, aber eine klassische Schönheit war sie ganz sicher auch nicht und Ute hatte sie oft genug an der Uni gesehen und sich gefragt, warum Lars sich ausgerechnet mit ihr eingelassen hatte. Nein, Charlotte gehörte nicht zu den Frauen, die einfach immer gut aussahen. Aber was zum Teufel war es dann, was Charlotte hatte, das sie nicht hatte?
Wieder versuchte sie, sich Charlotte in Unterwäsche vorzustellen. Sie sah genau vor ihrem inneren Auge, wie Lars nach ihr geiferte, wie er sie begehrte, wie er es bei ihr selbst nie im Leben getan hatte. Die Vorstellung brachte sie fast um, so realistisch spielte sich dieser Film vor ihrem inneren Auge ab. Und dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, was Charlotte dabei trug.
Lag es vielleicht gar nicht daran? Kam es am Ende gar nicht darauf an? Wieder ließ sie die Szene vor ihrem inneren Auge ablaufen. Es war Charlottes Auftreten, dass sie so neidisch machte. Diese selbstsichere, stolze Haltung, der trotzige Gesichtsausdruck und der stolze Blick, mit dem sie Lars begegnete. Es wirkte, als könne er dankbar sein, sie überhaupt begehren zu dürfen. Plötzlich begriff Ute es. Es war ihre Aura, ihr Auftreten. Es war völlig egal, was sie anhatte, weil sie es in diesem Moment ausstrahlte. Sie hatte keine Ahnung, ob es auch nur ansatzweise der Realität entsprach, was gerade vor ihrem inneren Auge abgelaufen war oder ob Charlotte Lars vielleicht als Duckmäuserin in Blümchenwäsche den Verstand raubte. Sie hatte ihr in diesem Film die Eigenschaften zugeschrieben, die Lars ihr gegenüber an den Tag legte, das wurde ihr gerade bewusst. Er verhielt sich ihr gegenüber so stolz, als müsse es ihr eine Ehre sein, ihn begehren zu dürfen und ganz offensichtlich zog es ja bestens bei ihr. Und nicht nur bei ihr. Lars war tatsächlich generell ein Meister dieser Kunst. Er gab mit seiner Haltung und seiner Art eigentlich allen Menschen zu verstehen, dass sie dankbar sein durften, ihn verehren zu dürfen und dass es eine Ehre war, dass er sich überhaupt mit ihnen abgab.
Sie dachte an die Abende im Golfclub, wo alle an seinen Lippen hingen. Ja, genau das war es, was er ausstrahlte, das war seine Taktik. Und es funktionierte perfekt. Sie fragte sich, ob es andersherum auch funktionieren würde. Musste sie ihm das Gefühl vermitteln, dass es eine Ehre war, sie haben zu dürfen? War es das, was er suchte und bei Charlotte gefunden hatte? Sie hätte alles gegeben zu wissen, wie die beiden miteinander umgingen. Sie konnte Charlotte nicht einschätzen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich ihm als das kleine brave Mädchen präsentierte, das zu allem ja und Amen sagte. Und war es nicht genau das, was sie selbst immer tat?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und die Vorstellung, wie Charlotte sich wohl Lars gegenüber verhielt, wie sie war, wie viele Gedanken sie auf ihr Äußeres verwendete und letztenendes auch, was für Unterwäsche sie trug, machten sie fast wahnsinnig. Sie musste unbedingt mehr über sie erfahren, damit sie wusste, was sie verändern musste. Sie wollte wissen, wer diese Frau war, die ihr um ein Haar den Mann geraubt hätte und wie sie tickte.
Sie beschloss, erneut ihr Glück über das Internet zu versuchen. Sie würde ihren Facebook-Account und die ihrer Freunde noch einmal gezielter nach Informationen über Charlotte durchsuchen. Und sie würde sie googeln. Vielleicht fand sie darüber ja noch etwas Neues. Sie startete den Laptop und holte sich einen Notizblock und einen Stift, um sich wichtige Stichpunkte notieren zu können. Kurzfristig kam ihr der Gedanke, wie erbärmlich das alles eigentlich war, aber sie schob ihn ganz schnell wieder beiseite. Tiefer als eine Schwangerschaft vorzutäuschen konnte sie ohnehin nicht mehr sinken, dachte sie verbittert und schlug den Notizblock auf.

