Montag, 17.
Dezember
Lars war selten so
froh gewesen im Zug nach Paris zu sitzen wie an diesem Morgen. Oberflächlich
war es zu Hause so entspannt gewesen wie lange nicht, nachdem er die Aussprache
mit Ute gehabt hatte. Danach hatte eine wunderbare Harmonie zwischen ihnen
geherrscht. Allerdings eben nur oberflächlich, schließlich hatte er Ute nach
Strich und Faden belogen und war nach der Aussprache damit beschäftigt gewesen,
irgendwie seine Nerven zusammen zu halten und die Fassade aufrecht zu erhalten,
dass alles in Ordnung sei. Innerlich hatte er sich noch nie so zerrissen
gefühlt. Natürlich hatte er alle seine Frauen immer und immer wieder betrogen,
aber bisher hatte sich das alles im Verborgenen abgespielt und sie lebten in
einer Seifenblase, wo sie nichts davon ahnten, so dass er noch nie in die
Situation gekommen war, einer Frau derart dreist ins Gesicht lügen zu müssen
wie Ute am Samstag. Er hatte es erstaunlich gut geschafft, er war selber
erstaunt gewesen, wie souverän er in der Situation geblieben war und wie er ihr
völlig unschuldig und eiskalt eine verlogene Erklärung nach der anderen
aufgetischt hatte. Am Ende hatte Ute geweint, weil sie ein so schlechtes
Gewissen gehabt hatte, was sie ihm da alles unterstellt hatte. Sie hatte sich
fast zu Tode geschämt, dabei wäre es eigentlich an ihm gewesen, das war ihm
sehr wohl bewusst und machte ihm zu schaffen.
Noch viel mehr
machte ihm zu schaffen, was er Charlotte erzählen sollte. Sie erwartete, dass
er Ute die Wahrheit gesagt hatte und nun der Weg frei war für eine gemeinsame
Zukunft. Er hatte sich selbst auch gefragt, warum er es nicht einfach getan
hatte. Theoretisch war die Gelegenheit dafür wahrscheinlich so geeignet
gewesen, wie sie es nur sein konnte. Praktisch hatte er sich bei seiner
Rückkehr am Freitagabend gefühlt, als sei er in Canossa eingekehrt, so
abweisend hatte Ute ihn empfangen. Zu seiner eigenen Überraschung hatte ihn das
ziemlich belastet und all seine Euphorie über die Stunden mit Charlotte war im
Nu verflogen und einer nervösen Anspannung gewichen. Er kannte Ute so nicht und
es hatte ihn unruhig gemacht. Plötzlich war das schlechte Gewissen präsent
gewesen und er hatte Angst bekommen, sie könnte gehen, weil sie alles
herausgefunden hatte. Es war seltsam Angst zu haben, dass sie gehen könnte,
wenn man selber kurz zuvor noch gehen wollte, aber so war es gewesen.
Möglicherweise war es die Angst vor dem Kontrollverlust. Normalerweise war er
derjenige, der ging, nicht die Frau. Dennoch hatte es ihn verunsichert und er
sah plötzlich wieder viele gute Seiten an seinem Leben mit Ute. Er war sich
überhaupt nicht mehr sicher gewesen, ob er das nun alles wirklich so plötzlich
beenden konnte und so hatte er, als es zur Aussprache gekommen war, kein Wort
von Charlotte erwähnt, obwohl sich die Möglichkeit quasi auf dem Silbertablett
geboten hatte, sondern hatte für alles eine Ausrede gefunden und Ute am Ende
sogar versprochen, nächstes Jahr zurück nach Köln zu kommen und ihr ihren
Kinderwunsch endlich zu erfüllen. Das Einzige, was er davon wirklich auch nur
ansatzweise in Betracht zog, war die Rückkehr nach Köln gewesen, allerdings
hatte er dabei eher an ein Leben mit Charlotte gedacht als mit Ute. Die hatte
er nun erstmal ruhiggestellt, es versprachen sehr harmonische Weihnachten zu
werden, wenn er das durchhielt, aber er fühlte sich grauenvoll. Das erste Mal
hatte er für sich betrachtet das Gefühl, sie wirklich verwerflich hintergangen
zu haben und Charlotte gleich mit.
Er wusste nicht,
was er Charlotte sagen sollte. Natürlich könnte er behaupten, sie hätten
miteinander gesprochen und Ute sei so labil, dass er momentan nicht gehen
könne, vermutlich würde sie ihm auch einen gewissen Aufschub gewähren, aber er
war sich relativ sicher, dass Charlotte nicht auch nur ansatzweise so naiv war
wie Ute und sehr schnell dahinter steigen würde, wenn er sie hinhalten würde,
ohne die Sache mit Ute anzugehen. Aber er konnte es gerade einfach nicht.
