Samstag, 23. Februar 2013

Veilchendienstag, im wahrsten Sinne - Dienstag, 12. Februar 2013

Lars hatte in den letzten Tagen immer noch nichts von Charlotte gehört, auch gestern Abend war sie wieder nicht ans Telefon gegangen und hatte seine SMS ignoriert. Er fragte sich, ob sie so heftig am feiern war, dass es schlicht darauf zu schieben war oder ob sie, ohne überhaupt zu wissen, was er ihr genau zu sagen hatte, so verletzt war, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Natürlich deutete ihre SMS, die einzige, die sie ihm überhaupt geschickt hatte, eher auf Letzteres hin, aber er wollte einfach nicht glauben, dass sie ihm überhaupt keine Chance gab, sich zu erklären und ihn jetzt auf alle Zeiten ignorierte. Er war solche Reaktionen nicht gewohnt und es kratzte an seinem Ego, wenn auch nicht so sehr wie die Vorstellung, dass sie sich an Karneval mit anderen Männern vergnügen könnte, um ihn möglichst schnell zu vergessen. Wenigstens war Karneval ab morgen vorbei.
Trotzdem musste er etwas unternehmen. Wenn sie seine Anrufe und Nachrichten ignorierte, würde er wohl persönlich bei ihr vorbeischauen müssen, sobald er wieder in Köln war. Er würde am Donnerstag zurück reisen, dann war auch Valentin. Eigentlich hielt er überhaupt nichts vom Valentinstag, er glaubte, dieser sei nur zum Umsatz der Geschenkeindustrie erfunden worden, aber dieses Mal kam er ihm gerade recht. Auch wenn Charlotte nicht besonders romantisch veranlagt war, so würde sie sich sicherlich über ein schönes Geschenk von ihm zum Valentinstag freuen. Er würde nachher in der Stadt schauen, was er für sie finden konnte und dann am Donnerstag Abend, wenn er wieder in Köln war, damit bei ihr vor der Tür stehen. Ohne Voranmeldung, sonst würde sie es bestimmt nicht zulassen. Wenn sie nicht zu Hause sein sollte, würde er es am nächsten Tag wieder probieren. Dass sie nicht allein zu Hause sein könnte, wollte er sich lieber nicht ausmalen.
Er beschloss, ihr bereits über das Internet Blumen zu bestellen, die am Donnerstag Morgen geliefert werden sollten. Dadurch würde sie noch überraschter sein, wenn er abends persönlich vor der Tür stünde.
Er überlegt, während er sich durch den Onlineshop des Blumenhändlers klickte. Eigentlich stand Charlotte nicht auf Blumensträuße und von ihm schon gar nicht, seit sie wusste, dass er Ute seit Jahren jede Woche einen als Entschuldigung mitbrachte. Nicht, dass er sie damit noch mehr gegen sich aufbrachte. Schließlich entschied er sich für eine Flasche Champagner mit einer Rose dazu, das war wenig Blume und viel Alkohol, damit würde er hoffentlich bei ihr Gnade finden. Er tippte die persönliche Grußbotschaft schließlich nach gefühlten 20 Umformulierungen ein:

Liebe Charlotte,
ich mag kein Valentin und Du keine Blumensträuße, deswegen sieh diesen Gruß (ich hoffe, die Champagnerflasche ist größer als das Blümchen) als Zeichen dafür, dass ich nicht nur an Valentin, sondern jeden Tag an Dich denke und Dich wahnsinnig vermisse. Gib uns eine Chance und lass uns reden!
Lars

Lars sendete die Bestellung ab und hoffte, Charlotte würde seine Gabe nicht verschmähen. Ute würde er dieses Jahr nichts zu Valentin schenken und auch den obligatorischen Blumenstrauß würde es nicht mehr geben. Er war sich nicht einmal sicher, ob er in die gemeinsame Wohnung zurückkehren sollte oder sich vorerst im Hotel einquartieren würde. Zuerst musste er so oder so nach Hause wegen seiner Sachen und dann würde er spontan schauen, wie es mit Ute lief. Wenigstens hatte er noch ein bisschen Schonfrist bis Donnerstag.

*****

Lotte blickte in den Spiegel. Ihr Auge sah immer noch grauenvoll aus. Trotzdem musste sie mit Schröder raus. Sie versuchte die Spaziergänge möglichst im Dunklen zu absolvieren, was bei dieser Jahreszeit kein größeres Problem darstellte. Außerdem trug sie eine riesige Sonnebrille - auch damit fiel sie zumindest an Karneval nicht auf, ab morgen würde das wieder anders aussehen. Sie hoffte, ihr Auge würde schnell wieder besser aussehen.
Jan hatte sich nicht mehr gemeldet. Keine Entschuldigung, keine Nachfrage, nichts. Stattdessen hatte Nico sich entschuldigt, obwohl er ja eigentlich gar nichts dafür konnte, er hatte sogar angeboten, für sie einkaufen zu gehen oder sie besuchen zu kommen, aber Lotte hatte dankend abgelehnt. Sie hatte genug Vorräte, außerdem hatte sie ohnehin keinen Hunger und sie wollte auch niemanden sehen. Das Einzige, was sie gerne gehabt hätte, waren Informationen, wie es mit Jan am Sonntag Abend weitergegangen war. Sie hatte Nico danach gefragt, aber er wusste nichts. Allerdings vermutete er, dass die Polizei ihn ohne weitere Konsequenzen hatte laufen lassen, nachdem er wieder nüchtern gewesen war.
Inzwischen tat ihr sein Verhalten viel mehr weh als das Auge selbst. Warum hatte Jan sich nicht wenigstens erkundigt, wie es ihr ging oder sich entschuldigt? Natürlich, eigentlich hatte er das nie getan, in all den Jahren, wenn ihm einmal die Hand ausgerutscht war. Er hatte sich immer eine Weile zurückgezogen und dann so getan, als wäre nie etwas gewesen. Und sie hatte es mitgemacht. Vielleicht war sie es einfach selber schuld. Wieder kamen ihr die Tränen. Nicht einmal richtig weinen konnte man mit dem verdammten Auge. 
Sie spürte Sehnsucht nach Lars. Er würde so etwas niemals tun. Gestern Abend hatte er wieder versucht, sie zu erreichen und sie war versucht gewesen, tatsächlich ans Telefon zu gehen, aber der Gedanke, dass sie am Telefon in Tränen ausbrechen könnte, hatte sie zurückgehalten. Auch seine SMS, wie es ihr ginge und was sie mache, hatte sie ignoriert. Was hätte sie denn antworten sollen?!