*****

Alexandrine fragte sich, was das wohl für ein Typ war, der gerade ihr Bett und danach ihre Wohnung verlassen hatte. Sie hatten sich gestern Abend in einem Club kennengelernt, er hatte sie massiv angebaggert und zuerst hatte sie ihn abblitzen lassen, aber dann hatten sie sich später in der Bar nebenan wiedergetroffen, wo er mit seinem Freund noch auf einen Absacker gewesen war und sie mit ihrer Freundin. Schließlich hatte sein Freund sich verabschiedet und er war alleine an der Bar sitzen geblieben. Er hatte zutiefst deprimiert ausgesehen und irgendwie gewirkt wie ein einsamer Wolf. Plötzlich hatte Alexandrine ihn hochgradig attraktiv gefunden, wie er da gesessen hatte mit seinem kantigen Profil und als ihre Freundin gehen wollte, hatte sie gesagt, sie würde doch noch zu dem Typen hinübergehen. Sie waren die letzten Gäste gewesen und sie hatte sich neben ihn an die Bar gesetzt. Er hatte sie zunächst ignoriert, womit sie nicht gerechnet hatte und gerade, als sie hatte aufstehen wollen um wieder zu gehen, hatte er sich doch noch zu ihr herübergedreht, gegrinst, die Augenbraue hochgezogen und sie gefragt, ob sie sich eines Besseren besonnen habe und nun doch noch einen Drink mit ihm nehmen wolle. Sie hatte genickt und er hatte für sie beide einen Whiskey bestellt. Der Wirt hatte erklärt, dies sei die letzte Runde, dann würde er schließen und Lars, so hatte er sich ihr vorgestellt, hatte sie ohne Umschweife gefragt, ob sie sich danach mit einem Kaffee bei sich zu Hause revanchieren würde. Sie war perplex gewesen, dass er tatsächlich so dreist war, nachdem sie ihn vorher im Club hatte abblitzen lassen, nun direkt wieder zum Angriff zu blasen und erst gar nicht drumherum zu reden. Neben einer gewissen Melancholie, die immer noch auf seinem Gesicht lag, leuchtete nun deutlich die Fleischeslust in seinen Augen. Alexandrine hatte nicht widerstehen können und so hatte sie ihm gesagt, er könne auf einen Kaffee mitkommen, wenn er ihr dann verraten würde, ob er so deprimiert geschaut hätte, weil sie ihn hätte abblitzen lassen oder was ihm sonst so wirken ließ, als könne er Aufheiterung gebrauchen. Daraufhin hatte er erwidert, wenn sie im Anschluss für die notwendige Aufheiterung sorgen würde, würde er ihr die Geschichte erzählen, sie würde wirken wie eine kluge Frau, die ihm vielleicht einen hilfreichen Rat geben würde und so waren sie ins Geschäft gekommen.
Tatsächlich hätte Alexandrine darauf gewettet, dass er es dabei belassen würde, zuerst den Kaffee und dann sie zu vernaschen, aber sie hatte zum Kaffee noch eine Flasche Whiskey auf den Couchtisch gestellt und ihn gefragt, was ihn bedrücke, woraufhin sie tatsächlich ins Gespräch gekommen waren. Er hatte ihr berichtet, dass er unglücklich verheiratet sei und in eine andere Frau, die seine Studentin war, verliebt sei und nun eigentlich seine Frau für die andere habe verlassen wollen, aber es sei schiefgegangen und nun wolle seine Geliebte nichts mehr von ihm wissen und es würde ihm fast das Herz brechen. Die ganze Story war völlig konfus und kurios gewesen und nachdem zwei Stunden vergangen und eine halbe Flasche Whiskey geleert waren, hatte sie ihn gefragt, warum er eigentlich mit ihr schlafen wolle, wenn er Frau und Geliebte zu Hause habe und er hatte sie völlig irritiert angesehen und dann, als sei es das Normalste von der Welt, geantwortet, das habe er immer schon so gemacht und er brauche die Abwechslung. Seine Geliebte wisse davon und für sie wäre es in Ordnung und ob sie nun nicht mehr mit ihm schlafen wolle, dann könne er es verstehen und würde sich für das gute Gespräch bedanken und gehen. Alexandrine war erneut völlig perplex gewesen, weil sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, dann hatte sie ihm erklärt, dass sie sich den Lohn für ihr Zuhören nicht entgehen lassen wolle, wer solche Abgründe und Überraschungen in sich berge, sei sicherlich auch gut im Bett und tatsächlich hatten sich nicht nur seine Worte als beeindruckend erwiesen. Mit ihren 34 Jahren hatte Alexandrine noch nie so guten Sex gehabt und auch sonst musste sie sich eingestehen, dass dieser seltsame Mann nachhaltig Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Sie fragte sich, ob seine Story wohl stimmte oder ob er sich das alles nur ausgedacht hatte und es eine Masche war. Sie konnte im Nachhinein und wieder nüchtern kaum glauben, was er ihr da alles erzählt hatte. Aber ein interessanter Mann war er, so oder so.
Als sie die Küche betrat, um sich einen Kaffee zu kochen, bemerkte sie einen Zettel auf dem Küchentisch.

