Montag, 17. Juni 2013

Ins Auge gehen - Donnerstag, 21. Februar 2013

Jan erwachte mit einer unbändigen Wut im Bauch, als der Wecker ihn aus dem Schlaf riss. Er war gerade auf dem Weg ins Bett gewesen gestern Abend, als sein Handy aufgeleuchtet hatte und eine SMS von Lotte anzeigte. Natürlich wollte sie ihm wieder nur Vorwürfe machen, das blöde Miststück. Sie machte eine große Nummer daraus, dass er ihr Karneval versehentlich einen mitgegeben hatte. Wie sie sich zuvor aufgeführt hatte, darauf war sie natürlich nicht eingegangen. Während sein Ärger gewachsen war, war noch eine zweite SMS hinterhergekommen, als hätte sie seine Gedanken lesen können. Darin machte sie plötzlich einen auf zahmes Reh und bat um eine Aussprache. Es war doch absolut lächerlich. Wenn er so böse war, warum kam sie dann wieder angekrochen? Es ging ihr doch bloß darum, ihm Vorwürfe zu machen oder ihn dann wieder mit irgendwelchen anderen Kerlen oder sonstigen hinterfotzigen Aktionen zu verletzen. Deswegen hatte er ihr auch gar nicht erst geantwortet gestern Abend. Trotzdem hatten ihm ihre SMS die halbe Nacht seines Schlafes beraubt und nun fühlte er sich wie zerschlagen. Gegen 4 Uhr morgens, kurz, bevor er endlich eingeschlafen war, waren seine Gedanken so weit gewesen, dass er eine gewisse Versuchung empfand, ihr doch zu antworten und sich mit ihr zu treffen. Er konnte gar nicht sagen, was genau ihn an einem Treffen reizte. Vielleicht war es der Gedanke, seiner Wut Luft zu machen und ihr persönlich zu sagen, was sie für ein Miststück war. Zu sehen, dass ihr Gesicht auch ohne Make Up völlig unbeschädigt war und ihre Vorwürfe aus der Luft gegriffen und lächerlich. Vielleicht wollte er es ihr auch klarmachen, ihr zeigen, dass sie ihn doch brauchte, auch wenn sie mit ihrem arroganten Gehabe an Karneval kläglich versucht hatte, ihm das Gegenteil zu beweisen. Er malte sich aus, wie sie zu ihm kam, er ihr klarmachte, wie lächerlich und aufgesetzt ihr Verhalten war und danach über sie herfiel und sich nahm, was ihm zustand. Und zwar nur ihm und nicht irgendeinem anderen ihrer Scheißkerle, mit denen sie immer wieder versuchte, ihn eifersüchtig zu machen. Vielleicht würde sie zuerst so tun, als ob sie es nicht wolle, aber am Ende würde sie ihm dankbar sein und zu schätzen wissen, dass er es ihr besorgt hatte. Sie würde begreifen, wo sie hingehört. Hoffentlich. Er griff zu seinem Handy.

Ok, sei heute Abend um 20 Uhr bei mir. Jan

*****
Routinemäßig war Lotte einen Blick auf ihr Handy, um zu sehen, wie spät es war, als sie aus der Dusche zurück ins Schlafzimmer lief. Sie verspürte einen Schlag in die Magengrube und Aufregung stieg in ihr hoch. Eine SMS von Jan. Damit hatte sie nicht gerechnet. Zwar hatte sie natürlich ein bisschen darauf gehofft, aber nun, wo tatsächlich eine da war, verspürte sie mehr ein beklemmendes Gefühl und eine leichte Angst, als den Drang, die SMS zu öffnen. Natürlich siegte ihre Neugier trotzdem und sie tippte mit leicht zitternden Fingern auf den Touchscreen um die Nachricht zu lesen, nachdem sie sich schnell ein Shirt übergestreift hatte.
Heute Abend um 20 Uhr... es war so typisch, dass er versuchte, ihr zu befehlen, wann sie sich sehen würden, dass das Treffen nach seinen Bedingungen abzulaufen hatte, wenn er sich schon dazu herab ließ. Aber sie wusste, dass jede Diskussion zwecklos sein würde. Wenn sie etwas dagegen sagen würde, würde er sich gar nicht mit ihr treffen. Vielleicht wäre das auch besser, aber den Gedanken schob sie schnell wieder weg. 
Sie überlegte. Eigentlich musste sie heute Abend Babysitten. Der Termin stand bereits seit drei Wochen und Margit, die Mutter der Zwillinge, auf die sie aufpassen sollte, würde alles andere als erfreut sein, wenn sie so kurzfristig absagen würde. Andererseits gab ihr Auge immer noch Anlass zu unangenehmen Nachfragen und sie war sich relativ sicher, dass Margit ihr welche stellen würde, sie war genau der Typ dafür. Allein das war Argument genug, den Termin abzusagen, sie hatte keine Lust, ihr irgendeine Geschichte aufzutischen oder sich für etwas rechtfertigen zu müssen, dass hatte sie bei Doro in den letzten Tagen bereits oft genug gemusst. Sie würde gleich anrufen und Margit mitteilen, dass sie eine Augenentzündung habe und die Kinder damit nicht anstecken wolle. So war immerhin ein Fünkchen Wahrheit mit dabei und bei so einem Grund konnte sie sich auch nicht über ihren Ausfall beklagen. Es war ja auch nicht so, dass sie ständig Termine absagte. Bisher hatte sie es nur ein einziges Mal getan und damals hatte sie mit 40 Fieber und einer Sommergrippe im Bett gelegen. Sie war sonst immer zuverlässig, also konnte sie sich das heute erlauben. Sie griff zum Hörer, um Margit über ihre Augenentzündung in Kenntnis zu setzen.

*****

Ute verspürte immer noch eine unendliche Erleichterung. Die Entfernung der Zyste war ohne Komplikationen verlaufen und nach allem, was die Ärzte ihr gesagt hatten, war die Sache damit erledigt. Es gab keinen Anlass anzunehmen, dass diese Geschichte zukünftige Schwangerschaften negativ beeinflussen könnte, hatte man ihr versichert und auch sonst fühlte sie sich bestens und spürte keinerlei Nachwirkungen des Eingriffs.
Am Nachmittag wollte sie in die Stadt und sich zur Feier des Tages ein paar neue Sachen kaufen, um damit hoffentlich Lars zu beeindrucken, wenn er morgen aus Paris zurück kam.
Er hatte gar nichts mitbekommen von ihrem Krankenhausaufenthalt. Einmal hatte er angerufen aus Paris, aber glücklicherweise erst, als sie wieder zu Hause gewesen war.
Sie hatte wirklich Glück gehabt, das hätte alles auch ins Auge gehen können. Nun musste sie bloß noch eine Lösung für ihre Schwangerschaft finden...

Donnerstag, 4. April 2013

Alte Muster - Mittwoch, 20. Februar 2013

Endlich war ihr Auge soweit abgeschwollen, dass sie es wagen konnte, mit gezieltem Make Up das Haus auch wieder bei Tageslicht zu verlassen. Erst jetzt wurde Lotte wirklich klar, wie sehr sie sich eingeschränkt gefühlt hatte. Am Nachmittag hatte sie sich mit Doro auf einen Kaffee in der Stadt getroffen. Sie hatte kritisch ihr Auge begutachtet und dann auf sie eingeredet, dass sie sich nach diesem Vorfall doch jetzt wenigstens für alle Zeiten von dem Gedanken verabschiedet hätte, noch einmal in irgendeiner Form etwas mit Jan zu tun zu haben. Lotte hatte es abgenickt, aber in Wahrheit war sie sich da gar nicht so sicher. Jetzt, wo sie abends wieder alleine mit Schröder auf dem Sofa saß und versuchte, im Fernsehprogramm eine Ablenkung von den Gedanken an Lars zu finden, kamen auch wieder Gedanken an Jan auf. Es war nicht direkt so, dass sie ihn vermisste, kein Vergleich zu Lars, es war ein seltsames, kaum definierbares Gefühl. Es tat ihr weh, dass er sich gar nicht mehr gemeldet hatte nach dem Vorfall. Wenn er sich wenigstens entschuldigt hätte. Es musste ihm doch leid tun. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ihm nicht leid tat. Wenn man sich jahrelang geliebt hatte, konnten Gefühle doch nicht einfach so verschwinden. Und wenn sie ihm egal wäre, wäre er schließlich nicht so ausgerastet. Dann wäre es ihm egal gewesen, was sie vermeintlich mit anderen Männern trieb. Aber es war ihm nicht egal gewesen, er hatte sie deswegen geschlagen. Eigentlich musste er sie dann doch immer noch lieben. Aber Menschen, die man liebte, schlug man nicht. Das hatte Doro heute immer wieder gepredigt.
Andererseits war Jan teilweise durch seinen Drogenkonsum beeinflusst und nicht Herr seiner Sinne. Vielleicht konnte man ihn gar nicht voll dafür verantwortlich machen. Sie wusste, dass es das eigentlich nicht besser machte. Vorallem hätte er sich wenigstens entschuldigen können, als er wieder bei Sinnen war. Aber er hatte es nicht getan. Er würde es auch nicht tun, so oder so nicht, das wusste sie. Jan entschuldigte sich nicht. Nie. Bei niemandem. Selbst wenn es ihm leid tun sollte, würde er sich eher die Zunge abhacken, als dass er sich entschuldigen würde. Was neutral betrachtet ein weiterer Grund wäre, ihn für alle Zeiten aus ihrem Leben zu verbannen. Sie hatten sich nie gut getan. Dennoch hatte sie ein starkes Bedürfnis, sich beim ihm zu melden. Die Situation machte sie wahnsinnig, sie wollte das Geschehene nicht einfach so stehen lassen. Vielleicht konnten sie sich ja aussprechen. Vernünftig und in Ruhe. Nüchtern. Damit die Situation bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen, das zwangsläufig irgendwann passieren würde, nicht wieder völlig aus dem Ruder lief.
Eigentlich wusste sie, dass der Gedanke absurd war. Alle bisherigen Versuche, sich irgendwann einmal mit Jan zu irgendetwas auszusprechen, hatten zu vielen Dingen geführt, aber nie zu einer Klärung.
Sie erwischte sich dabei, wie sie sich an ihren Versöhnungssex erinnerte. Mit keinem hatte sie soviel Spaß im Bett gehabt wie mit Jan. Vielleicht, weil bei keinem so viele Emotionen mit dabei gewesen waren. Selbst bei Lars nicht, das war einfach etwas anderes gewesen. Man konnte die beiden überhaupt nicht vergleichen.
Sie verbot sich die Gedanken an Sex mit Jan. Wie dumm musste sie sein? Saß sie ernsthaft hier auf dem Sofa und träumte von einem Kerl, der ihr zum wiederholten Male eine verpasst hatte und sich noch nicht einmal dafür entschuldigt hatte? Ihr schmerzendes Auge sollte Mahnung genug sein.
Eigentlich ging es ihr doch nur um eine Aussprache. Sie wollte deeskalierend wirken, damit es beim nächsten Mal nicht wieder soweit kam.