Mittwoch, 20. Februar 2013

Mit einem blauen Auge, nicht davon gekommen - Montag, 11. Februas 2013

Lotte wusste immer noch nicht, wie es hatte gestern Abend passieren können, aber sie wusste, es hätte nie passieren dürfen. Abends, als sie nach dem Karnevalszug im Veedel mit allen in der Kneipe war, war sie Jan begegnet und die Situation war völlig aus dem Ruder gelaufen. Sie war eigentlich nicht auf Streit aus gewesen, im Gegenteil, sie hatte ihn zunächst freundlich gegrüßt und so getan, als hätten sie kein Problem miteinander, aber Jan hatte sofort deutlich gemacht, dass er das anders sah und sie mit Beschuldigungen übergossen, was sie für ein Miststück wäre und dass sie ihn ständig provozieren wolle. Sie hatte daraufhin versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, was beim Getümmel in der Kneipe erst einmal kein Problem gewesen war. Konkret gesagt hatte sie ihn einfach stehenlassen, während er sie beschimpfte und sich durch die Menge zu Nico und anderen Freunden, die sei bereits seit Kindertagen kannte, durchgedrängt, um mit ihnen in Ruhe zu feiern. Jan war ihr nicht gefolgt und zunächst war alles gut erschienen, sie hatte ihn gar nicht mehr wahrgenommen. Doch dann, irgendwann zu fortgeschrittener Stunde, als sie bereits ganz gut etwas getrunken hatte, waren sie und Nico sich näher gekommen, so, wie man sich an Karneval nun einmal näher kommt, manchmal. Es war wie in diesem Lied gewesen "1000 Mal berührt, 1000 Mal ist nichts passiert...". Sie kannten sich schon so lange und waren sich eigentlich, bis auf eine kleine Anspielungen im Suff, die aber immer eher spaßig gemeint waren, noch nie ernsthaft näher gekommen. Jan hatte das zwar immer anders gesehen - Nico und er waren lange Zeit sehr gut befreundet gewesenen, was sich geändert hatte, als Lotte und Jan ihre erste von vielen Trennungen hatten und Nico sich auf Lottes Seite geschlagen hatte. Es war damals rein freundschaftlicher Natur gewesen und Nico hatte lediglich zu ihr gehalten, weil er es nicht hatte mitansehen können, wie mies Jan sie behandelt hatte, aber Jan hatte es nie glauben wollen und ihnen immer eine Affäre unterstellt.
Plötzlich hatte Nico ihr dann gestern Abend beim Tanzen ins Ohr geflüstert, was sie davon halten würde, wenn sie an diesem wunderbaren Karnevalssonntag Jans Albtraum Wahrheit werden lassen würden und wirklich ein bisschen Spaß miteinander hätten, es würde schließlich eh nichts ändern und am Dienstag würde der Nubbel alles wieder ungeschehen machen. Sie hatten noch kurz eng umschlungen getanzt und hatten dann die Kneipe verlassen, um sich ein ruhigeres Plätzchen zu suchen. Kaum waren sie jedoch vor die Tür getreten, war Jan plötzlich auf sie zugestürzt gekommen und hatte Nico seine Faust ins Gesicht gerammt. Lotte hatte versucht dazwischen zu gehen und deeskalierend zu wirken, da sie wusste, dass auch Nico durchaus aggressiv werden konnte, wenn er nicht mehr ganz nüchtern war. Ihr Erfolg war gewesen, dass als Nächstes Jans Faust sie knapp unterhalb des Auges getroffen hatte und sie zu Boden gestürzt war. Inzwischen waren andere Jecke herbeigeeilt und halfen ihr hoch, während Nico auf Jan losstürzte und ihn zusammenschrie, ob er inzwischen völlig den Verstand und jegliche Ehre verloren hätte, eine Frau zu schlagen, während Jan sie beide auf's Übelste beschimpfte. Sie selbst war durch den Schlag, den Schock und vermutlich auch den Alkohol so benebelt gewesen, dass sie die Details gar nicht mehr mitbekommen hatte, sie wusste nur, dass am Ende ein Streifenwagen gekommen war, während die beiden Streithähne bereits getrennt worden waren, aber Jan immer noch wahnsinnig aggressiv tobte und versuchte, sich aus der Umklammerung zweier Schränke zu lösen und wieder auf sie oder Nico loszustürzen, und die Polizisten Jan schließlich in den Wagen gepackt und mitgenommen hatten. Inzwischen waren auch andere aus der Clique aus der Kneipe gekommen und Lisa und Ines, die sie ebenfalls von Kindesbeinen auf kannte, hatten gesagt, sie würden sie nach Hause bringen, es wäre wohl besser, wenn Nico das nicht übernehmen würde. Hier war sie nun gerade aufgewacht und spürte, dass sie ihr linkes Auge kaum öffnen konnte, weil es durch den Schlag, der es eigentlich nicht einmal richtig getroffen hatte, so zugeschwollen war. Dabei hatte sie es gestern Abend, als sie zu Hause war, sofort gekühlt.
Sie war immer noch fassungslos. Auch wenn der Schlag nicht direkt ihr gegolten hatte, sondern eher in Richtung Nico gegangen war, so hatte Jan doch mit seinen Beschimpfungen hinterher deutlich gemacht, dass er ihn nicht als Fehlschlag sah. Und hätte man ihn gelassen, so hätte er ihr vielleicht noch mehr verpasst. Was war nur mit ihm geschehen, dass er zu solchen Dingen fähig war?
Karneval war jedenfalls für sie gelaufen, mit diesem Auge würde sie vorerst das Haus nicht mehr verlassen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Sie sah grauenvoll aus und außerdem war das Gefühl widerlich, es spannte und schmerzte.
Ihr kamen die Tränen, was es nicht besser machte. Sie versuchte, sich zusammenzureissen, um nicht noch mehr Schmerzen durch die Heulerei zu bekommen, aber es fiel ihr schwer. Sie fühlte sich so einsam, hilflos und gedemütigt. Es hatte nie gereicht zwischen Jan und ihr, immer wieder war es zu schlimmen Konflikten gekommen und es war auch nicht das erste Mal gewesen, dass ihm die Hand gegen sie ausgerutscht war, allerdings war es noch nie so aus heiterem Himmel gekommen. Sie fühlte sich bedroht und unsicher und wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie fragte sich auch, was die Polizei wohl mit ihm gemacht hatte. Vermutlich nichts, bestenfalls hatten sie ihn in eine Ausnüchterungszelle gesteckt, aber so betrunken war er ihr gar nicht vorgekommen.
Sie wünschte sich, mit ihm abschließen zu können und ihn nie wieder sehen zu müssen. Überhaupt wünschte sie sich gerade eigentlich nur ein bisschen Sicherheit und Geborgenheit, von einem anständigen Mann in die Arme genommen zu werden und sich beschützt zu fühlen. Sie sehnte sich nach Lars...

Samstag, 16. Februar 2013

Vor dem Fall - Sonntag, 10. Februar 2013

Lars erwachte, weil er auf die Toilette musste. Auf einem Radiowecker, der nicht seiner war, sah er in roten Lettern, dass es 07:24 Uhr war. Neben ihm lag eine dunkelhaarige Schönheit, die mit viel Glück vielleicht gerade 20 Jahre alt war und an deren Namen er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er beschloss, dass es die beste Idee sei, sich nicht nur leise ins Bad, sondern direkt danach aus der Wohnung zu stehlen.
Nichtsdestotrotz, es war gut gewesen mit ihr. Sie hatten sich gestern Abend zufällig in der Metro kennengelernt. Er hatte sie versehentlich angerempelt, darüber waren sie ins Gespräch gekommen und schließlich hatte sie ihn einfach gefragt, ob er nicht noch einen Kaffee mit ihr trinken wolle. Er war mit ihr gegangen und statt eines Kaffees waren es zwei Flaschen Rotwein geworden. Für ihre jungen Jahre war sie erstaunlich abgebrüht gewesen. Vielleicht wirkte sie auch nur so jung. Es spielte keine Rolle, er konnte sich nicht einmal an ihren Namen erinnern. Erst hatte sie ihm ihn nicht verraten wollen und dann am Ende, nachdem sie nach dem Rotwein noch mit einem Calvados angestoßen hatten, hatte sie ihm doch ihren Namen ins Ohr geflüstert. Er glaubte, dass er mit A angefangen hatte, aber selbst das konnte er nicht mehr sicher sagen. Es war egal. Leise zog er die Türe hinter sich zu und verließ die Wohnung. Er sah auf das Namensschild, aber dort stand nur der Nachname. Rouge. Na immerhin.

*****

Es war 8 Uhr morgens, als er nach Hause kam. Er setzte sich an den Computer, zündete sich eine Zigarette an und startete das Video, nicht ohne zuvor noch einen tiefen Schluck aus der Wodkaflasche genommen zu haben. Auf dem Bildschirm tanzte Lotte, nur in Unterwäsche bekleidet, auf das Bett zu. Lasziv räkelte sie sich dann auf den Laken. Nach drei Minuten stoppte er das Video wieder. Er konnte es nicht ertragen. Damals hatte sie noch ihm gehört. Da war sie ihm noch treu gewesen, wenigstens hoffte er das. Auf jeden Fall hatte sie sich damals noch nicht jedem x-beliebigen Spinner an den Hals geworfen, wie sie es heute tat.
Noch nie hatte er sie so sehr gehasst wie jetzt. Er fragte sich, ob sie ihn bemerkt und bewusst provoziert hatte. Eigentlich war es fast unmöglich. Sie hatte vorher nicht wissen können, dass er auch in dieser Kneipe war und eigentlich hatte es auch nicht so gewirkt, als habe sie ihn gesehen, zumindest hatte sie ihn nie angesehen. Sie hatte ihn überhaupt nicht beachtet, weil sie nur Augen für diesen Widerling hatte. Mit einem Gartenzwerg hatte sie rumgemacht. Was für ein lächerliches Kostüm, aber es schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Sie hingegen hatte unglaublich sexy ausgesehen in ihrem Kostüm. Aber dessen war sie sich mit Sicherheit bewusst gewesen. Wie arrogant sie geworden war. Deswegen traute er es ihr auch zu, dass sie ihn doch bemerkt hatte und das alles ein abgekartetes Spiel gewesen war. Wahrscheinlich würde er es heute Abend bemerken. Heute Abend, wenn sie sich in ihrer Stammkneipe im Veedel wiedersahen, wie jedes Jahr an Karnevalssonntag nach dem Zug. Wenn sie ihn dann auch wieder provozieren würde, war für ihn die Sache klar. Bestimmt würde sie es tun. Sie musste ja zeigen, dass sie etwas Besseres war, dass sie jeden haben konnte, dass er unter ihrem Niveau war. Verdammte Schlampe. Hochmut kommt vor dem Fall und du wirst tief fallen, ganz tief, dachte er.
Er nahm einen weiteren tiefen Schluck aus der Wodkaflasche und startete dann Battlefield. Er brauchte Ablenkung und an Schlafen war nicht zu denken, dafür war er viel zu aufgebracht.

Ablenkung gesucht - Samstag, 09. Februar 2013

Heute fühlte sich Lotte wieder fit. Sie war sehr erleichtert gewesen, dass alle ihre Qualen vom Vortag nach dem Aufwachen wie weggeblasen gewesen waren. Das war zumindest soweit wahr, wie es sich um die körperlichen Qualen handelte. Der aktuelle Zustand mit Lars und auch der Gedanke, was Jan wohl an Karneval treiben könnte, quälten sie nach wie vor. Aber davon würde sie sich am Abend beim Geisterzug ablenken, wo sie gemeinsam mit Doro und ein paar Kommilitoninnen mitfeiern wollte. Die Frage war lediglich, wie sie sich bis 17 Uhr ablenken sollte, denn dann erst trafen sie sich. Sie beschloss, sich erst einmal mit ein paar sinnlosen Spielen auf Facebook abzulenken, das klappte eigentlich immer recht gut. Gerade als sie sich eingeloggt hatte, klingelte ihr Handy. Es wurde mit unterdrückter Nummer angerufen und da fürchtete, es könne Lars sein, ging sie nicht ran. Tatsächlich war ihre Befürchtung nicht unbegründet gewesen. Nur zwei Minuten später piepte eine SMS, die ebenfalls von Lars war.

