Montag, 10. Dezember
Lars hatte seinen Platz im Thalys eingenommen und freute
sich heute umso mehr, dass er den Zug und nicht das Flugzeug gewählt hatte, da
es am Bahnhof noch voller als sonst gewesen war, weil all die verzweifelten
Flieger, die wegen des Streiks nicht wegkamen und die Möglichkeit hatten, auf
die Bahn umgestiegen waren.
Eigentlich hatte er sich vorgenommen im Zug zu arbeiten,
aber ihm war gerade nicht danach. Ute hatte ihn beim Frühstück auf Charlotte
angesprochen und ihm wäre fast sein Brötchen im Hals stecken geblieben. Es war
das erste Mal, dass er wirklich Angst hatte, sie könne Bescheid wissen.
„Sag mal, kennst du diese Charlotte Holzheim eigentlich
näher?“, hatte sie ihn beiläufig beim Frühstück gefragt.
Er hatte zuerst überlegt, sich dumm zu stellen und zu
verneinen, entschied sich dann aber dagegen. Sofort hatte sich eine Nervosität
in seiner Magengegend breitgemacht und er hoffte inständig, Ute werde ihm
nichts anmerken. Er kaute länger als nötig auf seinem Bissen herum, um Zeit zu
gewinnen.
„Ja, warum fragst du?“, erwiderte er mit möglichst ruhiger
Stimme, während er sie in seiner Phantasie schon antworten hörte „Weil ich pornographische Bilder von ihr auf
deinem Rechner gefunden habe, Du Schwein!“.
„Weil ich mitbekommen habe, dass Professor Deschamps sie auf
seiner Liste möglicher Kandidaten für ein Promotionsstipendium vorgeschlagen
hat und ich mich frage, ob sie wirklich so gut ist.“, hatte sie geantwortet.
Lars hätte fast versehentlich erleichtert ausgeatmet, hatte
sich aber im letzten Moment noch im Griff. Dann hatte er Ute erklärt, dass er
Charlotte in seinem Seminar gehabt habe und früher einmal in einer Vorlesung,
aber er sich kein abschließendes Urteil über ihre Fähigkeiten erlauben wolle.
Der Kollege würde aber sicherlich wissen, was er tue. Sie hatte sich damit
zufriedengegeben und das Thema gewechselt.
Obwohl die Frage nach Charlotte vermeintlich harmlos gewesen
war, saß Lars der Schreck immer noch in den Knochen. Es war das erste Mal, dass
er ein klein wenig nachfühlen konnte, wie Charlotte sich manchmal fühlen
musste, wenn sie ihm ihre Angst bezüglich Ute beschrieb. Vielleicht waren diese
Bedenken doch nicht so unberechtigt und er unterschätzte Ute. Oder er wurde
auch schon langsam paranoid. Wahrscheinlich war er einfach nur doppelt nervös
gewesen, weil er Charlotte gestern Abend noch getroffen hatte. Ute war
verwundert gewesen, dass er ihr das Gassi gehen gestern Abend abgenommen hatte,
aber er hatte gesagt, es sei die Wiedergutmachung dafür, dass sie letztens
morgens übernommen hatte und außerdem wolle er nicht, dass sie bei diesem
fiesen Wetter noch raus müsse, sie solle lieber weiter leckere Plätzchen
backen. Daraufhin hatte sie ihm einen Kuss gegeben und er war mit Hugo
losgezogen.
Er wühlte seinen Laptop aus der Tasche und fuhr in hoch, um
eine Mail an Charlotte vorzuschreiben, die er abschicken würde, sobald er in
Paris wieder online war. Er brauchte eine sinnvolle Ablenkung.
Betreff: Schock am frühen Morgen
Entwurf
Liebe Charlotte,
ich danke Dir nochmal für die köstlichen Plätzchen, eins
hatte ich ja gestern Abend direkt gekostet, die anderen warten in meiner
Manteltasche auf ihren Einsatz in Paris, ich möchte sie richtig genießen.
Genossen habe ich auch unser Treffen gestern Abend. Du bist selbst eingemummelt
und im Dunkeln einfach nur bezaubernd und Du hast so gut geduftet, diese
Mischung aus Plätzchen und Parfum… Aber genug davon, ich weiß, Du stehst nicht
auf solcherlei Gesäusel.