Eigentlich war er sich sicher, dass er sich seine Zukunft mit Charlotte
wünschte und nicht mit Ute, aber er brachte es nicht über sich, sie zu
verlassen. Sie liebte ihn so sehr und tat alles für ihn, er wollte sie nicht
unglücklich machen, das hatte sie nicht verdient. Schon gar nicht so kurz vor
Weihnachten. Natürlich, das war erstmal eine Lösung. Er würde Charlotte sagen,
er würde es nach Weihnachten angehen, dass er es Ute und der Familie so kurz
vor Weihnachten nicht antun wollte. Dafür musste sie Verständnis haben und so
hätte er einen Aufschub, um sich darüber klar zu werden, wie es weitergehen
konnte.
Bevor er der Uni
verließ, um den Abend mit zwei Kollegen in einer Bar ausklingen zu lassen und
auf hoffentlich fröhlichere Gedanken zu kommen, musste er endlich Charlotte
antworten. Er fühlte sich immer noch gelähmt von seinem schlechten Gewissen,
egal ob er Utes SMS beantwortete oder das Mailprogramm startete, um Charlotte
zu schreiben. Vielleicht musste er sich heute Abend in der Bar Abwechslung der
ganz anderen Art suchen. Eventuell wäre Chloé ja auch wieder in der Bar. Er
verdrängte den Gedanken und begann zu schreiben.
Betreff: Pardon
17:39 17.12.2012
Liebe Charlotte,
es tut mir leid, dass
ich mich jetzt erst melde, Du hast bestimmt ungeduldig auf Post gewartet. Ich
hoffe, Du hattest dennoch ein schönes Wochenende und ein besseres als ich.
Ich habe leider keine
allzu guten Neuigkeiten oder jedenfalls kann ich Dir nicht die Nachricht
überbringen, auf die Du möglicherweise hofftest. Das Wochenende war wirklich
schlimm, Ute war schon bei meiner Heimkehr sehr labil und traurig, wie sich
hinterher herausstellte nicht unbedingt, weil sie einen Verdacht wegen uns
gehabt hätte, sondern allgemein wegen der Verlängerung meines Aufenthaltes. Sie
leidet sehr unter meiner Abwesenheit. Ich glaube, sie hat eine Art Depression
oder irgendsoetwas. Vielleicht liegt es auch nur am Winter, ich weiß es nicht.
Aber ich habe sie gebeten, mit einem Arzt darüber zu reden. Du kannst Dir
denken, dass es unter diesen Umständen nicht besonders angebracht war, sie von
uns in Kenntnis zu setzen. Wir hatten eine Aussprache über diverse Probleme
innerhalb unserer Ehe, die auch erstaunlich konstruktiv war; das Gespräch
entwickelte sich sogar in die Richtung, dass die Möglichkeit einer Affäre
meinerseits im Raum stand, aber daraufhin fing sie so unglaublich an zu weinen,
dass ich es nicht über das Herz gebracht habe. Charlotte, bitte habe
Verständnis, ich kann es ihr momentan nicht sagen. Ich hätte wirklich Angst,
dass sie sich bei einer Trennung etwas antun könnte, ich kann das nicht so
plötzlich machen und schon gar nicht so kurz vor Weihnachten. Ich würde es mir
nie verzeihen, wenn ihr etwas zustoßen würde und ich bin mir sicher, Dir geht
es da nicht anders. Insofern heißt es also für die kommenden Feiertage erstmal „The
Show must go on“ und im Januar wird alles besser, ich verspreche es Dir,
Charlotte. Ich werde sie langsam darauf vorbereiten und dann werden wir die
Trennung vernünftig und im Guten vollziehen und nicht Hals über Kopf.
Ich bin mir sicher und
hoffe, Du kannst das verstehen und gibst mir die nötige Zeit. Bis dahin machen
wir weiter wie bisher, so schlecht ist es doch auch nicht, wenn natürlich auch
keine Dauerlösung. Aber mit dem Ende vor Augen halten wir das noch ein wenig
durch, mein liebes Lottchen, oder? Und wenn es wirklich gar nicht mehr geht,
kommst Du mich eben wieder in Paris besuchen, es war so wunderschön mit Dir!
Ich liebe Dich. Bitte
habe noch ein klein wenig Geduld.
Dein Lars
Lars las die Mail noch zweimal durch, bevor er sie
abschickte. Er hoffte, Charlotte würde nicht toben, auch wenn er nicht völlig
abstreiten wollte, dass sie möglicherweise Grund dafür hatte. Aber er hoffte
auf ihre Vernunft und fand, dass sich seine Begründung recht nachvollziehbar
anhörte.
Jetzt musste er sich nur noch überlegen, wie es wirklich
weitergehen konnte. Aber nicht mehr heute Abend, jetzt wollte er erstmal diesen
ganzen Wahnsinn vergessen und Spaß haben. Vielleicht war Chloé ja auch da…
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