Charlotte, bitte geh ans Telefon oder schick mir wenigstens eine SMS, wann wir reden können. Mir ist klar, wie es auf Dich wirken muss, aber es ist anders. Bitte, ich will es Dir nicht per SMS oder Mail schreiben müssen. Lars

Wieder kreisten ihre Gedanken darum, was passiert sein könnte. Aber was immer es war, er schien sich nicht getrennt zu haben und damit war alles andere eigentlich hinfällig.
Sie drückte auf Antworten.

Wir können reden, wenn Du Dich getrennt hast. Falls Du Dich getrennt hast. Ansonsten gibt es nichts zu reden.

Kaum hatte sie die Empfangsbestätigung für die SMS erhalten, ging erneut ein Anruf mit unbekannter Nummer auf ihrem Handy ein. Sie drückte ihn weg und schaltete das Handy aus. Wenn er jetzt auch noch auf Festnetz anrief, würde sie das Kabel aus der Wand reißen.
Kurzentschlossen griff sie selbst zum Hörer und rief Doro an, ob sie nicht Lust hätte, bereits jetzt mit dem Vorglühen zu beginnen. Sie hatte.

*****

Lars kam sich vor wie ein Tiger im Käfig. Er hatte sich noch nie in seinem Leben so ratlos gefühlt. Er war weder mit seinen Überlegungen, wie es mit Ute weitergehen sollte, noch mit denen, wie er das alles Charlotte beibringen sollte, auch nur ein Stück weiter gekommen. Allerdings hielt ihn das inzwischen nicht mehr davon ab ständig zu versuchen, Charlotte zu erreichen Er hoffte einfach, dass ihm spontan die richtigen Worte in den Sinn kommen würden, wenn er erst einmal mit ihr sprach. Damit, dass sie so konsequent den Kontakt mit ihm verweigerte, hatte er ebenfalls ziemlich zu knabbern. Er war es gewohnt, die Fäden in der Hand zu haben und momentan schien es so, als habe er auf ganzer Linie die Kontrolle verloren.
Er fragte sich, ob es vielleicht sinnvoll wäre, heute Abend ein wenig Ablenkung zu suchen und an einem Samstagabend in Paris auf Beutezug zu gehen. In den letzten Tagen war er dazu nicht in Stimmung gewesen, zu groß war die Angst gewesen, es könne auch bei einem seiner Beutezüge noch etwas schiefgehen, aber gerade war er sich sicher, dass es ihm eventuell helfen könnte, den Kopf ein wenig frei zu bekommen. Er musste eben genau darauf achten, wenn er sich aussuchte, dann würde auch kein Missgeschick passieren. Schließlich war ihm eigentlich in den ganzen Jahren noch keines passiert - außer jetzt mit seiner eigenen Frau. Wenn man die Sache mit Franziska außen vorließ, jedenfalls. Er dachte an die Karnevalsfeier vom Golfclub, die ebenfalls an diesem Abend stattfinden würde. Ein Glück, dass er in Paris war und Ute würde mit Sicherheit nicht alleine hingehen. Damit blieb ihm wenigstens weiterer Stress in Sachen Franziska erspart. Er war gespannt, ob sie sich heute noch einmal melden würde.

Freitag, 15. Februar 2013

Der Morgen danach - Freitag, 08. Februar 2013

Der Morgen danach brachte Lotte ein böses Erwachen. Sie hatte einen Wahnsinnskater und neben den Kopfschmerzen die in letzter Zeit schon fast obligatorische Übelkeit. Ob es daran lag, dass sie Fabio mit seinen seltsamen kurzen braunen Ringellöckchen plötzlich so gar nichts mehr abgewinnen konnte oder einfach an der Tatsache, dass sie wieder nüchtern war, vermochte sie nicht zu beurteilen. Allerdings war sie sich sicher, dass sie aufgrund aller dieser Tatsachen gerne auf das Frühstück verzichten konnte und machte sich unbemerkt aus dem Staub, während Fabio noch vor sich hin schnarchte.

Zu Hause angekommen aß sie einen Teller Nudeln mit Ketchup, das Einzige, worauf sie Hunger verspürte und jagte anschließend zwei Kopfschmerztabletten hinterher, in der Hoffnung, dass sie helfen würden. Danach kroch sie in ihr Bett und döste ein wenig, bis sie vom Vibrieren ihres Handys geweckt wurde. Lars rief an. Sie spürte sofort Schmetterlinge im Bauch, die allerdings gerade eher zu weitererer Übelkeit führten, als dass sie ein angenehmes Gefühl verursachten. Sie drückte den Anruf weg und atmete tief durch. Zwei Minuten später rief er erneut an. Diesmal ließ sie ihn durchklingeln, betete aber innerlich, er würde nicht auf die Mailbox sprechen. Kurz darauf kam eine SMS, die eine neue Mailboxnachricht vermeldete. Lotte beschloss, sie zu ignorieren. Sie stellte die Vibration ab und hoffte, ein wenig schlafen zu können, aber sie war zu unruhig und ihre Gedanken kreisten nur noch um Lars. Vielleicht hätte sie doch mit ihm reden sollen? Vielleicht hatte sie alles völlig falsch interpretiert und es war gar nicht vorbei, sondern sie führte es erst mit ihrem abweisenden Verhalten dorthin? Früher wären ihr solche Gedanken nicht gekommen, aber seit der Beziehung mit Jan war sie in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind. Sie hatten so unglaublich viele Mißverständnisse gehabt und er hatte ihr immer wieder vorgeworfen, der Beziehung mit ihrem abweisenden Verhalten aufgrund kleinerer Streitigkeiten den Todesstoß verpasst zu haben. Lotte sah das zwar nur bedingt ein, war aber dennoch inzwischen etwas übersensibel, was die Angemessenheit ihrer Reaktionen anging.
Sie fragte sich, was Jan wohl an Karneval machte. Wahrscheinlich trieb er es ziemlich bunt, wie immer. Ein Kind war dabei bereits herausgesprungen vor einigen Jahren. Sie mochte sich lieber nicht weiter ausmalen, wie seine Karnevalstage aussehen könnten. Der Stachel von damals saß immer noch zu tief.
Sie griff nach ihrem Handy und bekam einen weiteren Anruf in Abwesenheit von Lars sowie zwei SMS angezeigt.

Charlotte, bitte melde Dich. Ich möchte unbedingt mit Dir reden und Dir alles erklären.

Lottchen, meine Phantasie, was Du gerade an Karneval treiben könntest, um Dich von Deinem dämlichen Professor abzulenken, bringt mich um. Bitte, schick wenigstens eine SMS.

Die zweite SMS hatte er nur fünf Minuten nach der ersten geschickt. Wahrscheinlich war Ute gerade einkaufen und er hatte Langeweile. Wenn er wirklich etwas wollte oder sie ihm wichtig war, sollte er es ihr zeigen. Warum kam er nicht einfach vorbei? Er hatte es doch nicht weit. Sie würden ihn schmoren lassen. Entschlossen legte sie das Handy beiseite und rappelte sich hoch. Sie würde sich Kamillentee kochen, vielleicht kam der gegen die Übelkeit an.

*****

Auch an diesem Morgen war Ute erwacht, ohne dass ihre Periode über Nacht eingesetzt hatte. So langsam aber sicher hegte sie wirklich Hoffnung, sie war doch nun schon eine ganze Weile überfällig. In was für Verhältnisse ihr Kind geboren würde, bliebe abzuwarten, aber sie hoffte immer noch, dass in den kommenden Monaten bis zur Geburt mit Lars alles wieder in Ordnung kommen würde. Momentan hatten sie zwar so gut wie keinen Kontakt, auf seinen Wunsch hin, aber sie hoffte, sobald er die Ereignisse verdaut hatte, würde es sich ändern. Sie vermisste ihn zwar wahnsinnig, war aber ausnahmsweise gar nicht so traurig gewesen, als sie gestern seine SMS erhalten hatte, dass er über Karneval in Paris bleiben würde. Er hatte Karneval noch nie leiden können und wenn er feiern war, hatte er es immer nur für Exzesse genutzt, natürlich vor ihrer Zeit, aber die Versuchungen lauerten an diesen Tagen überall, so dass sie nicht unglücklich darüber war, wenn er aus der Schusslinie war. Ganz kurz hatte ihr der Gedanke einen Stich versetzt, er könne möglicherweise nicht alleine in Paris sein, sondern dort Besuch von Charlotte bekommen, aber das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie hatte sich erinnert, dass sie auf der Facebookseite von Dorothee Fotos entdeckt hatte, auf denen sie und Charlotte im letzten Jahr sehr ausgelassen Karneval gefeiert hatten und auf manchen Fotos sah es sogar so aus, als seien sie zumindest in der Vergangenheit in einem Tanzcorps gewesen. Ute selbst konnte mit Karneval zwar nichts anfangen, aber sie war sich sicher, dass wenn man solche Dinge an Karneval machte - und Charlotte hatte sehr vergnügt gewirkt auf den Fotos - man nicht über Karneval Köln verlassen und nach Paris reisen würde. Auch nicht für Lars. An dieser Hoffnung hing sie sich auf. Und selbst wenn sie doch dort sein sollte, über kurz oder lang würde Lars die Geschichte jetzt mit Sicherheit beenden, allein durch die Schwangerschaft. Und wenn er es nicht täte, würde sie es tun, da war Ute sich sicher. Sobald Charlotte sie mit ihrem Babybauch sehen würde, würde sie ganz sicher kein Interesse mehr an Lars haben.
Vielleicht sollte sie nochmal auf die Facebookseite von Dorothee gehen, möglicherweise gab es dort neue Karnevalsfotos. Dann hätte sie sogar einen Bildbeweis, dass Charlotte sich in Köln befand. Sie eilte an ihren Schreibtisch und fuhr den Rechner hoch...

