Mittwoch, 20. März 2013

Valentinsabend - Donnerstag, 14. Februar 2013

Lars war aufgeregt wie ein kleiner Junge, als er in Köln aus dem Zug stieg und sich auf den Weg zu Charlottes Wohnung machte. Ursprünglich hatte er zuerst nach Hause gewollt um sein Gepäck loszuwerden, aber der Gedanke, Ute vor dem Gespräch mit Charlotte ausgesetzt zu sein, hatte ihm solche Magenschmerzen bereitet, dass er sich entschieden hatte, einfach sofort mit Sack und Pack vom Bahnhof zu Charlotte zu fahren. Das ersparte ihm außerdem mögliche Diskussionen mit Ute darüber, in welche Richtung er das Haus verließ. Es graute ihm jetzt schon davor, nachher mit ihr reden zu müssen. Er hatte keine Ahnung, in welcher Gemütslage sie sich befand und wusste auch nicht wirklich, was er ihr sagen sollte. Insgeheim hoffte er darauf, dass er zumindest Letzteres nach dem Gespräch mit Charlotte wüsste. Wenn sie bloß zu Hause war. Und hoffentlich alleine. Der Gedanke, es könnte ein anderer Valentin bei ihr im Bett liegen, machte ihn fertig.
Immerhin hatte sie ihm eine Dankes-SMS für seinen Champagnergruß geschickt. Zwar hatte sie sich dabei auch auf das einzige Wort Danke beschränkt, aber immerhin hatte sie sich überhaupt gemeldet. Das interpretierte er als gutes Zeichen. Er hatte aber nichts darauf geantwortet, ihm war nichts Sinnvolles eingefallen und außerdem hatte er seinen Überfall nicht gefährden wollen.
Ein weiteres Geschenk für sie hatte er auch nicht mehr gekauft, er hatte einfach nichts Adäquates gefunden und sich dann gedacht, es sei möglicherweise auch besser so, dann wirkte es nicht so, als wolle er sie mit Geschenken bestechen.

Nun stand er mit seinem Koffer und einer Reisetasche vor ihrem Haus und das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er betätigte die Klingel, aber es erfolgte keine Reaktion. Er seufzte, ließ sich aber nicht entmutigen, weil er wusste, dass sie häufig nicht reagierte, wenn sie niemanden erwartete und drückte die Klingel ein zweites Mal, dieses Mal länger. Wieder passierte nichts. Er überlegte, ob sie einfach nicht öffnete oder gar nicht zu Hause war und ob er sie wohl anrufen sollte. Oder sollte er sich bei den Nachbarn durchklingeln, bis ihn irgendjemand ins Haus ließ und es dann oben an ihrer Wohnungstür noch einmal probieren und gegebenenfalls dort warten? Da er sich nicht entscheiden konnte, drückte er zur Überbrückung ein drittes Mal lange auf dem Klingelknopf und tatsächlich schnarrte plötzlich ein fragendes "Hallo?!" aus der Gegensprechanlage.
Lars hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet und erschrak fast ein wenig, dann stammelte er intuitiv "Paketpost" und tatsächlich ging der Summer und die Tür war offen.

Eigentlich war es überhaupt nicht seine Absicht gewesen vorzutäuschen, er sei der Postbote, um Einlass zu erlangen. Er wusste selbst nicht, warum er es gemacht hatte, er war so perplex gewesen, als er plötzlich ihre Stimme aus der Gegensprechanlage vernommen hatte, dass er einfach intuitiv "Paketpost" gesagt hatte. Naja, sie würde ihm sicherlich verzeihen, auch wenn er nur mit Reisegepäck und ohne Paket vor ihrer Tür stand. Wer weiß, vielleicht hätte sie ihn auch gar nicht hineingelassen, wenn er nicht der Paketbote gewesen wäre...

*****

Bereits zum zweiten Mal klingelte es heute an der Türe, ohne das Lotte irgendwen erwartete. Sie beschloss, es zu ignorieren. Auch als es erneut klingelte, sagte sie sich, dass sie bereits ihren Valentinsgruß erhalten hatte und es keinen Grund gab, die Türe zu öffnen. Doch als es zum dritten Mal klingelte und wieder lang und eindringlich, siegte schließlich ihre Neugierde. Vielleicht war es doch etwas Wichtiges. Sie könnte wenigstens fragen, wer dort war, im Zweifel ließ sie die Person eben nicht hinein.
Diesmal war es der Paketbote und nachdem sie bereits dem Blumenmann in ihrer Sonnenbrille heute Morgen gegenübergetreten war, beschloss sie, dass sie es ein weiteres Mal auch beim Paketboten überleben würde. Ein Auftritt in Sonnebrille war immer noch weniger seltsam, als nachzufragen und ihm dann nicht die Türe zu öffnen. Sie war gespannt, was es diesmal sein mochte. Am Ende hatte Jan sich doch eines Besseren besonnen und ihr einen Valentinsgruß geschickt?
Sie hörte, wie jemand die Treppe hochgeächzt kam. Was immer der Paketbote brachte, es hörte sich an, als habe er ziemlich schwer zu schleppen, so wie er stampfte und mit seiner Last gegen das Treppengeländer schepperte. Lotte spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch. Was konnte in so einem großen Paket wohl drin sein und wer hatte es ihr geschickt?
Als sie hörte, dass der Bote ihren Treppenabsatz erreicht hatte, riss sie die Türe auf, ohne sich zuvor durch den Spion zu vergewissern, dass es auch wirklich ein Paketbote war, wie sie es heute Morgen getan hatte. Wer so schwer schleppte, würde kaum kommen, um sie zu vermöbeln.