Um zum Betreff dieser Mail zu kommen – heute früh hat mich
Ute auf Dich angesprochen! Es war das erste Mal, dass ich Deine Ängste ein
wenig nachvollziehen konnte. Ich dachte wirklich im ersten Moment, sie hätte
etwas gemerkt, zumal wegen unserer Begegnung gestern Abend. Sie fragte mich, ob
wir uns eigentlich näher kennen würden. Kannst Du Dir vorstellen, wie ich mich
erschrocken habe? Aber glücklicherweise ging es um etwas Erfreuliches – sie hatte
mitbekommen, dass Du für ein Promotionsstipendium vorgeschlagen werden könntest
von Professor Deschamps. Wusstest Du schon davon, meine Liebe? Und kannst Du es
Dir vorstellen, das zu machen? Ich fände es ja wunderbar, aber ich ahne, dass
Du eher skeptisch sein wirst, oder täusche ich mich?
Fühl Dich gedrückt, meine wundervolle intelligente
Charlotte!
Dein Lars
*****
Ratlos spazierte Susanne durch den Beethovenpark nach Hause.
Sie hatte sich mit Ute getroffen zum gemeinsamen Gassi gehen mit Hugo. Sie
hatte gestern Mittag mit Ute telefoniert und sie auf Lars‘ Verspätung am
Vorabend angesprochen. Ute hatte sich tatsächlich bis dahin keinerlei Gedanken
darüber gemacht, sah dann aber ein, dass er ungewöhnlich lange gebraucht hatte.
Auch auf den vermeintlichen Fleck an seinem Hals hatte sie Ute angesprochen,
aber ihr war nichts aufgefallen und Susanne war sich inzwischen nicht mehr
sicher, ob sie sich nicht selbst getäuscht hatte.
Was Ute ihr heute beim Spaziergang berichtet hatte, förderte
allerdings ihr Misstrauen gegenüber Lars. Ute war es unglaublich unangenehm
gewesen, aber sie hatte ihr gebeichtet, dass sie beeinflusst durch ihr Gespräch
gestern Lars gestern Abend hinterhergelaufen sei, als er plötzlich gesagt habe,
er würde mit dem Hund rausgehen. Es hatte sie misstrauisch gemacht, weil Lars
normalerweise laut ihrer Aussage nicht wirklich viel für Hugo übrig hatte und
ihn mehr als Spielzeug für sie gekauft hatte, das hatte er in den letzten
Monaten wohl immer deutlicher raushängen lassen. Er hatte behauptet, er würde
mit dem Hund rausgehen, weil sie es ein paar Tage vorher für ihn übernommen
habe und sie solle lieber weiter leckere Plätzchen backen. Ute hatte so getan,
als habe sie es ihm abgekauft, in Wahrheit aber war ihr Misstrauen durch diese
Aussage weiter gewachsen, da sie genau wusste, dass Lars diese
Marmeladenplätzchen, die sie gebacken hatte verabscheute – sie hatte sie genau
deswegen gebacken, weil sie so wütend gewesen war nach dem Telefonat. Susanne
hatte gedacht, sie höre nicht richtig, das alles hätte sie Ute nie zugetraut.
Es war Ute wahnsinnig peinlich gewesen, dass sie Lars hinterhergegangen war,
das konnte Susanne während ihrer
Erzählung immer noch spüren und sie sah sie vor sich, wie sie hinter ihm herschlich
und ständig Angst hatte, er könnte sie sehen und sie hätte sich am Ende völlig
lächerlich gemacht. Aber dann hatte sie tatsächlich beobachtet, wie er sich mit
einer Person im Park getroffen hatte. Sie hatte nicht erkennen können, um wen
es sich dabei handelte, schließlich war sie weit weg gewesen und es war dunkel
und zusätzlich war die Person vermummt gewesen wegen der Kälte. Aber in
Anbetracht der Körpergröße hatte Ute angenommen, dass es eine Frau sein musste.