Vielleicht war es auch nur das übliche Muster - wenn es mit einem Kerl zu Ende gegangen war, kam die Sehnsucht nach dem Vertrauten und damit nach Jan. Es war immer so gewesen bei ihnen, wenn sie beide frei waren, hatten sich ihre Wege wieder gekreuzt. Eigentlich primär, wenn sie frei gewesen war. Er hatte keine längere Beziehung gehabt. Wahrscheinlich hielt es niemand auf Dauer aus. Genau so, wie es mit ihnen nie auf Dauer funktioniert hatte. Und dennoch hatte es sie immer wieder zueinander hingezogen. Es war ja auch nicht alles schlecht gewesen.

Aber darum ging es ihr jetzt gar nicht. Sie wollte nur eine Aussprache, vielleicht auch eine Entschuldigung, auch wenn sie wusste, dass sie sie nicht bekommen würde. Vielleicht wollte sie auch nur Ablenkung von Lars. Die würde sie ganz sicherlich bekommen, wenn sie sich bei Jan melden würde. Ob es dadurch insgesamt besser würde, blieb dahingestellt...

Sie griff nach ihrem Handy. Schiss der Hund drauf, es musste ja niemand erfahren. Sie wusste, dass Doro ausrasten würde, wenn sie wüsste, dass sie sich bei Jan meldete.

Sie würde ihm nur eine SMS schicken, mehr nicht. Wahrscheinlich antwortete er ohnehin nicht darauf und damit hatte sich das Thema erledigt. Aber so hatte sie wenigstens für heute Abend etwas Anderes als Lars, worüber sie sich Gedanken machen konnte.

Falls es Dich interessiert - seit heute kann ich mit normalem Tages-Make Up wieder das Haus verlassen, ohne das mein Auge unangenehm auffällt.

Sie drückte auf Senden, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Direkt leuchtete die Empfangsbestätigung auf. Lotte spürte, wie ihr Magen unruhig wurde. War die SMS zu vorwurfsvoll? Würde er sich dadurch nur erneut angegriffen und provoziert fühlen? Vielleicht sollte sie noch eine hinterher schicken. Sie wollte schließlich eine Aussprache.

Jan, warum hast Du das getan? Können wir uns treffen und uns aussprechen? Ich möchte nicht, dass unser nächstes Zusammentreffen völlig eskaliert. Lass es uns vorher vernünftig klären. Lotte

Mittwoch, 3. April 2013

Aura - Dienstag, 19. Februar 2013

Ute hatte nicht gut geschlafen in dieser Nacht. Obwohl Lars sich ihr gegenüber nicht besonders liebevoll aufgeführt hatte während seiner Anwesenheit, so hatte sie es doch genossen, als er noch nicht wieder nach Paris abgereist war, sondern neben ihr im Bett gelegen hatte. Nun war sie wieder allein und neben der Tatsache, dass sie Lars vermisste, raubte ihr vorallem die Sorge vor der morgigen OP den Schlaf. Hoffentlich ging alles gut bei der Entfernung der Zyste. Sie hatte eine Wahnsinnsangst, dass die Ärzte ihr hinterher doch sagten, sie könne nun keine Kinder mehr bekommen. Das wäre neben allen anderen Sorgen das Schlimmste, was ihr passieren könnte. Auch wenn ein weiteres großes Problem natürlich darin bestand, wie sie Lars beibringen sollte, dass das vermeintliche Baby gar nicht unterwegs war, ohne dass er sie sofort verlassen würde.
Manchmal hatte sie sich in den letzten Tagen schon gefragt, warum sie ihn überhaupt halten wollte. Er hatte sich neutral betrachtet vermutlich ziemlich unmöglich ihr gegenüber aufgeführt, aber trotzdem liebte sie ihn über alles und die Vorstellung, er könnte sie verlassen und am Ende gar mit dieser Charlotte eine Familie gründen, tat ihr unerträglich weh. Da nahm sie lieber seine aktuellen Launen in Kauf. Ganz sicher würde es bald wieder besser werden. Trotzdem waren die vergangenen Tage nicht angenehm gewesen für sie. Er hatte sie kaum beachtet und sich die meiste Zeit in sein Arbeitszimmer zurückgezogen oder war außer Haus unterwegs gewesen, ohne ihr zu sagen, wo er hinging oder wann er zurück sein würde. Sie hatte keine Ahnung, wo er gewesen war, ob er sich gar mit Charlotte getroffen hatte oder was er sonst getrieben haben mochte. Rein von ihrem Bauchgefühl her hatte sie allerdings nicht den Eindruck, dass er sich mit einer anderen Frau getroffen hatte. Er hatte nachdenklich und bedrückt gewirkt, nicht wie ein Mann, der auf Beutezug ging.Vielleicht hatte er einfach Zeit für sich gebraucht oder hatte austesten wollen, inwieweit sie dazu bereit war, ihm die von ihm während der Aussprache proklamierten Freiheiten zu gewähren, damit er sie nicht verlassen würde. Aus diesem Grund hatte sie es kommentarlos über sich ergehen lassen und keine Fragen gestellt. Es würde sich schon alles wieder einrenken. Aber dafür musste sie das Spielchen mitspielen und attraktiv für ihn sein. Das ging nicht, wenn sie nörgelte oder nicht bereit war, seine Bedingungen zu erfüllen. Er musste sich wohl bei ihr fühlen. So wohl, dass er das Nest nicht mehr verlassen wollte, wenn er erfuhr, dass er vorerst nicht Vater würde. Aus diesem Grund hatte sie ihn neben ihrem Schweigen auch verwöhnt, soweit es ihr möglich war. Sie hatte seinen Lieblingskäse gekauft, den er auch genussvoll verzehrt hatte, wie sie beim Frühstück beobachten konnte, auch wenn er kein Wort darüber verloren hatte. Außerdem hatte sie nur gekocht, was er gerne mochte und auch das würde er zur Kenntnis genommen haben, auch wenn er ebenfalls nichts darüber geäußert hatte.
Außerdem wollte sie sich die Haare wieder wachsen lassen und sie hatte sich ein paar Modezeitschriften besorgt, um an ihrem Kleidungsstil zu arbeiten. Bis Lars am Freitag kam, wollte sie sich schon ein oder zwei neue Sachen besorgt haben. Entweder musste sie sich heute darum kümmern oder hoffen, dass das nach der OP kein Problem darstellen würde.
Sie fragte sich, was für Unterwäsche Charlotte wohl trug. Ihr war klar, dass ihre eigene Auswahl eher zweckmäßig als erotisch war und dass ihre bisherigen Versuche, Lars mit erotischen Unterwäschekäufen zu beeindrucken, eher mäßig erfolgreich gewesen waren. Aber worauf in aller Welt stand er nur? Sie hatte verstohlen einige der Playboys, die er in seinem Arbeitszimmer hütete, durchgeblättert in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden, aber alles, was sie darin sah, würde an ihr vollkommen lächerlich aussehen, da war sie sich sicher.
Sie versuchte, sich Charlotte in Unterwäsche vorzustellen. Sie war doch auch keines dieser Modepüppchen. Natürlich, ab und an sah man sie mal aufgebrezelt, aber das war selten der Fall, in der Regel wirkte sie nicht einmal unbedingt so, als würde sie besonders viel Zeit auf ihr Äußeres verwenden, sondern als würde sie sich einfach das Erstbeste anziehen, was ihr aus dem Kleiderschrank entgegenstürzte und dann im Rausgehen noch zweimal kurz durch die Haare bürsten. Trotzdem sah sie unbestritten attraktiv damit aus, auf jeden Fall attraktiver, als sie selbst es auch mit viel Mühe in der Regel aussah. Sie fragte sich, woran das lag. War es vielleicht nur eine Art besonderer Stil und in Wahrheit verschwendete dieses Biest doch jede Menge Zeit auf ihr Äußeres und ließ es nur so aussehen, als täte sie es nicht? So etwas gab es, das hatte sie in diversen Frauenzeitschriften gelesen, aber irgendwie konnte sie es sich nicht vorstellen. Daran, dass Charlotte eine klassische Schönheit wäre, die einen Müllsack tragen konnte und selbst darin noch gut aussah, konnte es auch nicht liegen. Sie war zwar nicht hässlich, aber eine klassische Schönheit war sie ganz sicher auch nicht und Ute hatte sie oft genug an der Uni gesehen und sich gefragt, warum Lars sich ausgerechnet mit ihr eingelassen hatte. Nein, Charlotte gehörte nicht zu den Frauen, die einfach immer gut aussahen. Aber was zum Teufel war es dann, was Charlotte hatte, das sie nicht hatte?
Wieder versuchte sie, sich Charlotte in Unterwäsche vorzustellen. Sie sah genau vor ihrem inneren Auge, wie Lars nach ihr geiferte, wie er sie begehrte, wie er es bei ihr selbst nie im Leben getan hatte. Die Vorstellung brachte sie fast um, so realistisch spielte sich dieser Film vor ihrem inneren Auge ab. Und dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, was Charlotte dabei trug.
Lag es vielleicht gar nicht daran? Kam es am Ende gar nicht darauf an? Wieder ließ sie die Szene vor ihrem inneren Auge ablaufen. Es war Charlottes Auftreten, dass sie so neidisch machte. Diese selbstsichere, stolze Haltung, der trotzige Gesichtsausdruck und der stolze Blick, mit dem sie Lars begegnete. Es wirkte, als könne er dankbar sein, sie überhaupt begehren zu dürfen. Plötzlich begriff Ute es. Es war ihre Aura, ihr Auftreten. Es war völlig egal, was sie anhatte, weil sie es in diesem Moment ausstrahlte. Sie hatte keine Ahnung, ob es auch nur ansatzweise der Realität entsprach, was gerade vor ihrem inneren Auge abgelaufen war oder ob Charlotte Lars vielleicht als Duckmäuserin in Blümchenwäsche den Verstand raubte. Sie hatte ihr in diesem Film die Eigenschaften zugeschrieben, die Lars ihr gegenüber an den Tag legte, das wurde ihr gerade bewusst. Er verhielt sich ihr gegenüber so stolz, als müsse es ihr eine Ehre sein, ihn begehren zu dürfen und ganz offensichtlich zog es ja bestens bei ihr. Und nicht nur bei ihr. Lars war tatsächlich generell ein Meister dieser Kunst. Er gab mit seiner Haltung und seiner Art eigentlich allen Menschen zu verstehen, dass sie dankbar sein durften, ihn verehren zu dürfen und dass es eine Ehre war, dass er sich überhaupt mit ihnen abgab.
Sie dachte an die Abende im Golfclub, wo alle an seinen Lippen hingen. Ja, genau das war es, was er ausstrahlte, das war seine Taktik. Und es funktionierte perfekt. Sie fragte sich, ob es andersherum auch funktionieren würde. Musste sie ihm das Gefühl vermitteln, dass es eine Ehre war, sie haben zu dürfen? War es das, was er suchte und bei Charlotte gefunden hatte? Sie hätte alles gegeben zu wissen, wie die beiden miteinander umgingen. Sie konnte Charlotte nicht einschätzen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich ihm als das kleine brave Mädchen präsentierte, das zu allem ja und Amen sagte. Und war es nicht genau das, was sie selbst immer tat?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und die Vorstellung, wie Charlotte sich wohl Lars gegenüber verhielt, wie sie war, wie viele Gedanken sie auf ihr Äußeres verwendete und letztenendes auch, was für Unterwäsche sie trug, machten sie fast wahnsinnig. Sie musste unbedingt mehr über sie erfahren, damit sie wusste, was sie verändern musste. Sie wollte wissen, wer diese Frau war, die ihr um ein Haar den Mann geraubt hätte und wie sie tickte.
Sie beschloss, erneut ihr Glück über das Internet zu versuchen. Sie würde ihren Facebook-Account und die ihrer Freunde noch einmal gezielter nach Informationen über Charlotte durchsuchen. Und sie würde sie googeln. Vielleicht fand sie darüber ja noch etwas Neues. Sie startete den Laptop und holte sich einen Notizblock und einen Stift, um sich wichtige Stichpunkte notieren zu können. Kurzfristig kam ihr der Gedanke, wie erbärmlich das alles eigentlich war, aber sie schob ihn ganz schnell wieder beiseite. Tiefer als eine Schwangerschaft vorzutäuschen konnte sie ohnehin nicht mehr sinken, dachte sie verbittert und schlug den Notizblock auf.