Als sie ins Gesicht des vermeintlichen Paketboten blickte, war es dennoch wie ein Schlag ins Gesicht. "Lars!", schrie sie überrascht auf, dann wich sie zurück und schloss die Wohnungstür bis auf einen winzigen Spalt. Am liebsten hätte sie sie ganz zugeknallt beim Gedanken an ihr Auge, aber das wagte sie nicht. Sie wäre am liebsten im Boden versunken. Wie hatte sie so dumm sein können einfach die Türe zu öffnen? Sie wollte nicht, dass er sie so sah. Sein Blick sprach jetzt schon Bände.

"Charlotte! Willst Du mich nicht reinlassen?"
"Nein... ja... ich..."
"Wieso trägst Du diese Sonnenbrille?". Seine Stimme klang alarmiert.
Ihre Stimme zitterte. "Karneval... du weißt schon, Augenringe... die Spätfolgen vom Saufen."
Er sah sie zweifelnd durch den Türspalt an.
"Charlotte, lass mich rein, bitte. Ich möchte mit dir reden."

Lotte gab die Tür frei. Es hatte keinen Sinn, er hatte sowieso gesehen, was los war und sie konnte ihn doch jetzt nicht wegschicken.
"Lotte, nimm die Brille ab. Die brauchst du hier drin nicht."

Sie schüttelte heftig den Kopf. Er sah, wie Tränen unter den dunklen Gläsern durchrannen. Vorsichtig nahm er ihr die Brille ab und schloss sie in die Arme. Der Anblick, der sich ihm unter der Brille bot war schlimmer, als er befürchtet hatte. Wut stieg in ihm auf.
"Charlotte, wer war das?"

Sie antwortete nicht, schluchzte nur heftig in seinen Armen.
"Lotte, wie ist das passiert?"

Er drückte sie ein Stück von sich weg, so dass er ihr ins Gesicht schauen konnte. Sie senkte den Blick.
"Ein Unfall an Karneval. Es war Gedränge beim Zug und auf einmal hatte ich einen Ellbogen im Gesicht. Du weißt ja, wie das ist. Passiert an Karneval. Dumm gelaufen."

Sie versuchte ein schiefes Lächeln. Er glaubte ihr kein Wort. Viel zu fahrig war ihre Mimik, während sie versuchte, es ihm weißzumachen. Aber es war wohl auch nicht der Augenblick, wo er es mit ihr ausdiskutieren sollte. Er beschloss, es vorerst auf sich beruhen zu lassen und der Sache später auf den Grund zu gehen. Erst einmal hatten sie andere Dinge zu klären.
"Arme Maus."

Zärtlich drückte er sie wieder an sich und hielt sie minutenlang einfach nur in seinen Armen, bis sie sich beruhigt hatte.
Wenn er mit allem gerechnet hatte, aber nicht mit einer so verletzten und schutzbedürftigen Charlotte. Es musste ihr wirklich dreckig gehen, dachte er, während sie in seinen Armen lag und weinte. Sonst hätte sie sich diese Blöße nicht gegeben. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihn zusammenstauchen würde, vielleicht auch achtkantig herauswerfen oder aber im besten Falle, ihn auflaufen lassen und anhören würde, ohne allzu viel Regung zu zeigen. Ab und zu eine spitze Bemerkung und dabei ein Pokerface, das über einen längeren Zeitraum, darauf war er gefasst gewesen. Aber nicht auf ein Häuflein Elend mit einem blauen Auge, dass weinend in seinen Armen lag und sich dabei nicht einmal Mühe gab zu verbergen, dass es sich danach gesehnt hatte.
Wieder wurde ihm klar, dass er nicht zu Ute zurück konnte, ob schwanger oder nicht. Ute hätte niemals solche Emotionen in ihm ausgelöst, wie er sie gerade empfand. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er es soweit hatte kommen lassen und Charlotte enttäuscht hatte, statt sich endlich zu ihr zu bekennen und aufzuräumen in seinem Leben. Er hätte längst bei ihr sein können, statt sich nach Paris zu flüchten und dann wäre vielleicht die Sache mit ihrem Auge gar nicht erst passiert. Er spürte eine unbändige Wut auf den, der ihr das angetan hatte. Sein Frauenbild mochte sicherlich von manchen Menschen als herablassend betrachtet werden, aber eines war für ihn klar, man schlug keine Frauen. Und wer immer Charlotte geschlagen hatte, würde dafür büßen. Er würde es herausfinden.