Donnerstag, 14. Februar 2013

Weiberfastnacht - Donnerstag, 07. Februar 2013

Es war Weiberfastnacht und als hätte der liebe Gott doch ein Einsehen mit den Jecken, waren an diesem Morgen sowohl Lottes Übelkeit als auch das angesagte schlechte Wetter nicht vorhanden. Auch ansonsten fühlte Lotte sich deutlich besser, die Trägheit und Traurigkeit der vergangenen Tage hatten nachgelassen und sie freute sich fast ein wenig, sich gleich ins jecke Treiben zu stürzen, während sie früh am Morgen mit Schröder seine Runde drehte, bevor er gleich ins Karnevalsasyl zu Frau Klein ziehen würde.

Bei Doro angekommen stieg Lottes Laune weiter, sicherlich nicht zuletzt durch das Sektfrühstück. Vorglühen hatte noch keinem geschadet. Nach dem Frühstück schlüpften sie in ihre Kostüme und halfen sich gegenseitig beim Schminken. Sie zogen heute beide als Meerjungfrauen los und hatten sich schon vor Wochen entsprechende Kleider besorgt. Diese hätten sehr sexy sein können, aber aufgrund der Temperaturen entschieden sie sich für die pragmatische Variante und zogen vorerst dicke Mäntel darüber. Direkt nach dem ersten Tag Karneval mit einer Erkältung außer Gefecht zu sein, war das Letzte, was sie wollten.

Doro merkte Lotte nichts an, sie war selbst erstaunt, wie gut sie ihre traurigen Gedanken an diesem Tag verdrängen konnte. Neben dem Alkohol spielte dabei sicherlich auch der nette Pirat eine Rolle, den sie gemeinsam mit seinen Freunden schon recht früh an diesem Tag auf der Zülpicher Straße kennengelernt hatten. Nach einer Stunde gemeinsamen Tanzens hatte Lotte seine Zunge im Mund und nach zwei Stunden wusste sie immerhin, dass er Marcel hieß. Während sie gerade mit Doro darüber diskutierte, ob Marcel es wert wäre, ihn möglicherweise mit nach Hause zu nehmen, torkelte er plötzlich hinaus und übergab sich. Damit war die Antwort gegeben und sie und Doro beschlossen, noch einmal weiter in eine andere Kneipe zu ziehen. Dort lernte sie unter anderem einen Polizisten namens Fabio kennen und er überzeugte sie am Ende des Tages, dass jemand der Fabio heiße doch auf jeden Fall von einer Dame, die als Arielle verkleidet war, nach Hause begleitet werden müsse. Nachdem er ihr ein fürstliches Frühstück, falls benötigt auch mit salzigem Hering gegen den Kater, versprochen hatte, zog Lotte tatsächlich mit ihm heim und ließ den Tag ohne einen einzigen Gedanken an Lars ausklingen. Allerdings war es mit gefühlten 4 Promille sowieso nicht so leicht, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen...

*****

Es machte Lars rasend nicht zu wissen, was Charlotte gerade trieb. Vermutlich malte es ihm seine Phantasie viel schlimmer aus, als die Realität aussah, aber nach ihrer abweisenden SMS gestern Abend und der Tatsache, dass sie seine fünf Anrufversuche im Anschluss daran ignoriert hatte, mochte er sich nicht ausmalen, wie sie Weiberfastnacht feierte. Köln war ein Sündenpfuhl an diesen Karnevalstagen, das wusste er aus eigener Erfahrung. Bisher waren diese Erfahrungen für ihn immer positiver Natur gewesen, heute lernte er die andere Seite kennen.
Um diesen ohnehin verdorbenen Tag die Krone aufzusetzen, hatte er heute Mittag eine SMS von Franziska erhalten, in der sie ihm geschrieben hatte, wie sehr sie sich doch freue, ihn am Samstag auf der Karnevalsfeier des Golfclubs wiederzusehen und sie sei sich sicher, ihr Krankenschwesternkostüm würde ihm gefallen. Lars war sich ebenfalls sicher, dass er Freude an diesem Kostüm finden könnte, allerdings nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Ein weiteres Drama mit Franziska fehlte ihm momentan noch zum Supergau mit Ute. Inzwischen war er soweit, dass er überlegte, ob er über Karneval einfach in Paris bleiben sollte. Die Lust auf das jecke Treiben war ihm sowieso vergangen - abgesehen davon, dass er nie ein großer Karnevalsfan gewesen war, wahrscheinlich musste man dazu einfach in Köln groß geworden sein - aber Alkohol und Frauen hatte er an diesen Tagen dennoch immer mitgenommen, wenn sich die Gelegenheit geboten hatte. Dieses Jahr war ihm allerdings nicht danach und noch viel weniger war ihm danach, Ute wiederzusehen. Wenn er in Paris bleiben würde, wäre er nicht nur dem Karneval und Ute vorerst entkommen, er hätte auch das Problem mit Franziska gelöst. Ute würde im Leben nicht alleine auf diese Party gehen, also bestünde keinerlei Gefahr, dass Franziska etwas ausplaudern könnte. Er fand den Gedanken, einfach in Paris zu bleiben zunehmend angenehmer. Das einzige Manko war, dass er dann keine Gelegenheit hätte, mit Charlotte persönlich zu sprechen. Aber ganz offensichtlich stand ihr danach momentan sowieso nicht der Sinn. Und falls es sich noch ändern sollte, hätte er jederzeit sofort einen Zug genommen. Seine Entscheidung war gefallen, er würde die Tage in Paris verbringen. Er schickte Ute eine SMS, um ihr Bescheid zu sagen. Sie kommunizierten momentan ausschließlich per SMS und auch nur über Dinge, die unbedingt geklärt werden mussten. Ansonsten hatten sie sich gerade nur sehr wenig zu sagen und er hatte immer noch keine Idee, wie es weitergehen sollte mit ihnen und dem Kind.

Mittwoch, 13. Februar 2013

Ganz oder gar nicht - Mittwoch, 06. Februar 2013

Lotte konnte kaum beschreiben, wie froh sie war, dass seit dieser Woche Semesterferien waren. Wenn sie momentan zur Uni gemusst hätte oder gar noch Ute begegnet wäre, es hätte sie umgebracht. Nicht, dass ihre Bauchschmerzen weit davon entfernt waren. Dass ihr solche Sachen auch immer direkt auf den Magen schlagen mussten. Abgesehen davon, dass sie sowieso seit Lars' Mail keinen Appetit mehr verspürte, konnte sie mal wieder kaum etwas bei sich behalten, falls sie sich doch mal ein paar Nudeln oder ein bisschen Schokolade gegen den Kummer reinzwang. Gestern Abend war es losgegangen, dass sie sich wieder andauernd hatte übergeben müssen. Diese Dauerübelkeit machte ihren Zustand noch elender, als er ohnehin schon war.
Gestern Abend hatte Lars noch eine SMS geschickt - sie hatte sie nicht beantwortet und sie hatte auch keine Idee, wie sie sie zu interpretieren hatte. Sie sollte ihnen die Chance geben, miteinander zu reden... Und dann?! Worüber? Sie fühlte sich fürchterlich. Beim Lesen der SMS hatte sich ihr Magen zusammengekrampft und dann war es losgegangen mit dieser verdammten Übelkeit. Abgesehen von kurzen Spaziergängen mit Schröder, die schließlich sein mussten, hatte sie sich seitdem nicht mehr aus ihrem Bett bewegt. Doro hatte mehrfach versucht, sie zu erreichen, aber sie hatte nicht einmal die Kraft gehabt, mit ihr zu telefonieren und ihr nur eine SMS geschickt, sie würde sie später anrufen. Daraufhin hatte sie ihr geschrieben, dass sie nur fragen wolle, ob sie sich morgen ins Getümmel stürzen sollten an Weiberfastnacht. Lotte wusste es nicht. Vielleicht wäre es das Beste, morgen loszuziehen und sich hemmungslos zu betrinken. Ihre Übelkeit konnte kaum mehr schlimmer werden - vielleicht wurde sie ja besser, wenn sie erst einmal abgelenkt war.
Kurzentschlossen griff sie nach ihrem Handy, um Doro zu antworten. Sie würde gar nichts von Lars erwähnen vorerst, das könnte sie ihr immer noch sagen, falls sie morgen schlappmachen würde.