*****

Alexandrine fragte sich, was das wohl für ein Typ war, der gerade ihr Bett und danach ihre Wohnung verlassen hatte. Sie hatten sich gestern Abend in einem Club kennengelernt, er hatte sie massiv angebaggert und zuerst hatte sie ihn abblitzen lassen, aber dann hatten sie sich später in der Bar nebenan wiedergetroffen, wo er mit seinem Freund noch auf einen Absacker gewesen war und sie mit ihrer Freundin. Schließlich hatte sein Freund sich verabschiedet und er war alleine an der Bar sitzen geblieben. Er hatte zutiefst deprimiert ausgesehen und irgendwie gewirkt wie ein einsamer Wolf. Plötzlich hatte Alexandrine ihn hochgradig attraktiv gefunden, wie er da gesessen hatte mit seinem kantigen Profil und als ihre Freundin gehen wollte, hatte sie gesagt, sie würde doch noch zu dem Typen hinübergehen. Sie waren die letzten Gäste gewesen und sie hatte sich neben ihn an die Bar gesetzt. Er hatte sie zunächst ignoriert, womit sie nicht gerechnet hatte und gerade, als sie hatte aufstehen wollen um wieder zu gehen, hatte er sich doch noch zu ihr herübergedreht, gegrinst, die Augenbraue hochgezogen und sie gefragt, ob sie sich eines Besseren besonnen habe und nun doch noch einen Drink mit ihm nehmen wolle. Sie hatte genickt und er hatte für sie beide einen Whiskey bestellt. Der Wirt hatte erklärt, dies sei die letzte Runde, dann würde er schließen und Lars, so hatte er sich ihr vorgestellt, hatte sie ohne Umschweife gefragt, ob sie sich danach mit einem Kaffee bei sich zu Hause revanchieren würde. Sie war perplex gewesen, dass er tatsächlich so dreist war, nachdem sie ihn vorher im Club hatte abblitzen lassen, nun direkt wieder zum Angriff zu blasen und erst gar nicht drumherum zu reden. Neben einer gewissen Melancholie, die immer noch auf seinem Gesicht lag, leuchtete nun deutlich die Fleischeslust in seinen Augen. Alexandrine hatte nicht widerstehen können und so hatte sie ihm gesagt, er könne auf einen Kaffee mitkommen, wenn er ihr dann verraten würde, ob er so deprimiert geschaut hätte, weil sie ihn hätte abblitzen lassen oder was ihm sonst so wirken ließ, als könne er Aufheiterung gebrauchen. Daraufhin hatte er erwidert, wenn sie im Anschluss für die notwendige Aufheiterung sorgen würde, würde er ihr die Geschichte erzählen, sie würde wirken wie eine kluge Frau, die ihm vielleicht einen hilfreichen Rat geben würde und so waren sie ins Geschäft gekommen.
Tatsächlich hätte Alexandrine darauf gewettet, dass er es dabei belassen würde, zuerst den Kaffee und dann sie zu vernaschen, aber sie hatte zum Kaffee noch eine Flasche Whiskey auf den Couchtisch gestellt und ihn gefragt, was ihn bedrücke, woraufhin sie tatsächlich ins Gespräch gekommen waren. Er hatte ihr berichtet, dass er unglücklich verheiratet sei und in eine andere Frau, die seine Studentin war, verliebt sei und nun eigentlich seine Frau für die andere habe verlassen wollen, aber es sei schiefgegangen und nun wolle seine Geliebte nichts mehr von ihm wissen und es würde ihm fast das Herz brechen. Die ganze Story war völlig konfus und kurios gewesen und nachdem zwei Stunden vergangen und eine halbe Flasche Whiskey geleert waren, hatte sie ihn gefragt, warum er eigentlich mit ihr schlafen wolle, wenn er Frau und Geliebte zu Hause habe und er hatte sie völlig irritiert angesehen und dann, als sei es das Normalste von der Welt, geantwortet, das habe er immer schon so gemacht und er brauche die Abwechslung. Seine Geliebte wisse davon und für sie wäre es in Ordnung und ob sie nun nicht mehr mit ihm schlafen wolle, dann könne er es verstehen und würde sich für das gute Gespräch bedanken und gehen. Alexandrine war erneut völlig perplex gewesen, weil sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, dann hatte sie ihm erklärt, dass sie sich den Lohn für ihr Zuhören nicht entgehen lassen wolle, wer solche Abgründe und Überraschungen in sich berge, sei sicherlich auch gut im Bett und tatsächlich hatten sich nicht nur seine Worte als beeindruckend erwiesen. Mit ihren 34 Jahren hatte Alexandrine noch nie so guten Sex gehabt und auch sonst musste sie sich eingestehen, dass dieser seltsame Mann nachhaltig Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Sie fragte sich, ob seine Story wohl stimmte oder ob er sich das alles nur ausgedacht hatte und es eine Masche war. Sie konnte im Nachhinein und wieder nüchtern kaum glauben, was er ihr da alles erzählt hatte. Aber ein interessanter Mann war er, so oder so.
Als sie die Küche betrat, um sich einen Kaffee zu kochen, bemerkte sie einen Zettel auf dem Küchentisch.

Danke für das Zuhören. Ich hoffe, Du hattest auch Spaß, wenigstens hinterher. Du bist eine sehr interessante Frau. 
Eigentlich hinterlasse ich kein Spuren bei meiner Beute, aber in diesem Fall lag der Fokus denke ich auf etwas anderem. Würde mich über weitere gute Gespräche mit Dir freuen, gerne auch über Dich. Falls Du Lust hast, erreichst Du mich unter folgender Nummer, wenn ich in Paris bin: 83457207
Vielleicht bis bald,
Lars

Alexandrine musste lächeln. Ja, vielleicht bis bald. Vielleicht auch nicht. Sie würde es sich durch den Kopf gehen lassen. Sie wusste nicht, was sie von diesem Kerl halten sollte.

Nichts persönlich nehmen - Montag, 18. Februar 2013

Lars starrte auf den Bildschirm. War das jetzt ihr Ernst? Er hatte sich heute Morgen so gefreut, als er wieder nach Paris abreisen konnte und für die nächsten Tage vor Ute in Sicherheit war und hatte voller Vorfreude seine Mails geöffnet in der Hoffnung auf eine positive Rückmeldung von Charlotte und nun musste er lesen, dass er ein widerliches, egoistisches Arschloch sei. Vermutlich war sie einfach verletzt und warf ihm deswegen solche Dinge an den Kopf. Das konnte sie nicht ernst meinen. Frauen waren in dieser Hinsicht wahrscheinlich doch nicht viel anders als Männer. Utes Schwangerschaft hatte ihr vor Augen geführt, dass er mit Ute schlief und auch wenn sie eigentlich wusste, dass er mit anderen Frauen schlief, so hatte der Beweis in letzter Konsequenz ihr wohl besonders weh getan und deswegen reagierte sie nun so.
Ehrlicherweise wohl auch, weil ihre gemeinsame Zukunft erst einmal nicht so weiterging wie geplant. Wer konnte es ihr verübeln, dass sie sauer und verletzt war. Aber er war kein egoistisches Arschloch und das meinte sie nicht so. Er wollte schließlich nur das Beste für sie beide. Er durfte sich von solchen Reaktionen nicht abschrecken lassen. Wahrscheinlich würde sie noch länger widerspenstig bleiben, es war ohnehin ihre Art und er hatte sie verletzt, wie er es schlimmer kaum hätte tun können, auch wenn es nicht in seiner Absicht gelegen hatte. Nein, er musste hartnäckig bleiben und sich bewusst machen, wie er ihre Reaktionen zu werten hatte. Nichts persönlich nehmen, um Himmels Willen. Er goss sich ein weiteres Glas Wein ein und überlegte, was er ihr antworten sollte.
Dann beschloss er, ihr an diesem Abend gar nicht mehr zu antworten, fuhr den Computer herunter und griff stattdessen zu seinem Handy. Er würde sich diesen Abend von keiner Frau verderben lassen. Nicht von Charlotte und schon gar nicht von Ute. Es war an der Zeit für etwas Entspannung und wie könnte er sie besser bekommen als durch eine Frau. Eine unkomplizierte Frau. Er rief Olivier an. Er hatte schon seit Monaten mit ihm auf die Piste gewollt und heute Abend war es an der Zeit. Er würde mit Olivier die Bars von Paris unsicher machen und diesen Abend unkompliziert und nicht bei sich zu Hause beenden, soviel stand fest. Olivier wusste sicherlich, wo er Ablenkung finden konnte und er hatte sie sich mehr als verdient nach den letzten Tagen.