Danke für das Zuhören. Ich hoffe, Du hattest auch Spaß, wenigstens hinterher. Du bist eine sehr interessante Frau. 
Eigentlich hinterlasse ich kein Spuren bei meiner Beute, aber in diesem Fall lag der Fokus denke ich auf etwas anderem. Würde mich über weitere gute Gespräche mit Dir freuen, gerne auch über Dich. Falls Du Lust hast, erreichst Du mich unter folgender Nummer, wenn ich in Paris bin: 83457207
Vielleicht bis bald,
Lars

Alexandrine musste lächeln. Ja, vielleicht bis bald. Vielleicht auch nicht. Sie würde es sich durch den Kopf gehen lassen. Sie wusste nicht, was sie von diesem Kerl halten sollte.

Nichts persönlich nehmen - Montag, 18. Februar 2013

Lars starrte auf den Bildschirm. War das jetzt ihr Ernst? Er hatte sich heute Morgen so gefreut, als er wieder nach Paris abreisen konnte und für die nächsten Tage vor Ute in Sicherheit war und hatte voller Vorfreude seine Mails geöffnet in der Hoffnung auf eine positive Rückmeldung von Charlotte und nun musste er lesen, dass er ein widerliches, egoistisches Arschloch sei. Vermutlich war sie einfach verletzt und warf ihm deswegen solche Dinge an den Kopf. Das konnte sie nicht ernst meinen. Frauen waren in dieser Hinsicht wahrscheinlich doch nicht viel anders als Männer. Utes Schwangerschaft hatte ihr vor Augen geführt, dass er mit Ute schlief und auch wenn sie eigentlich wusste, dass er mit anderen Frauen schlief, so hatte der Beweis in letzter Konsequenz ihr wohl besonders weh getan und deswegen reagierte sie nun so.
Ehrlicherweise wohl auch, weil ihre gemeinsame Zukunft erst einmal nicht so weiterging wie geplant. Wer konnte es ihr verübeln, dass sie sauer und verletzt war. Aber er war kein egoistisches Arschloch und das meinte sie nicht so. Er wollte schließlich nur das Beste für sie beide. Er durfte sich von solchen Reaktionen nicht abschrecken lassen. Wahrscheinlich würde sie noch länger widerspenstig bleiben, es war ohnehin ihre Art und er hatte sie verletzt, wie er es schlimmer kaum hätte tun können, auch wenn es nicht in seiner Absicht gelegen hatte. Nein, er musste hartnäckig bleiben und sich bewusst machen, wie er ihre Reaktionen zu werten hatte. Nichts persönlich nehmen, um Himmels Willen. Er goss sich ein weiteres Glas Wein ein und überlegte, was er ihr antworten sollte.
Dann beschloss er, ihr an diesem Abend gar nicht mehr zu antworten, fuhr den Computer herunter und griff stattdessen zu seinem Handy. Er würde sich diesen Abend von keiner Frau verderben lassen. Nicht von Charlotte und schon gar nicht von Ute. Es war an der Zeit für etwas Entspannung und wie könnte er sie besser bekommen als durch eine Frau. Eine unkomplizierte Frau. Er rief Olivier an. Er hatte schon seit Monaten mit ihm auf die Piste gewollt und heute Abend war es an der Zeit. Er würde mit Olivier die Bars von Paris unsicher machen und diesen Abend unkompliziert und nicht bei sich zu Hause beenden, soviel stand fest. Olivier wusste sicherlich, wo er Ablenkung finden konnte und er hatte sie sich mehr als verdient nach den letzten Tagen.