Alles klar, um 10:00 Uhr bei Dir zum Sektfrühstück und gemeinsamen Schminken und dann ab auf die Piste. Ich freu mich! Knutscha

Es konnte nur besser werden morgen. Irgendwie spürte Lotte eine plötzliche Erleichterung, sich aufgerafft zu haben und morgen doch loszuziehen. Sie griff erneut nach ihrem Handy.

Ich geh morgen feiern, von vormittags an. Ich werde mir von Dir Karneval nicht verderben lassen und auch sonst nichts mehr. Ich nehme mir nur Zeit für Dich, wenn Du bleibst - und ansonsten kannst Du bleiben, wo Du bist und ich will Dich nie wiedersehen. Also ganz oder gar nicht! Lotte

Leere - Dienstag, 05. Februar 2013

Lotte fühlte sich seit gestern Abend einfach nur noch leer. Lars hatte sich gemeldet und die Mail hatte all ihre Ahnung bestätigt. Er hatte es zwar nicht konkret ausgesprochen, aber dennoch war alles klar. Er würde sich wieder nicht trennen, alles Hoffen war umsonst gewesen. Warum sonst sollte er sich mit ihr treffen wollen? Was sonst sollte er ihr persönlich sagen wollen?
Sie wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Sie hatte sich so sehr gefreut auf die kommende, gemeinsame Zeit und nun war wieder alles aus und das auch noch kurz vor Karneval. Eigentlich liebte sie Karneval über alles, aber wenn nicht noch ein Wunder geschah bis Donnerstag, hätte Lars ihr die tollen Tage gehörig verdorben.
Sie fühlte sich wie betäubt und konnte nicht einmal sagen, ob sie dieses Treffen wollte oder nicht. Eigentlich wollte sie nichts lieber, als ihn zu sehen, andererseits war sie sich sicher, er würde ihr sowieso nur sagen, dass er sich - aus welchen Gründen auch immer dieses Mal wieder - nicht von Ute trennen könnte und alles wäre beendet. Genau das wollte sie aber nicht. Allein der Gedanke an solch ein Abschiedstreffen trieb ihr die Tränen in die Augen. Andererseits haderte sie mit sich, dass wenn sie jetzt gar nicht mehr reagierte, sie ihn ganz verlieren könnte. Eigentlich musste sie kämpfen, aber ihr fehlte gerade die Kraft dazu. Vielleicht sollte sie ihn einfach vergessen und sich ins Karnevalsgetümmel stürzen, Ablenkung würde sie dort genug finden.
Sie seufzte. Sie würde ihm morgen antworten. Oder auch nicht...

*****

Als Ute an diesem Nachmittag weiterhin auf ihre Periode wartete, keimte neue Hoffnung in ihr auf. Vielleicht war sie wirklich schwanger und der Test konnte es nur nicht zeigen. Sie griff zum Hörer, um einen Termin bei ihrer Frauenärztin zu vereinbaren. Man teilte ihr mit, dass vor Karneval nur noch Notfälle angenommen würden und vertröstete sie auf nächste Woche Freitag. 
Falls sie bis dahin nicht ihre Tage hätte, war die Sachlage wohl auch so eindeutig, dachte Ute ungeduldig. Auf jeden Fall würde sie also Karneval auf Alkohol verzichten. Nicht, dass es ihr schwer fiel, sie war ohnehin keine Karnevalsfreundin und hätte mit der Schwangerschaft eine gute Ausrede, sich dem ganzen Treiben zu entziehen. Allerdings hatte sie kein gutes Gefühl dabei, Lars alleine losziehen zu lassen. Er mochte zwar Karneval ebenfalls nicht, allerdings gab es am Samstag Abend eine Karnevalsparty vom Golfclub, auf die er sicherlich gehen würde. Nein, dahin würde sie ihn nicht alleine gehen lassen. Auch wenn mit Franziska nichts gelaufen war an diesem Abend, hatte sie kein gutes Gefühl dabei, wenn er ihr alleine gegenüberstand, gerade an Karneval, wo in Köln scheinbar niemand mehr irgendwelche Hemmungen kannte.

*****

Am Abend hatte Lars immer noch keine Rückmeldung von Charlotte erhalten. Er spielte mit dem Gedanken, sie doch anzurufen, aber das hätte ihn zu Aussagen genötigt, die er am Telefon nicht machen wollte. Er musste persönlich mit ihr sprechen. Vielleicht musste sie seine Nachricht noch verdauen, es war schließlich auch aus dieser Mail deutlich geworden, dass sich ihre Beziehung nicht in die geplante Richtung entwickeln würde. Er würde ihr noch bis Morgen Zeit geben zu reagieren, falls dann nichts kam, würde er sich etwas einfallen lassen, wie er nachhaken konnte, ohne alles noch schlimmer zu machen.
Aber wenigstens eine SMS wollte er ihr zukommen lassen.

Lottchen, ich denke Tag und Nacht an Dich! Bitte geb uns die Chance, miteinander zu reden. Lars

Montag, 4. Februar 2013

Vom Leben gef*ckt - Montag, 04. Februar 2013

Ute hatte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen. Sie fragte sich, ob diese Schlaflosigkeit irgendwelche Auswirkungen auf den Morgenurin haben konnte. Wahrscheinlich nicht. Mit zitternden Fingern hielt sie den Streifen in den Becher und wartete angespannt, wie viele Streifen sich zeigen würden. Es blieb bei einem. Dieser eine verdammte Streifen! Wie sie diesen Anblick hasste! Sie hatte es geahnt! Die Tränen rannen über ihre Wangen, als sie ihn in den Abfalleimer stopfte. Was sollte sie nur tun? War es vielleicht doch noch zu früh für den Test? Immerhin hatte sie bisher weiterhin nicht ihre Tage bekommen. Vielleicht war sie doch schwanger. So lange ihre Periode nicht da war, gab es eine klitzekleine Hoffnung. Im Internet hatte sie einmal davon gelesen, dass in seltenen Fällen solche Tests auch manchmal nicht anschlugen. Vielleicht war sie ja einer dieser Fälle? Sie musste sich zusammenreißen und ruhig bleiben, alles andere würde dem Baby schaden, falls es eins gab. Bis morgen würde sie noch abwarten, dann würde sie einen Termin bei ihrer Frauenärztin machen. Falls es danach immernoch bei "nicht schwanger" bleiben sollte, musste sie sich etwas Gutes einfallen lassen...

*****

Selten in seinem Leben hatte Lars sich so ratlos gefühlt. Es war alles wie ein Albtraum und er wartete sehnsüchtig darauf, dass er erwachte oder Ute ihm sagen würde, es wäre alles nur ein dummer Scherz gewesen. Aber natürlich war es das nicht. Er wurde Vater. Er konnte es immer noch nicht glauben. Er fühlte sich nicht bereit dafür, jedenfalls nicht unter diesen Bedingungen. Wäre die Trennung von Ute gelungen und Charlotte hätte ihm in ein paar Monaten die Nachricht einer Schwangerschaft überbracht, hätte er sicherlich damit leben können. Ja, mit Charlotte konnte er sich eine kleine Familie vorstellen, aber nicht mit Ute. Er war völlig ratlos und wusste nicht, was er tun sollte. Sein Gefühl sagte ihm, dass das alles keinen Sinn hatte und er die Trennung durchziehen musste. Wenn das Kind von Anfang an ohne einen Vater zu Hause groß wurde, würde ihm gar nicht soviel fehlen. Es wäre normal, dass der Vater nur am Wochenende zur Verfügung stand. Er war sich sicher, wenn ein Kind es nicht anders kannte, wäre es gar nicht so wild. Utes Eltern würden sie mit Sicherheit unterstützen und ansonsten würde er natürlich auch kräftig zahlen für eine Tagesmutter oder was auch immer. Seinem Nachwuchs sollte es an nichts fehlen, er wollte nicht, dass das Kind unter der Situation litt.
Das Problem war, dass das Kind litt, wenn die Mutter während der Schwangerschaft litt, das hatte Peter ihm ziemlich deutlich gemacht, als er sich bei ihm ausgeheult hatte. Wenn er Ute verlassen würde, würde sie zweifellos leiden und das würde dem ungeborenen Kind schaden. Er dachte daran, wie labil Ute war. Er konnte sich jetzt nicht trennen, während sie schwanger war, es ging einfach nicht. Wenn sie das Kind verlieren würde, würde er es sich niemals verzeihen. So weit ging selbst der Egoismus eines Lars Laslandes nicht. 
Doch wie sollte er es Charlotte beibringen? Er musste sich sowieso dringend bei ihr melden, fiel ihm gerade auf. Er hatte versprochen gehabt, sich am Samstag bei ihr zu melden, sobald die Trennung vollbracht war und nun war es Montagabend und er hatte sich immer noch nicht gemeldet. Aber was sollte er ihr sagen? Wie sagte man jemandem so etwas? Er konnte ihr das unmöglich per Mail mitteilen. Aber sie anzurufen und es ihr am Telefon beizubringen, erschien ihm auch nicht viel angemessener. Nein, er musste es ihr persönlich sagen. Aber das ging erst, wenn er wieder zurück in Köln war und bis dahin waren es noch ein paar Tage. Er musste sich auf jeden Fall vorher bei ihr melden. Aber was zum Teufel sollte er sagen? Es konnte nur schiefgehen. Er wusste doch selbst nicht, wie es weitergehen sollte und genau das, würde sie von ihm wissen wollen. Er wollte sie nicht verlieren. Aber sie würde sich hingehalten fühlen. Er war sich sicher, dass sie ausrasten würde, wenn er ihr sagte, dass er erstmal bei Ute bleiben musste, solange sie schwanger war.
Warum hatte das überhaupt passieren müssen? So viele Menschen wünschten sich Kinder und wurden nicht schwanger, warum musste Gott dann ausgerechnet ihnen ein Kind schenken, wo sie es gar nicht haben wollten? Peter hatte damals, als seine Freundin von einem anderen Kerl schwanger geworden war und sich von ihm getrennt hatte gesagt, er fühle sich vom Leben gefickt. Lars glaubte nun ungefähr zu wissen, wie es sich anfühlte.