Sonntag, 31. März 2013

Widerlich - Sonntag, 17. Februar 2013

Charlotte hatte in den letzten Tagen alles getan, um sich von der Situation mit Lars abzulenken. Am liebsten wollte sie ihn einfach nur vergessen und aus ihrem Leben streichen. Der Gedanke, dass Ute ein Kind von ihm erwartete, war für sie unerträglich. Für sie stand fest, dass die Sache mit Lars damit beendet war. Sie hatte nie einen Mann gewollt, der verheiratet war, hatte sich dann aber doch darauf eingelassen. Aber nun, wo er auch noch Vater wurde, war eine Grenze für sie überschritten, die nicht mehr fallen würde. Sie hätte nicht mehr in den Spiegel schauen können, wenn sie weiter eine Affäre mit Lars hätte, während Ute schwanger zu Hause hockte oder gar, wenn das Kind erst da war und die wenige Zeit, die sein Vater ohnehin nur für es haben würde, dann auch noch mit seiner Geliebten verbringen würde. Nein, das wollte sie nicht. Sie musste ihn schnellstmöglich vergessen, auch wenn es noch so weh tat.
Dieses Vergessen wäre ihr wohl wesentlich leichter gefallen, wenn sie rausgehen und feiern hätte gehen können, aber als Doro sie gestern Abend gefragt hatte, ob sie gemeinsam die Stadt unsicher machen sollten, hatte sie ablehnen müssen, da ihr Auge zwar schon wesentlich besser, aber immer noch extrem unansehnlich war. Doro hatte gemeint, sie solle es mit Camouflage überschminken und endlich das Haus verlassen, aber ihr war nicht danach gewesen. In zwei oder drei Tagen würde sie sich sicherlich wieder zeigen können, auch ohne Camouflage, aber bis dahin würde sie das Haus nur verlassen, wenn es unbedingt nötig war. Die Spaziergänge mit Schröder absolvierte sie immer früh morgens und spät abends, es ging alles. Sie hatte sich inzwischen ganz gut mit der Situation arrangiert und das würde sie auch mit Lars tun. Es brauchte eben seine Zeit, aber dann würde sie ihn vergessen haben und er würde ihr egal sein.
Gestern Abend war sie leider nicht besonders erfolgreich gewesen. Eigentlich hatte sie alle seine Mails löschen wollen als ersten Schritt, aber stattdessen hatte sie sie eine nach der anderen gelesen und dabei geheult wie ein Schlosshund.
Nun besann sie sich eines Besseren und ging an den Rechner, um die Mails wirklich endgültig zu löschen. Gerade, als sie alle gelöscht hatte, ploppte eine neue Mail von Lars auf. Sie überlegte kurz, sie einfach ungelesen zu löschen, aber die Neugier siegte und so öffnete sie sie.


Betreff: Bitte nicht löschen!
Von: L.Laslandes@koelnmail.de
 
An: Anne-P.De-Mon@hotmail.de
12:21 17.02.2013

Liebe Charlotte,

ich hoffe, Du löschst diese Mail nicht einfach ungelesen. Bitte, tu mir den Gefallen und lies sie bis zum Ende!

Charlotte, ich möchte uns unter gar keinen Umständen aufgeben. Ich habe mit Ute gesprochen und ihr gesagt, dass ich vorerst bei ihr bleibe während der Schwangerschaft, aber dass ich mich unter keinen Umständen einengen lasse und weiter meine Freiheiten brauche, sogar noch mehr. Wir können uns sehen, Charlotte. Wir sehen uns weiter und sobald das Kind da ist, trenne ich mich von ihr. Ich merke, dass es keinen Sinn hat, ich kann diese Frau kaum ertragen um mich herum. Ich empfinde nichts mehr für sie, absolut gar nichts. Sie kommt mir vor, wie ein unausweichlicher Fremdkörper in meinem zu Hause, der ein Stück von mir geklaut hat, damit ich nicht weg kann. Bitte Charlotte, gib uns die Chance und warte auf mich! Wir können uns doch auch sehen während der Zeit bis zur Trennung. Die Schwangerschaft muss uns kaum beeinträchtigen. Ich habe Ute auch klargemacht, dass ich möglichst wenig davon mitbekommen möchte und sie bloß nicht zum Muttertier mutieren soll.
Wenn ich nicht viel davon mitbekomme, besteht auch keine Gefahr, dass ich mich irgendwie einlullen lasse, nur weil sie schwanger ist.

Bitte Charlotte, lass uns in Kontakt bleiben!

Lars


Lotte löschte die Mail. Sie war angewidert. Wahrscheinlich bildete er sich ein, sie würde sich geschmeichelt fühlen oder es kaum abwarten können, sich wieder mit ihm zu treffen. Was bildete er sich ein? Wie konnte er so über Ute und sein Kind sprechen? Er war ein gefühlskaltes, egoistisches Arschloch. Wer wusste, wie er sich verhalten würde, sollte sie eines Tages schwanger sein. Ute hatte er auch die große Liebe vorgegaukelt. Wahrscheinlich wäre es ihr genauso ergangen, hätte sie sich auf ihn eingelassen. Wer wusste, was ihr erspart geblieben war durch Utes Schwangerschaft. Nur sie konnte einem wahrlich leid tun. Sie hoffte, dass Lars doch noch irgendwann Vatergefühle entwickeln würde, damit wenigstens das Kind nicht so leiden musste wie seine Mutter.

Spontan öffnete sie das Fenster zum Emailschreiben. 



Betreff: Egoistisches Arschloch!
Von: Anne-P.De-Mon@hotmail.de  
An: L.Laslandes@koelnmail.de 
12:40 17.02.2013
 
Wie kann man nur so etwas von sich geben?! Du bist widerlich!!!

Mittwoch, 27. März 2013

Es wird sich finden - Samstag, 16. Februar 2013

Ute wusste selbst nicht, wie sie es geschafft hatte, aber irgendwie hatte sie sich nach der Schocknachricht gestern rechtzeitig wieder gefangen, bis Lars am Abend gekommen war.
Sie hatte bei ihrer Ärztin einen fürchterlichen Weinkrampf bekommen, woraufhin diese natürlich gedacht hatte, er sei primär ihrer Angst bezüglich der Zyste geschuldet. Sie hatte versucht, sie zu beruhigen und ihr erklärt, dass sie vermutlich keine schlimmen gesundheitlichen Konsequenzen haben werde, aber schnellstmöglich entfernt werden solle, auch wenn sie davon ausging, dass sie gutartig wäre. Eine spätere Schwangerschaft würde die Zyste bestimmt nicht negativ beeinflussen oder gar ausschließen, hatte die Ärztin sie beruhigt. Nun hatte sie also für den kommenden Mittwoch einen Termin im Krankenhaus, um die Zyste entfernen zu lassen.
Sie hatte ab dem Moment, wo die Ärztin gesagt hatte, einer Schwangerschaft würde nach der Entfernung nichts im Wege stehen, überhaupt keine Sorgen mehr gehabt wegen der Zyste. Das Problem war ein ganz anderes - was in aller Welt sollte sie Lars erzählen? Aber das hatte sie der Ärztin ja schlecht sagen können. Hinzu kam die maßlose Enttäuschung, doch nicht schwanger zu sein und vorallem, die Angst, ihn nun endgültig zu verlieren. Trotz allem hatte sie einen kühlen Kopf bewahren müssen. Sie hatte nicht gewusst, wann er genau kommen würde, aber sie wusste sicher, dass sie sich bis dahin beruhigt haben musste und sich gut überlegen musste, was sie ihm erzählen würde. Wahrscheinlich kam er direkt von dieser verdammten Charlotte, da durfte sie erst recht keinen Fehler machen.
Sie hatte nicht viel Zeit gehabt um zu überlegen, was sie nun tun sollte und war deswegen zu dem Entschluss gekommen, dass sie ihm notfalls später immer noch erzählen konnte, dass sie nicht schwanger war - aber nicht an diesem Abend. So hielt sie sich alle Möglichkeiten offen und möglicherweise bestand ja sogar eine Chance, dass sie noch rechzeitig doch noch schwanger wurde. Das musste sich alles finden. Vorerst galt es, ihn zu halten.

Es war besser gelaufen, als sie erwartet hatte. Er war erst gegen 18 Uhr gekommen, so dass sie genügend Zeit gehabt hatte, um sich ein wenig zu beruhigen. Tatsächlich hatte sie dies mit Hilfe von zwei Gläsern Wodka getan. Da sie nicht schwanger war, hatte sie ihn ja nun bedenkenlos trinken können und da Wodka nicht roch, bestand auch keine Gefahr, dass Lars es hätte merken können. Tatsächlich hatte er ihr richtig gut getan und sie beruhigt. Vielleicht hatte sie sich auch ein klein bisschen Mut angetrunken...