Sonntag, 31. März 2013

Widerlich - Sonntag, 17. Februar 2013

Charlotte hatte in den letzten Tagen alles getan, um sich von der Situation mit Lars abzulenken. Am liebsten wollte sie ihn einfach nur vergessen und aus ihrem Leben streichen. Der Gedanke, dass Ute ein Kind von ihm erwartete, war für sie unerträglich. Für sie stand fest, dass die Sache mit Lars damit beendet war. Sie hatte nie einen Mann gewollt, der verheiratet war, hatte sich dann aber doch darauf eingelassen. Aber nun, wo er auch noch Vater wurde, war eine Grenze für sie überschritten, die nicht mehr fallen würde. Sie hätte nicht mehr in den Spiegel schauen können, wenn sie weiter eine Affäre mit Lars hätte, während Ute schwanger zu Hause hockte oder gar, wenn das Kind erst da war und die wenige Zeit, die sein Vater ohnehin nur für es haben würde, dann auch noch mit seiner Geliebten verbringen würde. Nein, das wollte sie nicht. Sie musste ihn schnellstmöglich vergessen, auch wenn es noch so weh tat.
Dieses Vergessen wäre ihr wohl wesentlich leichter gefallen, wenn sie rausgehen und feiern hätte gehen können, aber als Doro sie gestern Abend gefragt hatte, ob sie gemeinsam die Stadt unsicher machen sollten, hatte sie ablehnen müssen, da ihr Auge zwar schon wesentlich besser, aber immer noch extrem unansehnlich war. Doro hatte gemeint, sie solle es mit Camouflage überschminken und endlich das Haus verlassen, aber ihr war nicht danach gewesen. In zwei oder drei Tagen würde sie sich sicherlich wieder zeigen können, auch ohne Camouflage, aber bis dahin würde sie das Haus nur verlassen, wenn es unbedingt nötig war. Die Spaziergänge mit Schröder absolvierte sie immer früh morgens und spät abends, es ging alles. Sie hatte sich inzwischen ganz gut mit der Situation arrangiert und das würde sie auch mit Lars tun. Es brauchte eben seine Zeit, aber dann würde sie ihn vergessen haben und er würde ihr egal sein.
Gestern Abend war sie leider nicht besonders erfolgreich gewesen. Eigentlich hatte sie alle seine Mails löschen wollen als ersten Schritt, aber stattdessen hatte sie sie eine nach der anderen gelesen und dabei geheult wie ein Schlosshund.
Nun besann sie sich eines Besseren und ging an den Rechner, um die Mails wirklich endgültig zu löschen. Gerade, als sie alle gelöscht hatte, ploppte eine neue Mail von Lars auf. Sie überlegte kurz, sie einfach ungelesen zu löschen, aber die Neugier siegte und so öffnete sie sie.


Betreff: Bitte nicht löschen!
Von: L.Laslandes@koelnmail.de
 
An: Anne-P.De-Mon@hotmail.de
12:21 17.02.2013

Liebe Charlotte,

ich hoffe, Du löschst diese Mail nicht einfach ungelesen. Bitte, tu mir den Gefallen und lies sie bis zum Ende!

Charlotte, ich möchte uns unter gar keinen Umständen aufgeben. Ich habe mit Ute gesprochen und ihr gesagt, dass ich vorerst bei ihr bleibe während der Schwangerschaft, aber dass ich mich unter keinen Umständen einengen lasse und weiter meine Freiheiten brauche, sogar noch mehr. Wir können uns sehen, Charlotte. Wir sehen uns weiter und sobald das Kind da ist, trenne ich mich von ihr. Ich merke, dass es keinen Sinn hat, ich kann diese Frau kaum ertragen um mich herum. Ich empfinde nichts mehr für sie, absolut gar nichts. Sie kommt mir vor, wie ein unausweichlicher Fremdkörper in meinem zu Hause, der ein Stück von mir geklaut hat, damit ich nicht weg kann. Bitte Charlotte, gib uns die Chance und warte auf mich! Wir können uns doch auch sehen während der Zeit bis zur Trennung. Die Schwangerschaft muss uns kaum beeinträchtigen. Ich habe Ute auch klargemacht, dass ich möglichst wenig davon mitbekommen möchte und sie bloß nicht zum Muttertier mutieren soll.
Wenn ich nicht viel davon mitbekomme, besteht auch keine Gefahr, dass ich mich irgendwie einlullen lasse, nur weil sie schwanger ist.