"Was wolltest du mir sagen?"

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste es ihr sagen. Am besten direkt, dann hatte er es hinter sich.
"Ute ist schwanger."

Während Lars diesen Satz hervorpresste, machte er ein Gesicht als hätte er gerade verkündet, dass er unheilbar krank sei. Lotte schluckte schwer.
"Das war eines meiner 95 Horrorszenarien. Herzlichen Glückwunsch. Dann werdet Ihr ja jetzt bestimmt eine glückliche Familie."

Während sie das sagte, liefen ihr erneut die Tränen. Lars seufzte.
"Nein, Lotte, das werden wir nicht. Ich musste die Nachricht nur verdauen. Und natürlich konnte ich mich deswegen auch nicht wie geplant trennen. Ich habe es vorgehabt, wirklich. Ich habe angefangen, ihr alles zu sagen und dann sagte sie plötzlich, dass sie schwanger ist. Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe mich erstmal nach Paris zurückgezogen. Ich wusste nicht mehr, wo vorne und hinten ist, das kannst du mir glauben. Ich weiß es immer noch nicht. Ich will kein Kind mit dieser Frau, ich will eine Familie mit dir. Aber ich kann ihr ja nicht sagen, dass sie es wegmachen soll. Und ich traue mich auch nicht, mich jetzt in der Schwangerschaft von ihr zu trennen. Sie ist ohnehin so labil, wenn sie wegen dem Trennungsstress das Kind verlieren würde, würde ich mir das nie verzeihen. Ich weiß nicht, was ich tun soll, momentan denke ich, ich warte einfach ab, bis das Kind auf der Welt ist und trenne mich dann endgültig. Also ich kümmere mich natürlich um mein Kind, aber Utes und mein Weg wird sich dann endgültig trennen und dann können wir beide endlich zusammen sein. Was meinst du?"

Entgeistert starrte Lotte ihn an. In ihrem Kopf drehte sich alles, sie musste seine Worte erst verdauen, das war alles zu viel für sie.
"Ich weiß es nicht. Geh zu ihr. Geh und kümmer dich um dein Kind!"

Sie stieß ihn weg. "Geh jetzt bitte. Mir ist das gerade alles zu viel."

Wie ein begossener Pudel stand Lars vor ihr, dann griff er nach seinem Gepäck und wandte sich zur Tür.
"Gehst du jetzt zu ihr?"
"Nein, ich nehme mir ein Hotelzimmer. Ich gehe morgen zu ihr. Ich habe sie seit dem Tag nicht mehr gesehen und muss mit ihr reden, wie es weitergeht."
"Und dann ziehst du wieder bei ihr ein?"
"Ich weiß es nicht, Charlotte. Ich weiß gar nichts mehr. Haben wir noch irgendeine Chance oder wirfst du mich gerade für immer raus?"
"Ich weiß es nicht. Ich will keinem Kind den Vater nehmen. Ich habe mir immer geschworen, dass das der Moment sein würde, wo ich mich zurückziehe."

Sie drückte ihn schon fast durch die Wohnungstür. Scheinbar konnte sie ihn gar nicht schnell genug los werden. Immer noch rannen ihr die Tränen über das Gesicht. Ihr geschwollenes Auge musste unglaublich wehtun. Er wollte nicht gehen. Er wollte bei ihr bleiben. Für immer. Aber vielleicht war es dafür nun zu spät. Vielleicht hätte er vorher mit Ute klare Verhältnisse schaffen müssen. Sie wollte keinem Kind den Vater nehmen. Sie würde ihn nicht nehmen, selbst wenn er sich nach der Geburt von Ute trennen würden, dessen war er sich plötzlich sicher.
Auf der obersten Stufe blieb er stehen. Sie hatte die Wohnungstüre noch einen kleinen Spalt weit offen.

"Charlotte?"
Sie sah ihn an.
"Lotte, ich liebe dich. Ich bringe das alles in Ordnung und dann werden wir glücklich. Warte auf mich. Bitte!"

Sie schloss die Tür, ohne ihm eine Antwort zu geben. Auch ihr Blick unter dem Tränenschleier verriet nichts.
Lars rief sich ein Taxi und ließ sich zu einem Hotel fahren. Er würde Ute eine SMS schicken, dass er erst morgen kam. Er konnte sie heute nicht ertragen. Sollte sie denken, was sie wollte. Dann würde er das Handy im Hotelzimmer lassen und sich an der Hotelbar hemmungslos betrinken.

4 Kommentare:

  1. Lars kann so lieb sein. Das ist ein herzallerliebstes Kapitel, tottraurig (ich leide mit Lotte!), aber doch herzallerliebst!

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    1. Ja, auch Lars hat einen guten Kern. Vielleicht auch noch ein bisschen mehr... Mal sehen, wie lieb er beim Wiedersehen mit Ute sein wird.

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  2. Appell an Ute: Es wird langsam Zeit, die Fake-Schwangerschaft aufzuklären, sonst werden viele Menschen (inklusive mir!) ernsthaft verletzt.

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