Die Stimmung zwischen ihnen war seltsam gewesen. Sie konnte gar nicht recht sagen, womit sie gerechnet hatte, wie Lars sich verhalten würde, aber sie war überrascht gewesen. Er hatte doch sehr mitgenommen gewirkt und anscheinend belastete ihn ihre Krise mehr, als sie ihm zugetraut hatte. Zur Begrüßung hatte er sie kurz in den Arm genommen, aber dabei sehr distanziert gewirkt. Am liebsten hätte sie sich an ihn geklammert und in seinen Armen verharrt, aber sie wusste, dass es falsch gewesen wäre, also hatte sie das Spiel mitgespielt und abgewartet.Glücklicherweise hatte er gar nicht viel gefragt - manchmal war seine Egozentrik auch hilfreich. Hätte er nachgehakt, wie es ihr oder dem Kind gehe, hätte sie womöglich weinen müssen. Stattdessen redete er sofort los und teilte ihr mit, dass er sich Gedanken gemacht habe und zu seiner Verantwortung stehen wolle und nun läge es an ihnen beiden, aus der Sache das Beste zu machen und einen Weg aus der Krise zu finden. Sie hatte nur selig genickt - das war mehr gewesen, als sie sich erhofft hatte. Doch dann hatte er weitergesprochen und ihr erklärt, sie dürfe nicht zu viel erwarten von ihm, er müsse sich erst langsam in die Situation hineinfinden und sei nicht bereit, seine Freiheiten aufzugeben. Sie hatte kurz auf der Zunge gehabt, ihn zu fragen, ob Charlotte auch zu diesen Freiheiten zählte, wollte aber keinen Streit vom Zaun brechen und hatte geschwiegen. Alles würde sich fügen. Vielleicht hatte er es ihr noch nicht gesagt, aber er würde es tun und dann würde sie ohnehin nichts mehr von ihm wissen wollen, da war sie sich sicher. Sie musste nur dafür sorgen, dass er es ihr bald sagte - bevor er merkte, dass sie gar nicht schwanger war, falls sie es nicht rechtzeitig wurde. Oder bevor sie vortäuschen musste, das Kind zu verlieren. Aber nach solch einem Schicksalsschlag würde er sie auch nicht verlassen und vielleicht hatte er bis dahin bereits solche Vatergefühle entwickelt, dass er es möglichst schnell wieder probieren wollte.
Wobei, nach seiner Aussage gestern, er habe nur eine Bitte an sie, sie solle nun bloß nicht zum Muttertier werden und ihn "mit Schwangerschaftskram volllabern", sonst könne er sie nicht mehr ertragen, war damit nicht zu rechnen. Er war so unglaublich unsensibel. Wäre sie wirklich schwanger gewesen, hätte sie ihn wohl gehasst für diese Aussage. Aber in der momentanen Situation kam es ihr mehr als entgegen, dass er möglichst wenig von ihrer Schwangerschaft mitbekommen wollte. Ganz sicher würde sich das ändern. Er musste nur erst alles verdauen. Es war ja schon besser geworden. Immerhin hatte er sich für sie entschieden.

Glücklich blickte sie neben sich, wo er endlich wieder im Ehebett lag und noch schlief. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Sie fragte sich, ob er wohl gerade von ihr träumte.

*****

Lars saß an seinem Schreibtisch und versuchte zu arbeiten. Er konnte sich nicht konzentrieren. Statt an seiner Veröffentlichung zu schreiben, verspürte er immer wieder den Drang, eine Mail an Charlotte zu tippen. Er wollte ihr berichten, wie es gestern gewesen war mit Ute und ihr sagen, wie sehr er sie vermisste. Aber er war sich sicher, er würde auf taube Ohren stoßen. 
Er fragte sich, ob Charlotte sein Verhalten gegenüber Ute gestern gutgeheißen hätte. Er hatte sofort seine Position klargemacht und sie war passiv und  zurückhaltend wie immer gewesen im Gespräch. Er glaubte im Nachhinein, dass sie einfach nur froh war, ihn vorerst nicht verloren zu haben und ihr deswegen alles andere egal war. Vermutlich hätte sie auch abgenickt, wenn er ihr erklärt hätte, dass er bei ihr blieb, aber drei Mal pro Woche ins Bordell gehen wolle. Auf jeden Fall hatte sie alles abgenickt und schien sich auch daran halten zu wollen, ihn nicht zu sehr mit den Details der Schwangerschaft zu nerven. Er hatte ihr recht deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ansonsten unattraktiv für ihn würde, das schien gezogen zu haben.
Vielleicht konnte er wenigstens noch das Beste aus dieser beschissenen Situation machen, indem hier in Zukunft alles noch mehr nach seiner Pfeife tanzte. Wenn er es richtig anstellte, würde Ute sich mit allen Mitteln ins Zeug legen, es ihm so angenehm wie möglich zu machen, weil sie Angst haben würde, ihn sonst zu verlieren.
Es musste sich alles finden, aber vielleicht konnte er diese knapp neun Monate herumbringen, ohne allzu viele eheliche Verpflichtungen zu haben und sein neues Leben mit Charlotte, das danach beginnen sollte, doch schon parallel vorbereiten. Denn er würde um sie kämpfen, er wusste nur noch nicht, wie. Aber ihr Treffen am Donnerstag war nicht das Ende. Niemals.

Donnerstag, 21. März 2013

Schwarzer Freitag - Freitag, 15. Februar 2013

Das Telefon klingelte. Mühsam realisierte Lars, dass er im Hotel war und es sich beim Klingeln des Telefons um den Weckservice handelte. Er nahm den Hörer ab und ließ ihn wieder auf die Gabel fallen. Was für eine Nacht. Bis 4 Uhr morgens hatte er an der Hotelbar durchgezecht, dann war er dem freundlichen, aber bestimmten Hinweis des Barkeepers gefolgt, dass es an der Zeit sei, ins Bett zu gehen. Er war der letzte Gast gewesen und hatte dem Mann sein Leid geklagt. Wie erbärmlich eigentlich. Trotzdem hatte es ihm in diesem Moment gut getan. Als er auf seinem Zimmer war, hatte er sein Handy genommen und bei Charlotte angerufen. Er hatte ihr sagen wollen, wie sehr er sie liebte und dass er sie vermisste. An die Uhrzeit hatte er in diesem Moment keinen Gedanken verschwendet. Aber sie war ohnehin nicht an ihr Handy gegangen. Vermutlich hatte sie geschlafen und es war auf lautlos gewesen. Wenigstens hatte er nicht auf ihrem Festnetz angerufen und sie auch noch aus dem Bett gejagt. Er schämte sich beim Gedanken an seinen Zustand. Er musste sich wirklich zusammenreißen. Noch nie war er der Typ für Liebeskummer gewesen, da brauchte er als erwachsener und gestandener Mann nicht damit anfangen. Er würde alles in Ordnung bringen und mit Charlotte glücklich werden. Wenn er nur wüsste, was er mit Ute machen sollte. Beim Gedanken an ihr Zusammentreffen gleich wurde ihm noch übler, als es ihm durch seinen Kater ohnehin schon war.
Er empfand nichts, wenn er an sie dachte. Da waren keinerlei Gefühle mehr, einfach nur Leere. Wahrscheinlich hatte er sie nie wirklich geliebt, aber er glaubte, dass diese Gleichgültigkeit, die er gerade gegenüber seiner schwangeren Frau empfand vielleicht noch viel schlimmer war, als wenn er irgendwelche negativen Gefühle für sie hegen würde. Sie war ihm egal, er wollte sich nicht mit ihr beschäftigen müssen und er wollte auch dieses Kind nicht. Er fragte sich, ob er wohl überhaupt richtige Vatergefühle für das Kind würde empfinden können. Hoffentlich wurde es ein Junge, der ihm ähnelte. Er glaubte, damit besser umgehen zu können, als wenn dieses ungewollte Kind auch noch eine Miniaturausgabe seiner Mutter wurde. Gleichzeitig schämte er sich für derlei Gedanken. Das Kind konnte nichts dafür und schließlich war es sein eigen Fleisch und Blut, also hatte er auch einen Grund, stolz darauf zu sein und würde es hoffentlich entsprechend behandeln können. Hoffentlich...
Er griff nach seinem Handy und hegte insgeheim die Hoffnung, Charlotte habe vielleicht auf den verpassten Anruf von ihm reagiert. Natürlich hatte sie es nicht. Stattdessen sah er fünf Anrufe in Abwesenheit von Ute und zwei SMS. In der ersten hatte sie gestern Abend noch geschrieben, wo er die Nacht verbringen würde und in der zweiten hatte sie vor einer halben Stunde gefragt, wann sie mit ihm rechnen könne, sie habe nachher noch einen Frauenarzttermin.
Ein Frauenarzttermin. Er fragte sich, was sie ihm damit sagen wollte. Wollte sie etwa, dass er mitkam? Vor seinem inneren Auge liefen typische Schwangerschaftsfernsehszenen von Paaren beim gemeinsamen Hechelkurs ab. Er war sich sicher, von genau solchen Sachen träumte Ute. Aber nicht mit ihm. Er würde sie zwar während der Schwangerschaft nicht verlassen, aber sie brauchte auch nicht glauben, dass er seine Vaterfreuden beim gemeinsamen Ultraschallgucken oder Synchronhecheln ausleben würde. Wie grauenvoll. Ute würde mit Sicherheit so eine Übermutter, eine Glucke, die wahrscheinlich schon während der Schwangerschaft einen Elternratgeber nach dem anderen lesen würde. Er konnte das alles nicht aushalten. Hoffentlich hatte sie nicht bereits jetzt die ganze Wohnung mit irgendwelchen Babysachen zugepflastert.
Er beschloss, erst am Abend nach Hause zu fahren, damit erst gar nicht die Möglichkeit gegeben war, dass sie ihn fragen konnte, ob er sie zum Frauenarzt begleitete. Er wollte so wenig wie möglich mit dieser Schwangerschaft konfrontiert werden.

*****

Voller Enthusiasmus machte Ute sich auf den Weg zur Frauenärztin. Selbst Lars' Verhalten konnte ihre Laune heute kaum trüben. Natürlich hatte es sie belastet, dass er einfach nicht erschienen war gestern und sie war überzeugt davon, dass er die Nacht bei Charlotte verbracht hatte, aber das würde sich alles ändern. Ihre Periode war weiterhin überfällig und so war sie inzwischen mehr als guten Mutes, dass ihre Ärztin ihr gleich gratulieren würde. Vielleicht konnte sie Lars nachher, wenn er endlich kam, bereits das erste Ultraschallbild ihres Schatzes zeigen. Sie hatte keine Ahnung, wie früh in der Schwangerschaft so etwas möglich war, aber wenn die Frauenärztin sehen konnte, dass sie schwanger war, würde sie ihr bestimmt irgendetwas mitgeben können, was sie Lars präsentieren konnte. Sie war zwar nicht überzeugt, dass ein kleiner Punkt auf einem Schwarz-Weiß-Bild bereits Vatergefühle in ihm auslösen würde, aber irgendetwas würde es sicher in ihm bewegen. Strahlend betrat sie die Praxis.