Bitte Charlotte, lass uns in Kontakt bleiben!

Lars


Lotte löschte die Mail. Sie war angewidert. Wahrscheinlich bildete er sich ein, sie würde sich geschmeichelt fühlen oder es kaum abwarten können, sich wieder mit ihm zu treffen. Was bildete er sich ein? Wie konnte er so über Ute und sein Kind sprechen? Er war ein gefühlskaltes, egoistisches Arschloch. Wer wusste, wie er sich verhalten würde, sollte sie eines Tages schwanger sein. Ute hatte er auch die große Liebe vorgegaukelt. Wahrscheinlich wäre es ihr genauso ergangen, hätte sie sich auf ihn eingelassen. Wer wusste, was ihr erspart geblieben war durch Utes Schwangerschaft. Nur sie konnte einem wahrlich leid tun. Sie hoffte, dass Lars doch noch irgendwann Vatergefühle entwickeln würde, damit wenigstens das Kind nicht so leiden musste wie seine Mutter.

Spontan öffnete sie das Fenster zum Emailschreiben. 



Betreff: Egoistisches Arschloch!
Von: Anne-P.De-Mon@hotmail.de  
An: L.Laslandes@koelnmail.de 
12:40 17.02.2013
 
Wie kann man nur so etwas von sich geben?! Du bist widerlich!!!

Mittwoch, 27. März 2013

Es wird sich finden - Samstag, 16. Februar 2013

Ute wusste selbst nicht, wie sie es geschafft hatte, aber irgendwie hatte sie sich nach der Schocknachricht gestern rechtzeitig wieder gefangen, bis Lars am Abend gekommen war.
Sie hatte bei ihrer Ärztin einen fürchterlichen Weinkrampf bekommen, woraufhin diese natürlich gedacht hatte, er sei primär ihrer Angst bezüglich der Zyste geschuldet. Sie hatte versucht, sie zu beruhigen und ihr erklärt, dass sie vermutlich keine schlimmen gesundheitlichen Konsequenzen haben werde, aber schnellstmöglich entfernt werden solle, auch wenn sie davon ausging, dass sie gutartig wäre. Eine spätere Schwangerschaft würde die Zyste bestimmt nicht negativ beeinflussen oder gar ausschließen, hatte die Ärztin sie beruhigt. Nun hatte sie also für den kommenden Mittwoch einen Termin im Krankenhaus, um die Zyste entfernen zu lassen.
Sie hatte ab dem Moment, wo die Ärztin gesagt hatte, einer Schwangerschaft würde nach der Entfernung nichts im Wege stehen, überhaupt keine Sorgen mehr gehabt wegen der Zyste. Das Problem war ein ganz anderes - was in aller Welt sollte sie Lars erzählen? Aber das hatte sie der Ärztin ja schlecht sagen können. Hinzu kam die maßlose Enttäuschung, doch nicht schwanger zu sein und vorallem, die Angst, ihn nun endgültig zu verlieren. Trotz allem hatte sie einen kühlen Kopf bewahren müssen. Sie hatte nicht gewusst, wann er genau kommen würde, aber sie wusste sicher, dass sie sich bis dahin beruhigt haben musste und sich gut überlegen musste, was sie ihm erzählen würde. Wahrscheinlich kam er direkt von dieser verdammten Charlotte, da durfte sie erst recht keinen Fehler machen.
Sie hatte nicht viel Zeit gehabt um zu überlegen, was sie nun tun sollte und war deswegen zu dem Entschluss gekommen, dass sie ihm notfalls später immer noch erzählen konnte, dass sie nicht schwanger war - aber nicht an diesem Abend. So hielt sie sich alle Möglichkeiten offen und möglicherweise bestand ja sogar eine Chance, dass sie noch rechzeitig doch noch schwanger wurde. Das musste sich alles finden. Vorerst galt es, ihn zu halten.