Betreff:
Von: L.Laslandes@koelnmail.de 
An: Anne-P.De-Mon@hotmail.de
19:14 04.02.2013

Liebe Charlotte,

es tut mir unendlich leid, dass ich mich jetzt erst melde. Du wirst ahnen, dass es dafür einen Grund gibt, der nicht besonders erfreulich ist. 
Charlotte, ich möchte das alles persönlich mit Dir besprechen, am Telefon oder gar per Mail wäre es nicht angemessen. Bitte sag mir, wann wir uns sehen können, ich bin ab Donnerstag Abend in Köln und nehme mir die Zeit, wann immer Du es einrichten kannst. Ich weiß, es ist Karneval und es wird dadurch nicht einfacher werden. Ich möchte Dir auch gar nichts verderben, aber bitte, gib mir die Chance, dass wir alles persönlich klären und stell mir bitte vorher keine Fragen, auf die ich zum jetzigen Zeitpunkt selbst keine Antworten kenne.
Mir ist bewusst, wie das jetzt alles auf Dich wirken muss, aber es ist nicht so. Vertrau mir und gib mir die Chance, es persönlich mit Dir zu besprechen.

Kuss

Lars


Unzufrieden las Lars die Mail noch einmal durch. Er konnte nicht die richtigen Worte finden, aber wahrscheinlich gab es sie auch gar nicht. Er konnte nur hoffen, dass Charlotte sich darauf einließ.

Sonntag, 3. Februar 2013

Ein Streifen letzter Hoffnung - Sonntag, 03. Februar 2013

Kaum war Lars an diesem Nachmittag abgereist, war Ute ins Bad gestürzt und hatte einen Schwangerschaftstest gemacht. Seitdem fühlte sie sich noch elender als zuvor, sofern dies überhaupt noch möglich war. Was hatte sie nur getan?
Sie hatte sich einfach so eine panische Angst gehabt gestern, als Lars ihr sein Fremdgehen gebeichtet hatte. Sie hatte gespürt, dass er ihr gleich sagen würde, dass er sie für Charlotte verlassen wollte und das hatte sie mit aller Verzweiflung verhindern wollen. Deswegen hatte sie, bevor er überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, es auszusprechen gesagt, dass sie schwanger sei. Es war die einzige Hoffnung, die ihr spontan eingefallen war, mit der sie ihn möglicherweise halten konnte. Natürlich hatte sie nicht gewusst, ob sie wirklich schwanger war, es war ja nur ihr Verdacht, aber wäre sie später damit angekommen, nachdem er ausgesprochen hatte, dass er sie verlassen wollte, hätte seine Entscheidung womöglich festgestanden. Vielleicht wäre er sofort zu Charlotte gezogen und wenn sie ihn permanent umgarnen konnte, welche Chance hätte sie dann noch gehabt, wenn sie dann mit der Schwangerschaft angekommen wäre, zumal Lars ja nicht einmal einen Kinderwunsch hatte zur Zeit. Sie hatte es als ihre einzige Möglichkeit gesehen in diesem Moment, um ihn nicht zu verlieren. Und nun saß sie hier im Bad und starrte auf einen Pappstreifen, der partout nicht den zweiten Steifen anzeigen wollte. Negativ, nicht schwanger, sie hatte sogar extra einen zweiten Test gemacht, aber beide waren sich einig. Ihre letzte Hoffnung war, dass es vielleicht noch so früh war, dass sie Morgenurin brauchte, damit der Test funktionierte. Einen letzten Test hatte sie noch übrig für morgen früh. Und ihre letzte Hoffnung. Wenn der Test auch negativ war, hatte sie noch mehr Probleme als ohnehin schon. Dann hätte sie Lars verloren. Falls sie das nicht längst hatte. Aber sie hatte das Gefühl, als gebe es noch eine Chance. Er war erst gegen 5 Uhr morgens nach Hause gekommen und hatte eine starke Alkoholfahne gehabt, aber er hatte ihr geschworen, dass er nicht bei ihr war, sondern sich gemeinsam mit Peter betrunken und Männergespräche geführt habe. Und heute Mittag, als er wieder nüchtern gewesen war und sie vor seiner Abreise noch einmal versucht hatten, miteinander zu reden, hatte er ihr versprochen, dass er sich seiner Verantwortung für das Kind stellen und sie damit nicht allein lassen werde. Zwar hatte er im Nachsatz gesagt, er könne ihr nicht sagen, wie das konkret aussehen würde, weil er sich erst noch über alles klar werden müsse, aber immerhin schien es so, als wolle er sie nicht verlassen und das war erst einmal das Wichtigste. Alles andere würden sie wieder hinbekommen. Wenn sie doch nur schwanger war...

*****

Als Lotte an diesem Morgen erwachte, hatte sie immer noch keine Nachricht von Lars auf ihrem Handy. Sie spürte eine innere Unruhe, die weiter wuchs, als auch die Abfrage ihrer Mails ergebnislos blieb. Hatte er doch nicht Schluss gemacht? Wieso meldete er sich nicht? Er hatte es ihr doch fest versprochen. Sie verstand es nicht. Gestern, als sie sich getroffen hatten, hatte sich alles noch so gut angefühlt und sie war sich sicher gewesen, er würde es diesmal durchziehen und endlich zu ihr kommen und nun schien sich alle Hoffnung wieder zu zerschlagen. Er würde wieder mit irgendeiner Ausrede ankommen, warum er es Ute dieses Mal nicht sagen konnte und wieder hatte sie umsonst gehofft.
Lotte spürte einen Kloß im Hals. Jetzt bloß nicht weinen, das war er nicht wert. Hastig machte sie sich fertig und ging eine Runde mit Schröder durch den Regen. Absichtlich mied sie den Park, auch wenn das Risiko gering war, dort Ute oder Lars zu begegnen, so wollte sie es an diesem Morgen doch nicht riskieren.
Wieder zu Hause stieg sie unter die heiße Dusche und kochte sich danach einen Tee, der gleichzeitig ihr Frühstück darstellte. Ihr war der Appetit vergangen.
Sie fragte sich, ob sie Lars eine Nachricht schicken sollte um nachzuhören, warum er schwieg, aber auch wenn die Versuchung groß war, entschied sie sich dagegen. Das hatte sie nicht nötig und außerdem würde er sich schon melden. Vielleicht hatte er es gestern auch aus irgendeinem Grund nicht geschafft mit Ute zu reden und wollte es heute machen. Aber dann hätte er ihr doch trotzdem kurz Bescheid sagen können... Sie spürte, dass der Grund seines Schweigens kein angenehmer Grund sein konnte und wieder irgendetwas schiefgegangen war. Hoffentlich meldete er sich heute, sonst würde sie verrückt werden. Sie hasste es, in der Luft zu hängen und er wusste das ganz genau. Warum tat er ihr das an?