"Und Sie sagten, Sie sind überfällig?"
"Ja, schon ganz lange.", Ute strahlte. "Zumindest für meine Verhältnisse."
"Na dann wollen wir mal schauen."

Ute nahm auf dem Stuhl Platz und ihre Ärztin begann mit der Untersuchung. Gebannt starrte Ute abwechselnd auf den Bildschirm und in das Gesicht ihrer Ärztin. Konzentriert führte sie den Ultraschall durch. Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie sah Ute an.

"Sehen Sie das hier?"
"Ja.", sagte Ute erwartungsfroh, aber der Gesichtsausdruck der Ärztin irritierte sie.
"Es tut mir leid. Wir sehen hier den Grund warum Ihre Tage sehr wahrscheinlich momentan ausbleiben. Das ist eine Zyste. Schwanger sind Sie definitiv nicht.

Ute wurde schwarz vor Augen.

Mittwoch, 20. März 2013

Valentinsabend - Donnerstag, 14. Februar 2013

Lars war aufgeregt wie ein kleiner Junge, als er in Köln aus dem Zug stieg und sich auf den Weg zu Charlottes Wohnung machte. Ursprünglich hatte er zuerst nach Hause gewollt um sein Gepäck loszuwerden, aber der Gedanke, Ute vor dem Gespräch mit Charlotte ausgesetzt zu sein, hatte ihm solche Magenschmerzen bereitet, dass er sich entschieden hatte, einfach sofort mit Sack und Pack vom Bahnhof zu Charlotte zu fahren. Das ersparte ihm außerdem mögliche Diskussionen mit Ute darüber, in welche Richtung er das Haus verließ. Es graute ihm jetzt schon davor, nachher mit ihr reden zu müssen. Er hatte keine Ahnung, in welcher Gemütslage sie sich befand und wusste auch nicht wirklich, was er ihr sagen sollte. Insgeheim hoffte er darauf, dass er zumindest Letzteres nach dem Gespräch mit Charlotte wüsste. Wenn sie bloß zu Hause war. Und hoffentlich alleine. Der Gedanke, es könnte ein anderer Valentin bei ihr im Bett liegen, machte ihn fertig.
Immerhin hatte sie ihm eine Dankes-SMS für seinen Champagnergruß geschickt. Zwar hatte sie sich dabei auch auf das einzige Wort Danke beschränkt, aber immerhin hatte sie sich überhaupt gemeldet. Das interpretierte er als gutes Zeichen. Er hatte aber nichts darauf geantwortet, ihm war nichts Sinnvolles eingefallen und außerdem hatte er seinen Überfall nicht gefährden wollen.
Ein weiteres Geschenk für sie hatte er auch nicht mehr gekauft, er hatte einfach nichts Adäquates gefunden und sich dann gedacht, es sei möglicherweise auch besser so, dann wirkte es nicht so, als wolle er sie mit Geschenken bestechen.

Nun stand er mit seinem Koffer und einer Reisetasche vor ihrem Haus und das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er betätigte die Klingel, aber es erfolgte keine Reaktion. Er seufzte, ließ sich aber nicht entmutigen, weil er wusste, dass sie häufig nicht reagierte, wenn sie niemanden erwartete und drückte die Klingel ein zweites Mal, dieses Mal länger. Wieder passierte nichts. Er überlegte, ob sie einfach nicht öffnete oder gar nicht zu Hause war und ob er sie wohl anrufen sollte. Oder sollte er sich bei den Nachbarn durchklingeln, bis ihn irgendjemand ins Haus ließ und es dann oben an ihrer Wohnungstür noch einmal probieren und gegebenenfalls dort warten? Da er sich nicht entscheiden konnte, drückte er zur Überbrückung ein drittes Mal lange auf dem Klingelknopf und tatsächlich schnarrte plötzlich ein fragendes "Hallo?!" aus der Gegensprechanlage.
Lars hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet und erschrak fast ein wenig, dann stammelte er intuitiv "Paketpost" und tatsächlich ging der Summer und die Tür war offen.

Eigentlich war es überhaupt nicht seine Absicht gewesen vorzutäuschen, er sei der Postbote, um Einlass zu erlangen. Er wusste selbst nicht, warum er es gemacht hatte, er war so perplex gewesen, als er plötzlich ihre Stimme aus der Gegensprechanlage vernommen hatte, dass er einfach intuitiv "Paketpost" gesagt hatte. Naja, sie würde ihm sicherlich verzeihen, auch wenn er nur mit Reisegepäck und ohne Paket vor ihrer Tür stand. Wer weiß, vielleicht hätte sie ihn auch gar nicht hineingelassen, wenn er nicht der Paketbote gewesen wäre...

*****

Bereits zum zweiten Mal klingelte es heute an der Türe, ohne das Lotte irgendwen erwartete. Sie beschloss, es zu ignorieren. Auch als es erneut klingelte, sagte sie sich, dass sie bereits ihren Valentinsgruß erhalten hatte und es keinen Grund gab, die Türe zu öffnen. Doch als es zum dritten Mal klingelte und wieder lang und eindringlich, siegte schließlich ihre Neugierde. Vielleicht war es doch etwas Wichtiges. Sie könnte wenigstens fragen, wer dort war, im Zweifel ließ sie die Person eben nicht hinein.
Diesmal war es der Paketbote und nachdem sie bereits dem Blumenmann in ihrer Sonnenbrille heute Morgen gegenübergetreten war, beschloss sie, dass sie es ein weiteres Mal auch beim Paketboten überleben würde. Ein Auftritt in Sonnebrille war immer noch weniger seltsam, als nachzufragen und ihm dann nicht die Türe zu öffnen. Sie war gespannt, was es diesmal sein mochte. Am Ende hatte Jan sich doch eines Besseren besonnen und ihr einen Valentinsgruß geschickt?
Sie hörte, wie jemand die Treppe hochgeächzt kam. Was immer der Paketbote brachte, es hörte sich an, als habe er ziemlich schwer zu schleppen, so wie er stampfte und mit seiner Last gegen das Treppengeländer schepperte. Lotte spürte ein leichtes Kribbeln im Bauch. Was konnte in so einem großen Paket wohl drin sein und wer hatte es ihr geschickt?
Als sie hörte, dass der Bote ihren Treppenabsatz erreicht hatte, riss sie die Türe auf, ohne sich zuvor durch den Spion zu vergewissern, dass es auch wirklich ein Paketbote war, wie sie es heute Morgen getan hatte. Wer so schwer schleppte, würde kaum kommen, um sie zu vermöbeln.

Als sie ins Gesicht des vermeintlichen Paketboten blickte, war es dennoch wie ein Schlag ins Gesicht. "Lars!", schrie sie überrascht auf, dann wich sie zurück und schloss die Wohnungstür bis auf einen winzigen Spalt. Am liebsten hätte sie sie ganz zugeknallt beim Gedanken an ihr Auge, aber das wagte sie nicht. Sie wäre am liebsten im Boden versunken. Wie hatte sie so dumm sein können einfach die Türe zu öffnen? Sie wollte nicht, dass er sie so sah. Sein Blick sprach jetzt schon Bände.

"Charlotte! Willst Du mich nicht reinlassen?"
"Nein... ja... ich..."
"Wieso trägst Du diese Sonnenbrille?". Seine Stimme klang alarmiert.
Ihre Stimme zitterte. "Karneval... du weißt schon, Augenringe... die Spätfolgen vom Saufen."
Er sah sie zweifelnd durch den Türspalt an.
"Charlotte, lass mich rein, bitte. Ich möchte mit dir reden."

Lotte gab die Tür frei. Es hatte keinen Sinn, er hatte sowieso gesehen, was los war und sie konnte ihn doch jetzt nicht wegschicken.
"Lotte, nimm die Brille ab. Die brauchst du hier drin nicht."

Sie schüttelte heftig den Kopf. Er sah, wie Tränen unter den dunklen Gläsern durchrannen. Vorsichtig nahm er ihr die Brille ab und schloss sie in die Arme. Der Anblick, der sich ihm unter der Brille bot war schlimmer, als er befürchtet hatte. Wut stieg in ihm auf.
"Charlotte, wer war das?"

Sie antwortete nicht, schluchzte nur heftig in seinen Armen.
"Lotte, wie ist das passiert?"

Er drückte sie ein Stück von sich weg, so dass er ihr ins Gesicht schauen konnte. Sie senkte den Blick.
"Ein Unfall an Karneval. Es war Gedränge beim Zug und auf einmal hatte ich einen Ellbogen im Gesicht. Du weißt ja, wie das ist. Passiert an Karneval. Dumm gelaufen."

Sie versuchte ein schiefes Lächeln. Er glaubte ihr kein Wort. Viel zu fahrig war ihre Mimik, während sie versuchte, es ihm weißzumachen. Aber es war wohl auch nicht der Augenblick, wo er es mit ihr ausdiskutieren sollte. Er beschloss, es vorerst auf sich beruhen zu lassen und der Sache später auf den Grund zu gehen. Erst einmal hatten sie andere Dinge zu klären.
"Arme Maus."