Es war besser gelaufen, als sie erwartet hatte. Er war erst gegen 18 Uhr gekommen, so dass sie genügend Zeit gehabt hatte, um sich ein wenig zu beruhigen. Tatsächlich hatte sie dies mit Hilfe von zwei Gläsern Wodka getan. Da sie nicht schwanger war, hatte sie ihn ja nun bedenkenlos trinken können und da Wodka nicht roch, bestand auch keine Gefahr, dass Lars es hätte merken können. Tatsächlich hatte er ihr richtig gut getan und sie beruhigt. Vielleicht hatte sie sich auch ein klein bisschen Mut angetrunken...

Die Stimmung zwischen ihnen war seltsam gewesen. Sie konnte gar nicht recht sagen, womit sie gerechnet hatte, wie Lars sich verhalten würde, aber sie war überrascht gewesen. Er hatte doch sehr mitgenommen gewirkt und anscheinend belastete ihn ihre Krise mehr, als sie ihm zugetraut hatte. Zur Begrüßung hatte er sie kurz in den Arm genommen, aber dabei sehr distanziert gewirkt. Am liebsten hätte sie sich an ihn geklammert und in seinen Armen verharrt, aber sie wusste, dass es falsch gewesen wäre, also hatte sie das Spiel mitgespielt und abgewartet.Glücklicherweise hatte er gar nicht viel gefragt - manchmal war seine Egozentrik auch hilfreich. Hätte er nachgehakt, wie es ihr oder dem Kind gehe, hätte sie womöglich weinen müssen. Stattdessen redete er sofort los und teilte ihr mit, dass er sich Gedanken gemacht habe und zu seiner Verantwortung stehen wolle und nun läge es an ihnen beiden, aus der Sache das Beste zu machen und einen Weg aus der Krise zu finden. Sie hatte nur selig genickt - das war mehr gewesen, als sie sich erhofft hatte. Doch dann hatte er weitergesprochen und ihr erklärt, sie dürfe nicht zu viel erwarten von ihm, er müsse sich erst langsam in die Situation hineinfinden und sei nicht bereit, seine Freiheiten aufzugeben. Sie hatte kurz auf der Zunge gehabt, ihn zu fragen, ob Charlotte auch zu diesen Freiheiten zählte, wollte aber keinen Streit vom Zaun brechen und hatte geschwiegen. Alles würde sich fügen. Vielleicht hatte er es ihr noch nicht gesagt, aber er würde es tun und dann würde sie ohnehin nichts mehr von ihm wissen wollen, da war sie sich sicher. Sie musste nur dafür sorgen, dass er es ihr bald sagte - bevor er merkte, dass sie gar nicht schwanger war, falls sie es nicht rechtzeitig wurde. Oder bevor sie vortäuschen musste, das Kind zu verlieren. Aber nach solch einem Schicksalsschlag würde er sie auch nicht verlassen und vielleicht hatte er bis dahin bereits solche Vatergefühle entwickelt, dass er es möglichst schnell wieder probieren wollte.
Wobei, nach seiner Aussage gestern, er habe nur eine Bitte an sie, sie solle nun bloß nicht zum Muttertier werden und ihn "mit Schwangerschaftskram volllabern", sonst könne er sie nicht mehr ertragen, war damit nicht zu rechnen. Er war so unglaublich unsensibel. Wäre sie wirklich schwanger gewesen, hätte sie ihn wohl gehasst für diese Aussage. Aber in der momentanen Situation kam es ihr mehr als entgegen, dass er möglichst wenig von ihrer Schwangerschaft mitbekommen wollte. Ganz sicher würde sich das ändern. Er musste nur erst alles verdauen. Es war ja schon besser geworden. Immerhin hatte er sich für sie entschieden.

Glücklich blickte sie neben sich, wo er endlich wieder im Ehebett lag und noch schlief. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Sie fragte sich, ob er wohl gerade von ihr träumte.