Shoot - Samstag, 02. Februar 2013

An diesem Morgen hatte Lars die Gelegenheit genutzt, sich spontan mit Charlotte zu treffen. Ute war mit Susanne zu einem Yoga-Workshop verabredet gewesen, was er vergessen hatte oder sie hatte es ihm nicht gesagt, auf jeden Fall hatte sie sich um 10 Uhr dorthin verabschiedet und gesagt, dass sie nicht vor 14 Uhr zurück sei. Er hatte erst mit sich gehadert, ob es sinnvoll wäre Charlotte zu treffen, bevor er die Trennung von Ute hinter sich gebracht hatte, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass sie ihm vielleicht sogar die nötige Ruhe und Kraft geben konnte, um diesen Schritt ein wenig leichter zu tun. Also hatte er sie angerufen und sie hatte spontan Zeit gehabt. Später hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie wohl indirekt mit solch einem Treffen gerechnet hatte. Sie hatten gar nicht viel geredet, aber allein ihre Nähe hatte ihm gereicht, um sich besser zu fühlen und noch überzeugter davon zu sein, dass es an der Zeit war und er an diesem Nachmittag endlich das Gespräch mit Ute führen würde, das schon so lange überfällig war. Sie waren gemeinsam durch den Nieselregen durch den Park spaziert, über eine Stunde, unter einem großen Regenschirm eng umschlungen. Es war sein Regenschirm, Charlotte hatte keinen dabei gehabt, sie benutzte fast nie welche und hatte ihm sofort erklärt, dass sie für so ein bisschen Nieselregen doch keinen Regenschirm mit sich herumschleppen würde. Sein Angebot, zu ihm unter den Schirm zu kommen hatte sie aber nicht abgewehrt. Eine Viertelstunde waren sie einfach schweigend durch den Park gelaufen und hatten die Hunde beobachtet, dann hatte Charlotte ihn gefragt, ob er es Ute heute sagen würde und er hatte bejaht. Danach hatten sie wieder lange geschwiegen und dann hatte sie gefragt, ob er sich danach bei ihr melden würde. Er hatte gelacht und ihr geantwortet, falls Ute ihn rausschmeissen würde, wäre er auf ihr Asyl angewiesen. Sie hatte sofort zugestimmt, aber er hatte erwidert, dass er das nicht für die beste Idee hielte und gegebenenfalls im Hotel übernachten würde, er aber gar nicht davon ausgehen würde, dass Ute ihn hinauswerfen würde, so sei sie nicht. Er hatte Charlotte aber versprechen müssen, sich wenigstens zu melden, wenn es überstanden war, wenn auch nur mit einer kurzen SMS. Er hatte ihren Wunsch irgendwie verstehen können und es ihr versprochen. Auf ihre Frage, ob er Ute von ihnen erzählen würde, hatte er keine Antwort geben können. Ursprünglich war er sich sicher gewesen, dass es besser wäre, sie würde nie davon erfahren, sowohl für Utes Ego als auch für eine reibungslosere Trennung und Charlottes weiteres Studium. Inzwischen war er allerdings soweit, dass er unsicher war, ob er ihr nicht doch reinen Wein einschenken sollte, zumal sie sowieso von Charlotte erfahren würde und ja bereits einen Verdacht gehegt hatte. Es wäre nur fair, wenn sie es zuerst wüsste und nicht am Ende von irgendwem aus der Uni oder einem Bekannten erfuhr. Außerdem würde sie es so möglicherweise leichter akzeptieren. All das hatte er Charlotte dargelegt und sie hatte schließlich auch gemeint, es sei fairer, es Ute direkt zu sagen, falls sie nicht zu labil reagieren würde.
Danach hatten sie nicht mehr geredet und sich schließlich verabschiedet, als sie wieder am Beginn ihrer Runde angekommen waren. Sie hatten sich lange umarmt und geküsst und dann war er gegangen, mit dem Versprechen, sich später bei ihr zu melden, wenn er es hinter sich gebracht hatte.

Als er nach Hause gekommen war, war Ute noch nicht zurück gewesen. Es war noch fast eine Stunde Zeit, bis mit ihr zu rechnen war und so hatte er sich ein heißes Entspannungsbad eingelassen, um sich nach dem Spaziergang ein wenig aufzuwärmen. Während er in der Badewanne lag, überlegte er, wie er das Gespräch am besten einleiten sollte und wann. Er beschloss, dass eine kleine Stärkung zuvor nicht schaden konnte und er bis nach dem Essen abwarten wollte. Ute hatte gesagt, sie wolle auf dem Rückweg vom Yogaworkshop etwas Leckeres kaufen und dann kochen, wenn sie zu Hause sei. Es sprach nichts dagegen, das Essen noch abzuwarten. Die Henkersmahlzeit, dachte er süffisant.

Nach dem Bad fühlte er sich plötzlich müde, wahrscheinlich von der Wärme. Er föhnte sich nur schnell die Haare und legte sich dann nackt in sein Bett. Bevor er einschlief, musste er fast laut loslachen. Wahrscheinlich hatten nur wenige Männer die Ruhe, vor einer Trennung noch ein Mittagsschläfchen zu halten. Man musste es pragmatisch sehen, es würde wahrscheinlich das letzte Mal sein, dass er so ruhig in diesem Ehebett würde schlafen können. Das war sein letzter Gedanke, bevor er tatsächlich seelenruhig einschlief.

*****

Als Ute die Wohnung betrat, erwartete sie Hugo bereits erwartungsfroh im Flur. Sie begrüßte den Hund und sah sich nach Lars um. Er war nicht zu sehen. Als sie ihn rief, erhielt sie keine Antwort. Sie fragte sich, wo er sein konnte. Aber die Tür war nicht abgeschlossen gewesen, er musste zu Hause sein. Sie lief durch die Zimmer und entdeckte ihn schließlich tief und fest schlafend im Bett. Er musste geduscht und sich dann schlafen gelegt haben, denn im Bad war alles nass gewesen und sein Handtuch hatte er einfach auf dem Boden liegen lassen. Sie hasste es. Als wären sie im Hotel und er würde sie als sein persönliches Zimmermädchen betrachten. Es wäre doch wirklich kein Aufwand, das Handtuch einfach ordentlich über die Heizung zu hängen und nicht das halbe Badezimmer nach dem Duschen zu überschwemmen. Aber es war typisch für ihn. Genau, wie er in diesem Leben wahrscheinlich nie mehr lernen würde, eine Zahnpastatube zuzuschrauben. Man sah einfach immer, wenn Lars Laslandes im Bad gewesen war.
Doch ihr Zorn war schnell verraucht, als sie ihn im Bett gefunden hatte. Sie liebte ihn noch viel mehr, wenn er schlief. Sie hätte ihn stundenlang ansehen können. Dieses leichte Lächeln auf seinen Lippen und sein prachtvoller Körper, der soweit sie es erkennen konnte komplett nackt war und nur spärlich von der Bettdecke bedeckt wurde, die halb aus dem Bett gefallen war. Sie fragte sich, ob er krank wurde oder warum er sich zu einem Mittagsschlaf hingelegt hatte. Wenn ja, wäre es bestimmt nicht gut, dass er aufgedeckt war. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, griff sie nach der Bettdecke und deckte ihn richtig zu. Er war tatsächlich komplett nackt im Bett. Normalerweise schlief er nie nackt, irgendetwas stimmte doch nicht mit ihm. Oder war das alles inszeniert und er wollte sie locken, zu ihm ins Bett zu kommen? Sie verspürte tatsächlich nicht wenig Lust dazu, beschloss aber, ihn erst noch schlafen zu lassen und den Auflauf für das Mittagessen vorzubereiten. Sie hatte wahnsinnigen Hunger und der Auflauf brauchte eine Dreiviertelstunde, in dieser Zeit konnte sie immer noch zu ihm ins Bett kriechen.

Zufrieden sah Ute auf ihr Werk hinab. Der Auflauf sah köstlich aus, sie hatte sich extra das Rezept von Susanne geben lassen und war sich sicher, Lars würde begeistert sein. Sie schob ihn in den Ofen, stellte den Küchenwecker auf 45 Minuten und ging dann ins Schlafzimmer, um sich um die Vorspeise zu kümmern.
Lars lag bereits wieder fast völlig aufgedeckt da, er musste wahnsinnig unruhig schlafen. Sie fragte sich, ob er vielleicht Fieber hatte. Aber eigentlich sah er völlig gesund aus. Wahrscheinlich war seine Woche in Paris einfach anstrengend gewesen. Dann würde ihm ein wenig Entspannung jetzt gut tun...
Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus und kroch neben ihn ins Bett. Praktischerweise war auch sein bestes Stück bereits aufgedeckt und so machte sie sich daran zu schaffen und weckte ihn sanft. Er wurde sehr schnell wach und starrte sie erst völlig verwirrt an. Sie musste lachen und nahm seinen Schwanz kurz aus dem Mund. "Aufhören?", fragte sie. Er schüttelte nur den Kopf und grinste zufrieden.