Zärtlich drückte er sie wieder an sich und hielt sie minutenlang einfach nur in seinen Armen, bis sie sich beruhigt hatte.
Wenn er mit allem gerechnet hatte, aber nicht mit einer so verletzten und schutzbedürftigen Charlotte. Es musste ihr wirklich dreckig gehen, dachte er, während sie in seinen Armen lag und weinte. Sonst hätte sie sich diese Blöße nicht gegeben. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihn zusammenstauchen würde, vielleicht auch achtkantig herauswerfen oder aber im besten Falle, ihn auflaufen lassen und anhören würde, ohne allzu viel Regung zu zeigen. Ab und zu eine spitze Bemerkung und dabei ein Pokerface, das über einen längeren Zeitraum, darauf war er gefasst gewesen. Aber nicht auf ein Häuflein Elend mit einem blauen Auge, dass weinend in seinen Armen lag und sich dabei nicht einmal Mühe gab zu verbergen, dass es sich danach gesehnt hatte.
Wieder wurde ihm klar, dass er nicht zu Ute zurück konnte, ob schwanger oder nicht. Ute hätte niemals solche Emotionen in ihm ausgelöst, wie er sie gerade empfand. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er es soweit hatte kommen lassen und Charlotte enttäuscht hatte, statt sich endlich zu ihr zu bekennen und aufzuräumen in seinem Leben. Er hätte längst bei ihr sein können, statt sich nach Paris zu flüchten und dann wäre vielleicht die Sache mit ihrem Auge gar nicht erst passiert. Er spürte eine unbändige Wut auf den, der ihr das angetan hatte. Sein Frauenbild mochte sicherlich von manchen Menschen als herablassend betrachtet werden, aber eines war für ihn klar, man schlug keine Frauen. Und wer immer Charlotte geschlagen hatte, würde dafür büßen. Er würde es herausfinden.

"Was wolltest du mir sagen?"

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste es ihr sagen. Am besten direkt, dann hatte er es hinter sich.
"Ute ist schwanger."

Während Lars diesen Satz hervorpresste, machte er ein Gesicht als hätte er gerade verkündet, dass er unheilbar krank sei. Lotte schluckte schwer.
"Das war eines meiner 95 Horrorszenarien. Herzlichen Glückwunsch. Dann werdet Ihr ja jetzt bestimmt eine glückliche Familie."

Während sie das sagte, liefen ihr erneut die Tränen. Lars seufzte.
"Nein, Lotte, das werden wir nicht. Ich musste die Nachricht nur verdauen. Und natürlich konnte ich mich deswegen auch nicht wie geplant trennen. Ich habe es vorgehabt, wirklich. Ich habe angefangen, ihr alles zu sagen und dann sagte sie plötzlich, dass sie schwanger ist. Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe mich erstmal nach Paris zurückgezogen. Ich wusste nicht mehr, wo vorne und hinten ist, das kannst du mir glauben. Ich weiß es immer noch nicht. Ich will kein Kind mit dieser Frau, ich will eine Familie mit dir. Aber ich kann ihr ja nicht sagen, dass sie es wegmachen soll. Und ich traue mich auch nicht, mich jetzt in der Schwangerschaft von ihr zu trennen. Sie ist ohnehin so labil, wenn sie wegen dem Trennungsstress das Kind verlieren würde, würde ich mir das nie verzeihen. Ich weiß nicht, was ich tun soll, momentan denke ich, ich warte einfach ab, bis das Kind auf der Welt ist und trenne mich dann endgültig. Also ich kümmere mich natürlich um mein Kind, aber Utes und mein Weg wird sich dann endgültig trennen und dann können wir beide endlich zusammen sein. Was meinst du?"

Entgeistert starrte Lotte ihn an. In ihrem Kopf drehte sich alles, sie musste seine Worte erst verdauen, das war alles zu viel für sie.
"Ich weiß es nicht. Geh zu ihr. Geh und kümmer dich um dein Kind!"

Sie stieß ihn weg. "Geh jetzt bitte. Mir ist das gerade alles zu viel."

Wie ein begossener Pudel stand Lars vor ihr, dann griff er nach seinem Gepäck und wandte sich zur Tür.
"Gehst du jetzt zu ihr?"
"Nein, ich nehme mir ein Hotelzimmer. Ich gehe morgen zu ihr. Ich habe sie seit dem Tag nicht mehr gesehen und muss mit ihr reden, wie es weitergeht."
"Und dann ziehst du wieder bei ihr ein?"
"Ich weiß es nicht, Charlotte. Ich weiß gar nichts mehr. Haben wir noch irgendeine Chance oder wirfst du mich gerade für immer raus?"
"Ich weiß es nicht. Ich will keinem Kind den Vater nehmen. Ich habe mir immer geschworen, dass das der Moment sein würde, wo ich mich zurückziehe."

Sie drückte ihn schon fast durch die Wohnungstür. Scheinbar konnte sie ihn gar nicht schnell genug los werden. Immer noch rannen ihr die Tränen über das Gesicht. Ihr geschwollenes Auge musste unglaublich wehtun. Er wollte nicht gehen. Er wollte bei ihr bleiben. Für immer. Aber vielleicht war es dafür nun zu spät. Vielleicht hätte er vorher mit Ute klare Verhältnisse schaffen müssen. Sie wollte keinem Kind den Vater nehmen. Sie würde ihn nicht nehmen, selbst wenn er sich nach der Geburt von Ute trennen würden, dessen war er sich plötzlich sicher.
Auf der obersten Stufe blieb er stehen. Sie hatte die Wohnungstüre noch einen kleinen Spalt weit offen.

"Charlotte?"
Sie sah ihn an.
"Lotte, ich liebe dich. Ich bringe das alles in Ordnung und dann werden wir glücklich. Warte auf mich. Bitte!"

Sie schloss die Tür, ohne ihm eine Antwort zu geben. Auch ihr Blick unter dem Tränenschleier verriet nichts.
Lars rief sich ein Taxi und ließ sich zu einem Hotel fahren. Er würde Ute eine SMS schicken, dass er erst morgen kam. Er konnte sie heute nicht ertragen. Sollte sie denken, was sie wollte. Dann würde er das Handy im Hotelzimmer lassen und sich an der Hotelbar hemmungslos betrinken.

Sonntag, 17. März 2013

Valentinsmorgen - Donnerstag, 14. Februar 2013

Es klingelte an der Tür. Lotte stutzte. Eigentlich erwartete sie niemanden und wenn sie niemanden erwartete, ignorierte sie die Türklingel in der Regel, da in diesem Haus andauernd irgendjemand klingelte und sie keine Lust hatte, sich mit irgendwelchen Werbeboten oder Zeugen Jehovas auseinanderzusetzen. Als es erneut klingelte und diesmal länger, war zumindest klar, dass derjenige unten zu ihr wollte und nicht nur generell Einlass begehrte, um an die Briefkästen zu kommen. Vielleicht war es der Paketbote, der klingelte manchmal so beharrlich. Sie beschloss, wenigstens mal an der Gegensprechanlage nachzuhören.

"Eine Lieferung für Sie!"

Instinktiv betätigte Lotte den Türöffner, erst dann dachte sie an ihr Auge. Hastig griff sie nach ihrer Sonnenbrille. Sollte der Paketbote denken, was er wollte. So unmittelbar nach Karneval würde sie nicht die einzige seltsame Gestalt sein, die ihm die Türe öffnete.
Plötzlich kamen ihr Zweifel. Sie hatte doch gar nichts bestellt. Nicht, dass es eine Falle von Jan war? Sie hörte jemanden die Stufen hochkommen und rief sich zur Ordnung. Als wenn Jan sie in ihrer Wohnung überfallen würde, langsam wurde sie wirklich paranoid. Trotzdem blickte sie erst vorsichtig durch den Spion, bevor sie ihre Wohnungstür öffnete. Sie erblickte einen älteren Mann, der tatsächlich eher wie ein Bote als wie ein Mörder aussah.
Sie öffnete die Tür.

"Da hatten Sie aber einen großzügigen Valentin. Eine Unterschrift bitte, die Dame!"

Der Bote reichte ihr eine Flasche Champagner, an deren Hals eine Rose befestigt war. Sie hatte das Gefühl, dass er die ganze Zeit auf ihre Sonnenbrille starrte. Hastig unterschrieb sie und griff dann nach dem Euro für den Einkaufswagen aus ihrem Schlüsselmäppchen und drückte ihn dem Mann als Trinkgeld in die Hand. Er bedankte sich und wünschte Ihr viel Spaß beim Anstoßen am Abend mit dem Liebsten.

Lotte schnaubte. Von wem auch immer dieser Valentingsgruß kam, sie würde heute Abend sicherlich mit keinem Liebsten anstoßen. Erst jetzt sah sie, dass zusammen mit der Rose auch noch ein kleiner Umschlag an der Flasche befestigt war. Sie öffnete ihn und las.


Liebe Charlotte,
ich mag kein Valentin und Du keine Blumensträuße, deswegen sieh diesen Gruß (ich hoffe, die Champagnerflasche ist größer als das Blümchen) als Zeichen dafür, dass ich nicht nur an Valentin, sondern jeden Tag an Dich denke und Dich wahnsinnig vermisse. Gib uns eine Chance und lass uns reden!
Lars


Sofort stiegen ihr die Tränen in die Augen. Wie süß von Lars. Sie musste an die Worte des Boten denken. Wie gerne würde sie heute Abend mit Lars anstoßen, aber sie wusste nicht einmal, wo er war. Und eigentlich wollte sie es auch nicht wissen. Wahrscheinlich überreichte er gerade Ute einen überdimensionalen Blumenstrauß, schließlich musste der allwöchentliche Blumenstrauß an Valentin ja getoppt werden. Allein der Gedanke widerte sie an. Warum hatte er nicht einfach Schluss machen und alles gut werden können?
Trotzdem sehnte sie sich gerade unendlich nach ihm. Sie nahm den Champagner, legte ihn in den Kühlschrank und stellte die Rose in eine Vase. Dann griff sie zu ihrem Handy und schrieb eine SMS an Lars.

Danke.

Das musste reichen. Sie war gespannt, ob er reagieren würde.

Dienstag, 12. März 2013

Aschermittwoch - Mittwoch, 13. Februar 2013

Ute war froh, dass dieses fürchterliche Karnevalstreiben endlich ein Ende hatte und das Leben in der Stadt nun wieder seinen gewohnten Gang ging. Vorallem aber war sie auch voller freudiger Erwartung, was die nächsten Tage ihr bringen würden. Morgen war Valentin und Lars kehrte aus Paris zurück. Auch wenn es wenig Anlass zur Hoffnung gab, dass ausgerechnet am Valentinstag wieder alles gut werden würde zwischen ihnen, so hoffte sie doch insgeheim darauf, dass er sich durch seine lange Pause in Paris inzwischen ein wenig beruhigt hatte und morgen die Versöhnung mit ihr suchen würde. Vielleicht freute er sich inzwischen ja auch auf das Kind. Und auch wenn Lars bisher immer seine Verachtung gegenüber Valentinsgeschenken geäußert hatte, so träumte sich doch ein klitzekleines bisschen davon, dass er morgen heim kam und ihr sagen würde, alles sei wieder gut, er habe die Schwangerschaft nur erst einmal verdauen müssen und nun habe er sich für sie und das Kind und gegen Charlotte entschieden. Könnte es einen besseren Anlass dafür geben, als Valentin? Vielleicht war es ja kein Zufall, dass er ausgerechnet diesen Tag für seine Rückkehr und ein Gespräch ausgesucht hatte. Irgendwo tief in seinem Inneren musste doch auch Lars Laslandes einen kleinen Hauch von Romantik haben....