*****

Lars saß an seinem Schreibtisch und versuchte zu arbeiten. Er konnte sich nicht konzentrieren. Statt an seiner Veröffentlichung zu schreiben, verspürte er immer wieder den Drang, eine Mail an Charlotte zu tippen. Er wollte ihr berichten, wie es gestern gewesen war mit Ute und ihr sagen, wie sehr er sie vermisste. Aber er war sich sicher, er würde auf taube Ohren stoßen. 
Er fragte sich, ob Charlotte sein Verhalten gegenüber Ute gestern gutgeheißen hätte. Er hatte sofort seine Position klargemacht und sie war passiv und  zurückhaltend wie immer gewesen im Gespräch. Er glaubte im Nachhinein, dass sie einfach nur froh war, ihn vorerst nicht verloren zu haben und ihr deswegen alles andere egal war. Vermutlich hätte sie auch abgenickt, wenn er ihr erklärt hätte, dass er bei ihr blieb, aber drei Mal pro Woche ins Bordell gehen wolle. Auf jeden Fall hatte sie alles abgenickt und schien sich auch daran halten zu wollen, ihn nicht zu sehr mit den Details der Schwangerschaft zu nerven. Er hatte ihr recht deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ansonsten unattraktiv für ihn würde, das schien gezogen zu haben.
Vielleicht konnte er wenigstens noch das Beste aus dieser beschissenen Situation machen, indem hier in Zukunft alles noch mehr nach seiner Pfeife tanzte. Wenn er es richtig anstellte, würde Ute sich mit allen Mitteln ins Zeug legen, es ihm so angenehm wie möglich zu machen, weil sie Angst haben würde, ihn sonst zu verlieren.
Es musste sich alles finden, aber vielleicht konnte er diese knapp neun Monate herumbringen, ohne allzu viele eheliche Verpflichtungen zu haben und sein neues Leben mit Charlotte, das danach beginnen sollte, doch schon parallel vorbereiten. Denn er würde um sie kämpfen, er wusste nur noch nicht, wie. Aber ihr Treffen am Donnerstag war nicht das Ende. Niemals.

Donnerstag, 21. März 2013

Schwarzer Freitag - Freitag, 15. Februar 2013

Das Telefon klingelte. Mühsam realisierte Lars, dass er im Hotel war und es sich beim Klingeln des Telefons um den Weckservice handelte. Er nahm den Hörer ab und ließ ihn wieder auf die Gabel fallen. Was für eine Nacht. Bis 4 Uhr morgens hatte er an der Hotelbar durchgezecht, dann war er dem freundlichen, aber bestimmten Hinweis des Barkeepers gefolgt, dass es an der Zeit sei, ins Bett zu gehen. Er war der letzte Gast gewesen und hatte dem Mann sein Leid geklagt. Wie erbärmlich eigentlich. Trotzdem hatte es ihm in diesem Moment gut getan. Als er auf seinem Zimmer war, hatte er sein Handy genommen und bei Charlotte angerufen. Er hatte ihr sagen wollen, wie sehr er sie liebte und dass er sie vermisste. An die Uhrzeit hatte er in diesem Moment keinen Gedanken verschwendet. Aber sie war ohnehin nicht an ihr Handy gegangen. Vermutlich hatte sie geschlafen und es war auf lautlos gewesen. Wenigstens hatte er nicht auf ihrem Festnetz angerufen und sie auch noch aus dem Bett gejagt. Er schämte sich beim Gedanken an seinen Zustand. Er musste sich wirklich zusammenreißen. Noch nie war er der Typ für Liebeskummer gewesen, da brauchte er als erwachsener und gestandener Mann nicht damit anfangen. Er würde alles in Ordnung bringen und mit Charlotte glücklich werden. Wenn er nur wüsste, was er mit Ute machen sollte. Beim Gedanken an ihr Zusammentreffen gleich wurde ihm noch übler, als es ihm durch seinen Kater ohnehin schon war.
Er empfand nichts, wenn er an sie dachte. Da waren keinerlei Gefühle mehr, einfach nur Leere. Wahrscheinlich hatte er sie nie wirklich geliebt, aber er glaubte, dass diese Gleichgültigkeit, die er gerade gegenüber seiner schwangeren Frau empfand vielleicht noch viel schlimmer war, als wenn er irgendwelche negativen Gefühle für sie hegen würde. Sie war ihm egal, er wollte sich nicht mit ihr beschäftigen müssen und er wollte auch dieses Kind nicht. Er fragte sich, ob er wohl überhaupt richtige Vatergefühle für das Kind würde empfinden können. Hoffentlich wurde es ein Junge, der ihm ähnelte. Er glaubte, damit besser umgehen zu können, als wenn dieses ungewollte Kind auch noch eine Miniaturausgabe seiner Mutter wurde. Gleichzeitig schämte er sich für derlei Gedanken. Das Kind konnte nichts dafür und schließlich war es sein eigen Fleisch und Blut, also hatte er auch einen Grund, stolz darauf zu sein und würde es hoffentlich entsprechend behandeln können. Hoffentlich...
Er griff nach seinem Handy und hegte insgeheim die Hoffnung, Charlotte habe vielleicht auf den verpassten Anruf von ihm reagiert. Natürlich hatte sie es nicht. Stattdessen sah er fünf Anrufe in Abwesenheit von Ute und zwei SMS. In der ersten hatte sie gestern Abend noch geschrieben, wo er die Nacht verbringen würde und in der zweiten hatte sie vor einer halben Stunde gefragt, wann sie mit ihm rechnen könne, sie habe nachher noch einen Frauenarzttermin.
Ein Frauenarzttermin. Er fragte sich, was sie ihm damit sagen wollte. Wollte sie etwa, dass er mitkam? Vor seinem inneren Auge liefen typische Schwangerschaftsfernsehszenen von Paaren beim gemeinsamen Hechelkurs ab. Er war sich sicher, von genau solchen Sachen träumte Ute. Aber nicht mit ihm. Er würde sie zwar während der Schwangerschaft nicht verlassen, aber sie brauchte auch nicht glauben, dass er seine Vaterfreuden beim gemeinsamen Ultraschallgucken oder Synchronhecheln ausleben würde. Wie grauenvoll. Ute würde mit Sicherheit so eine Übermutter, eine Glucke, die wahrscheinlich schon während der Schwangerschaft einen Elternratgeber nach dem anderen lesen würde. Er konnte das alles nicht aushalten. Hoffentlich hatte sie nicht bereits jetzt die ganze Wohnung mit irgendwelchen Babysachen zugepflastert.
Er beschloss, erst am Abend nach Hause zu fahren, damit erst gar nicht die Möglichkeit gegeben war, dass sie ihn fragen konnte, ob er sie zum Frauenarzt begleitete. Er wollte so wenig wie möglich mit dieser Schwangerschaft konfrontiert werden.