*****

Beim Essen überkam Lars das schlechte Gewissen. Der Auflauf schmeckte vorzüglich, kam aber bei Weitem nicht an die Vorspeise heran. Jedoch war die es, die sein Gewissen quälte. Jetzt hatte er gerade mit Ute geschlafen, aß nun ihren Auflauf und zum Nachtisch sollte er ihr erklären, dass alles vorbei wäre? Natürlich war es ein Riesenfehler gewesen, in so einem Moment mit ihr zu schlafen, aber was hätte er denn tun sollen? Er hatte es ja nicht darauf angelegt, sondern friedlich geschlafen und war davon wachgeworden, dass sie seinen Schwanz im Mund hatte. Da hätte doch kein Mann gesagt "Du entschuldige, aber lass das bitte, ich würde gerne nach dem Essen mit dir Schluss machen und wollte mich vorher noch ein bisschen ausruhen.".  Vielleicht sollte er besser bis zum Abend damit warten, dann wirkte es nicht ganz so gemein. Er seufzte.
"Ist was? Fühlst Du Dich nicht gut?"
Lars schrak zusammen. Da war ihm wohl tatsächlich ein lauter Seufzer entfahren. "Nein, nein, ich war nur in Gedanken."
"Worüber denn?"
"Ich glaube, wir sollten heute Abend mal reden."
"Worüber denn?"
Utes Stimme klang alarmiert. Er hätte es gar nicht erwähnen sollen. Warum hatte er nicht einfach die Klappe gehalten? Aber jetzt konnte er es auch ebensogut durchziehen.
"Über unsere Beziehung."
Ute ließ das Besteck fallen. "Was willst du mir sagen? Sag es jetzt!"
"Ich... naja... ich..." Ihm fehlten die Worte. Warum musste die denn auch direkt wieder so hysterisch werden. "Ich habe..."
"Eine Andere?!", fiel Ute ihm ins Wort.
"Äh... ja. Genau. Eine Andere." Mein Gott, er fühlte sich wie in einer schlechten Comedy-Sendung. 
Plötzlich klang Utes Stimme wieder ganz ruhig. Bedrohlich ruhig. "Ich weiß. Charlotte Holzheim."
Fassungslos starrte Lars sie an. "Aber woher...?"
"Glaubst Du, ich bin völlig behämmert?"
Ihr Stimme wurde greller. Sie drohte wieder hysterisch zu werden. Er musste die Situation beruhigen. Er musste jetzt ruhig bleiben. "Ja, also ich meine, nein, natürlich nicht. Ich war nur überrascht... ach, ist auch egal. Hör zu, Ute, es tut mir leid. Ich war unfair zu dir und ich hätte das nie tun dürfen. Verzeih mir, aber ich..."
Sie fiel ihm ins Wort. "Es ist okay, also ich meine, nein, es ist nicht ok, aber ich verzeihe dir."
"Das ist lieb, Ute. Ich bin mir sicher, wir bringen das hier vernünftig über die Bühne."
"Was?!"
"Ja, die Trennung. Wir regeln das wie zwei erwachsene Menschen, ganz vernünftig und ohne schmutzige Wäsche."
Ihre Stimme wurde wieder greller. "Wieso Trennung? Ich will doch gar keine Trennung! Ich habe dir doch gesagt, ich verzeihe es dir. Du musst nicht gehen. Lars, es wird alles wieder gut, wir kriegen das hin. Ich werde dir das nicht ewig vorhalten, ich will auch gar nicht wissen, wie lange es gegangen ist, auch wenn es kein einmaliger Ausrutscher war, ich verzeihe es dir und bin froh, dass du es mir gesagt hast und jetzt wird alles wieder gut."
"Ute, entschuldige, ich glaube, du verstehst nicht..."
Plötzlich wich alle Farbe aus Utes Gesicht und Tränen schossen in ihre Augen. "Was verstehe ich nicht?"
"Es ist lieb, dass du mir das alles verzeihst, aber ich werde gehen. Ich..."
"Nein!"
"Ute, bitte! Das hat doch keinen Sinn! Wir werden das alles ganz vernünftig regeln..."
"Aber ich bin schwanger!"
"WAS?!"

Lars hatte das Gefühl, als würde der Stuhl unter ihm gleich nachgeben. Hastig griff er nach seinem Rotweinglas und leerte den den Rest in einem Zug. Ihm gegenüber saß Ute, ein zusammengesunkenes Häuflein Elend und sie weinte erbärmlich. Er brachte es nicht über sich, zu ihr hinüberzugehen und sie in die Arme zu nehmen. Sie war schwanger. Aber sie nahm doch die Pille...
"Aber ich dachte, du nimmst die Pille?"
"Irgendwas muss schiefgegangen sein, das kann passieren.", schluchzte sie mühsam.

Er stand auf und wollte den Raum verlassen.
"Gehst du zu ihr?"
"Nein, mich betrinken."

Freitag, 1. Februar 2013

Guter Hoffnung - Freitag, 01. Februar 2013

Als Lars in Köln eintraf, wurde er von dicken grauen Wolken und strömendem Regen empfangen. Die ganze Stadt war kalt und grau und traurig und irgendwie wirkte es, als wolle das Schicksal die passende Kulisse für die Ereignisse schaffen, die an diesem Wochenende anstanden.
Völlig durchgefroren und durchnässt trat er durch die Haustür und wurde direkt im Flur von Ute mit einem Kuss empfangen. Trotz seiner Trennungspläne hatte er ihr den obligatorischen Blumenstrauß vom Bahnhof mitgebracht. Da sie der Calla letztes Mal keinerlei Bedeutung beigemessen hatte, hatte er keinen Anlass gesehen, die bevorstehende Trennung nicht auch mit einem Blumenstrauß zu beginnen. Außerdem wollte er Stress vermeiden und es hätte sicherlich Utes Misstrauen geweckt, wenn er heute ohne Blumen erschienen wäre. Also hatte er einen schlichten Strauß rosafarbene Tulpen gewählt. Er fand sie ganz hübsch und außerdem waren sie nicht so teuer gewesen. Ein wenig Frühling brachten sie auch in diesen grauen Tag, also waren sie keine schlechte Wahl. Ute schien sich ebenfalls zu freuen, strahlend nahm sie ihm den Strauß aus der Hand, um die Blumen ins Wasser zu stellen und sagte ihm dann, er könne sich noch schnell frisch machen, in zehn Minuten sei das Essen fertig, sie habe extra für ihn gekocht, er sei doch bestimmt hungrig. Er warf einen Blick in die Küche und sah einen großen Topf mit Käse-Lauch-Suppe. Er liebte Käse-Lauch-Suppe und bei dieser Kälte kam sie ihm gerade recht. Vermutlich hatte Ute sich genau das dabei gedacht. Sein schlechtes Gewissen meldete sich kurz, weil sie so gut zu ihm war und er spätestens am Sonntag die Beziehung beenden wollte. Er wischte solcherlei Gedanken beiseite. Für Ute war es letztenendes auch besser so, außerdem hatte er ihr Blumen mitgebracht und sie nicht gebeten, Suppe für ihn zu machen und Charlotte hätte ihm bestimmt ebenfalls etwas Köstliches kredenzt, wenn er zu ihr gekommen wäre.
Ute kam zurück in die Küche und lächelte ihn an. Hastig verließ er die Küche um sich frischzumachen.

*****

Ute stand in der Küche und bereitete Rouladen für das Abendessen vor. Lars hatte sich so sehr über die Käse-Lauch-Suppe heute Mittag gefreut, dass sie beschlossen hatte, ihn heute Abend erneut glücklich zu machen und Rouladen für ihn zu kochen. Er liebte Rouladen und sie hatte extra vorhin beim Spaziergang noch Fleisch im Bioladen dafür besorgt, weil er seit Neuestem ja plötzlich Wert auf soetwas legte, Gott wusste, warum. Früher hatte es ihn nicht geschert und inzwischen glaubte sie manchmal, er würde irgendwann noch zum Vegetarier werden. Aber sie selbst fühlte sich in gewisser Weise auch besser, wenn ihre Lebensmittel Bioqualität hatten und in Zukunft würde sie vielleicht ganz besonders darauf achten müssen, sich gesund zu ernähren, schließlich ging es nicht mehr nur um sie. Ihre Periode war seit drei Tagen überfällig und mit jedem Mal, wo sie auf Toilette war und weiterhin nichts Rotes sichtbar war, stieg ihre Laune. Sollte es tatsächlich endlich geklappt haben mit ihrer Schwangerschaft?
Sie wusste, dass drei Tage noch nicht unbedingt viel bedeuten mussten, zumal ihr Zyklus sowieso nicht unbedingt regelmäßig war, aber normalerweise war er eher zu kurz als zu lang und außerdem hatte sie so ein Bauchgefühl. Sie hatte es noch nicht gewagt einen Frühtest zu machen, zu sehr steckten ihr die Enttäuschungen der letzten Tests noch in den Knochen. Aber gekauft hatte sie bereits mehrere Tests und sie hatte beschlossen, den Test am Sonntagmorgen zu machen. Dann könnte sie Lars die freudige Nachricht direkt überbringen und ihm den Test zeigen, falls bis dahin nicht doch noch ihre Periode kam, aber sie hoffte und spürte, dass dies nicht der Fall sein würde.
Sie war sich sicher, dass er sich auch freuen würde, auch wenn es nicht geplant war und sie es vor ihm als Unfall darstellen musste, sie durfte ja nicht sagen, dass sie die Pille bereits seit Monaten abgesetzt hatte. Deswegen hatte sie auch stets brav ihre Pillenpackung auf dem Nachttisch drapiert und drückte jeden Tag eine Tablette heraus und entsorgte sie. Wenn er den ersten Schock überwunden hätte, würde er sich sicherlich wahnsinnig freuen und spätestens nach dem Sommersemester wirklich aus Paris zurückkommen und dann würden sie eine wunderbare kleine Familie sein und ihre Ehekrise und Charlotte würden der Vergangenheit angehören. Ute konnte es kaum abwarten. 
Bis dahin wollte sie Lars noch kräftig verwöhnen, damit er am Sonntag die freudige Nachricht vielleicht doch direkt schon ganz entspannt aufnehmen würde.