Sie konnte auch nicht einschätzen, ob die beiden sich zufällig getroffen hatten
oder verabredet waren, aber sie hatten sich zur Begrüßung recht lange umarmt,
hatte sie gesagt und seien dann gemeinsam weiterspaziert. Sie hatte auch den
Eindruck, dass Hugo dieser Person nicht zum ersten Mal begegnete. Natürlich wäre
es möglich gewesen, dass es sich um eine Spaziergängerin handelte, der sie beim
Gassi gehen mit Hugo öfter begegneten und Lars deswegen auch gemeinsam mit ihr
weiterspazierte, aber das erklärte immer noch nicht die nach Utes Empfinden
viel zu lange Umarmung und vor allem auch nicht das kleine Tütchen mit
Vanillekipferln, das Ute abends in Lars Manteltasche gefunden hatte und das
eigentlich nur von dieser Person stammen konnte. Die Plätzchen waren für sie
beide allerdings ein weiteres Argument gewesen, dass es sich dabei um eine Frau
gehandelt haben musste.
Ute hatte nicht gewagt, Lars darauf anzusprechen und Susanne
hatte auf sie eingeredet, es erstmal zu lassen und weiter die Augen offen zu
halten. Natürlich war theoretisch wirklich auch noch eine harmlose Erklärung
denkbar. Vielleicht hatte Lars es wirklich nur gut gemeint damit, die
Abendrunde zu übernehmen und vielleicht war die Person tatsächlich irgendwer
aus der Nachbarschaft gewesen und Ute hatte die Umarmung aufgrund ihrer
Anspannung als länger empfunden, als sie wirklich war. Und die Plätzchen…
vielleicht war die Person auf dem Heimweg von irgendeiner Weihnachtsfeier und
hatte sie geschenkt bekommen, mochte sie aber nicht und hatte sie Lars gegeben.
Aber warum hatte Lars dann nichts davon erwähnt, Ute würde die Person doch
bestimmt auch kennen und sie hätten sich die Plätzchen teilen können. Oder
konnte Lars einfach nur so gierig auf die Vanillekipferl gewesen sein? Susanne
musste grinsen. Sie würde es ihm sogar zutrauen und wenn sie ehrlich war, konnte
sie ihm nicht übelnehmen, dass er die Marmeladenplätzchen nicht mochte, sie
verabscheute sie ebenfalls, hatte sich aber bis heute nicht getraut, es Ute zu
sagen. Sie schenkte ihr Tütchen jedes Jahr an ihre Mutter weiter, die der
einzige Mensch war, den Susanne kannte, der diese Plätzchen wirklich zu mögen
schien.
Sie vermochte sich keinen Reim auf das zu machen, was Ute
ihr da erzählt hatte. Einerseits war Susanne bisher immer viel misstrauischer
gewesen als Ute, andererseits dachte sie jetzt, wo Ute ihr wirklich konkrete
Hinweise lieferte, dass es auch diverse harmlose Erklärungen geben konnte. Auf jeden
Fall hielt sie es für richtig, dass Ute geschwiegen hatte und den restlichen
Abend so getan hatte, als wäre nichts. Es musste ihr schwer genug gefallen
sein, wahrscheinlich war sie fast gestorben vor Angst, dass Lars aufgefallen
sein könnte, dass sie mit ihrer Plätzchenproduktion bei seiner Wiederkehr nicht
wesentlich weiter gewesen war als bei seinem Abschied, aber natürlich hatte
Lars kein Auge für so etwas, das hätte sie ihr sofort sagen können.
HILFE, wo ist Teil 11?
AntwortenLöschenAusgerechnet jetzt, wo Ute ihm auf die Schliche kommt und es so spannend wird. Du bist ja gemein ;)
Wehe, du hörst auf!
Wie süß! :)
AntwortenLöschenKeine Sorge, ich höre nicht auf, ich hatte heute nur eine Prüfung an der Uni und war erst mit der Vorbereitung und dann mit Feiern beschäftigt, deswegen kommt die 11 gleich mit ein wenig Verspätung doch noch... ;)
Gerade noch pünktlich :)
LöschenIch hoffe deine Prüfung war gut, aber wenn du gefeiert hast, kanns ja kaum schlecht gewesen sein ;)
Jetzt habe ich leider keine Zeit, in Ruhe zu lesen (mich ruft auch die Uni...), aber dann habe ich heute Abend ja gleich zwei Teile, umso besser!