*****

Voller Enthusiasmus machte Ute sich auf den Weg zur Frauenärztin. Selbst Lars' Verhalten konnte ihre Laune heute kaum trüben. Natürlich hatte es sie belastet, dass er einfach nicht erschienen war gestern und sie war überzeugt davon, dass er die Nacht bei Charlotte verbracht hatte, aber das würde sich alles ändern. Ihre Periode war weiterhin überfällig und so war sie inzwischen mehr als guten Mutes, dass ihre Ärztin ihr gleich gratulieren würde. Vielleicht konnte sie Lars nachher, wenn er endlich kam, bereits das erste Ultraschallbild ihres Schatzes zeigen. Sie hatte keine Ahnung, wie früh in der Schwangerschaft so etwas möglich war, aber wenn die Frauenärztin sehen konnte, dass sie schwanger war, würde sie ihr bestimmt irgendetwas mitgeben können, was sie Lars präsentieren konnte. Sie war zwar nicht überzeugt, dass ein kleiner Punkt auf einem Schwarz-Weiß-Bild bereits Vatergefühle in ihm auslösen würde, aber irgendetwas würde es sicher in ihm bewegen. Strahlend betrat sie die Praxis.

"Und Sie sagten, Sie sind überfällig?"
"Ja, schon ganz lange.", Ute strahlte. "Zumindest für meine Verhältnisse."
"Na dann wollen wir mal schauen."

Ute nahm auf dem Stuhl Platz und ihre Ärztin begann mit der Untersuchung. Gebannt starrte Ute abwechselnd auf den Bildschirm und in das Gesicht ihrer Ärztin. Konzentriert führte sie den Ultraschall durch. Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie sah Ute an.

"Sehen Sie das hier?"
"Ja.", sagte Ute erwartungsfroh, aber der Gesichtsausdruck der Ärztin irritierte sie.
"Es tut mir leid. Wir sehen hier den Grund warum Ihre Tage sehr wahrscheinlich momentan ausbleiben. Das ist eine Zyste. Schwanger sind Sie definitiv nicht.

Ute wurde schwarz vor Augen.