Eine gewisse Euphorie trug Ute auch deswegen in sich, weil sie weiterhin ihre Periode nicht bekommen hatte. Übermorgen war der Frauenarzttermin endlich, dann würde sie Gewissheit erlangen, aber so langsam durfte sie sich doch ihrer Meinung nach berechtigte Hoffnung machen, tatsächlich schwanger zu sein. So lange war sie noch nie überfällig gewesen. Sie musste lächeln. Sie war sich sicher, alles würde gut werden, wenn sie tatsächlich ein Kind erwartete. Wenn nicht schon morgen, dann eben bald. Lars würde sie nicht verlassen, wenn sie schwanger war. Er würde sich seinem Kind nicht entziehen können. Vielleicht konnte sie ihm am Freitag schon ein Ultraschallbild zeigen...

*****

Gerade hatte Lotte bei ihren Eltern angerufen und für das traditionelle Familienfischessen am Aschermittwoch-Abend abgesagt. Mit ihrem Auge konnte sie dort unmöglich erscheinen, sie hatte keine Lust, irgendwelche Fragen dazu beantworten zu müssen oder sich Vorwürfe über ihren Umgang gefallen zu lassen. Sie hatte Übelkeit vorgeschoben, wobei vorgeschoben relativ war, ihr war tatsächlich mal wieder totschlecht. Es war einfach alles zu viel momentan. Sie vermisste Lars und war inzwischen doch daran interessiert, was er ihr zu sagen hatte. Die Ungewissheit darüber, was passiert war, war anscheinend doch noch schlechter zu ertragen als irgendeine unbequeme Wahrheit. Nur, ob er ihr die Wahrheit sagen würde, war ja auch die Frage. Sie befürchtete, nur wieder irgendwelche Ausflüchte am Telefon zu hören, eigentlich war es das, was sie bisher abgeschreckt hatte, ihm zuzuhören. Aber inzwischen war die Sehnsucht so stark, dass sie glaubte, falls er heute wieder anrufen würde, würde sie den Anruf annehmen und sich anhören, was er ihr zu sagen hatte.

Aber er rief nicht an. Bis sie ins Bett ging, hatte sie an diesem Tag weder einen Anruf, noch eine Mail oder SMS von Lars erhalten. Das erste Mal seit Tagen, dass er sich gar nicht gemeldet hatte. Vielleicht hatte er aufgegeben. Ausgerechnet jetzt, wo sie so gerne mit ihm gesprochen hätte. Aber den ersten Schritt zu tun und sich selbst bei ihm zu melden, so schlecht ging es ihr noch nicht. Nein, er musste kommen.

*****

Stundenlang war Lars durch Paris gelaufen auf der Suche nach einem Geschenk für Charlotte. Was schenkte man der Frau zum Valentinstag, die man am liebsten heiraten wollte, während man ihr die Nachricht überbringen musste, dass man sich immer noch nicht von seiner Frau trennen konnte, weil diese nun ein Kind erwartete? Er hatte kein adäquates Geschenk gefunden. Als er die Frage per SMS an Frank weitergeleitet hatte, hatte dieser ihm nur zurückgeschrieben, er solle am besten etwas Kleines wählen, damit könne sie ihm wenigstens nicht sofort den Schädel einschlagen. Er hatte ja Recht. Charlotte hätte allen Grund, ihm sein Geschenk um die Ohren zu hauen und er war sich relativ sicher, dass sie dazu durchaus in der Lage war, wenn er ihr morgen die Situation nicht sehr gut erklären konnte. Aber gab es eine gute Erklärung? Konnte er erwarten, dass sie Verständnis für die Situation zeigte? Er war sich nicht sicher. Eigentlich wollte er gerne ihre Meinung hören, wie er nun weiter mit Ute umgehen sollte, ob er sich trennen konnte, wenn sie schwanger war oder nicht, aber er sah ein, dass sie in der momentanen Situation wohl die falsche Ansprechpartnerin war. Er konnte kaum von ihr verlangen, dass sie ihm auch noch darin bestärkte, bei Ute zu bleiben. Wahrscheinlich würde sie es sogar tun, im Gegensatz zu ihm besaß sie Rückgrat, aber er wollte es ihr nicht antun.
Sein momentan favorisierter Plan war, sich von Ute zu trennen, sobald das Kind da war, so dass die Schwangerschaft nicht gefährdet würde. Aber wahrscheinlich konnte er das Charlotte so nicht kommunizieren, sie würde sich sicherlich erneut vertröstet fühlen und möglicherweise klang es auch zu grausam für eine Frau.
Hoffentlich würde sich alles morgen spontan finden. Charlottes Nähe hatte ihm immer Kraft gegeben und vielleicht würde sie ihn morgen auch spontan die richtigen Worte finden lassen. Bis dahin musste er dann nur noch das passende Geschenk finden. Er hoffte, über Nacht noch eine Eingebung zu bekommen.
Gemeldet hatte er sich heute bewusst nicht bei Charlotte. Ein bisschen Abstand vor seinem Überfall morgen war vielleicht ganz gut und außerdem konnte er so ausschließen, sich kurzfristig doch noch eine Abfuhr einzufangen, bevor er morgen bei ihr aufkreuzen wollte.

Samstag, 23. Februar 2013

Veilchendienstag, im wahrsten Sinne - Dienstag, 12. Februar 2013

Lars hatte in den letzten Tagen immer noch nichts von Charlotte gehört, auch gestern Abend war sie wieder nicht ans Telefon gegangen und hatte seine SMS ignoriert. Er fragte sich, ob sie so heftig am feiern war, dass es schlicht darauf zu schieben war oder ob sie, ohne überhaupt zu wissen, was er ihr genau zu sagen hatte, so verletzt war, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Natürlich deutete ihre SMS, die einzige, die sie ihm überhaupt geschickt hatte, eher auf Letzteres hin, aber er wollte einfach nicht glauben, dass sie ihm überhaupt keine Chance gab, sich zu erklären und ihn jetzt auf alle Zeiten ignorierte. Er war solche Reaktionen nicht gewohnt und es kratzte an seinem Ego, wenn auch nicht so sehr wie die Vorstellung, dass sie sich an Karneval mit anderen Männern vergnügen könnte, um ihn möglichst schnell zu vergessen. Wenigstens war Karneval ab morgen vorbei.
Trotzdem musste er etwas unternehmen. Wenn sie seine Anrufe und Nachrichten ignorierte, würde er wohl persönlich bei ihr vorbeischauen müssen, sobald er wieder in Köln war. Er würde am Donnerstag zurück reisen, dann war auch Valentin. Eigentlich hielt er überhaupt nichts vom Valentinstag, er glaubte, dieser sei nur zum Umsatz der Geschenkeindustrie erfunden worden, aber dieses Mal kam er ihm gerade recht. Auch wenn Charlotte nicht besonders romantisch veranlagt war, so würde sie sich sicherlich über ein schönes Geschenk von ihm zum Valentinstag freuen. Er würde nachher in der Stadt schauen, was er für sie finden konnte und dann am Donnerstag Abend, wenn er wieder in Köln war, damit bei ihr vor der Tür stehen. Ohne Voranmeldung, sonst würde sie es bestimmt nicht zulassen. Wenn sie nicht zu Hause sein sollte, würde er es am nächsten Tag wieder probieren. Dass sie nicht allein zu Hause sein könnte, wollte er sich lieber nicht ausmalen.
Er beschloss, ihr bereits über das Internet Blumen zu bestellen, die am Donnerstag Morgen geliefert werden sollten. Dadurch würde sie noch überraschter sein, wenn er abends persönlich vor der Tür stünde.
Er überlegt, während er sich durch den Onlineshop des Blumenhändlers klickte. Eigentlich stand Charlotte nicht auf Blumensträuße und von ihm schon gar nicht, seit sie wusste, dass er Ute seit Jahren jede Woche einen als Entschuldigung mitbrachte. Nicht, dass er sie damit noch mehr gegen sich aufbrachte. Schließlich entschied er sich für eine Flasche Champagner mit einer Rose dazu, das war wenig Blume und viel Alkohol, damit würde er hoffentlich bei ihr Gnade finden. Er tippte die persönliche Grußbotschaft schließlich nach gefühlten 20 Umformulierungen ein:

Liebe Charlotte,
ich mag kein Valentin und Du keine Blumensträuße, deswegen sieh diesen Gruß (ich hoffe, die Champagnerflasche ist größer als das Blümchen) als Zeichen dafür, dass ich nicht nur an Valentin, sondern jeden Tag an Dich denke und Dich wahnsinnig vermisse. Gib uns eine Chance und lass uns reden!
Lars

Lars sendete die Bestellung ab und hoffte, Charlotte würde seine Gabe nicht verschmähen. Ute würde er dieses Jahr nichts zu Valentin schenken und auch den obligatorischen Blumenstrauß würde es nicht mehr geben. Er war sich nicht einmal sicher, ob er in die gemeinsame Wohnung zurückkehren sollte oder sich vorerst im Hotel einquartieren würde. Zuerst musste er so oder so nach Hause wegen seiner Sachen und dann würde er spontan schauen, wie es mit Ute lief. Wenigstens hatte er noch ein bisschen Schonfrist bis Donnerstag.

*****

Lotte blickte in den Spiegel. Ihr Auge sah immer noch grauenvoll aus. Trotzdem musste sie mit Schröder raus. Sie versuchte die Spaziergänge möglichst im Dunklen zu absolvieren, was bei dieser Jahreszeit kein größeres Problem darstellte. Außerdem trug sie eine riesige Sonnebrille - auch damit fiel sie zumindest an Karneval nicht auf, ab morgen würde das wieder anders aussehen. Sie hoffte, ihr Auge würde schnell wieder besser aussehen.
Jan hatte sich nicht mehr gemeldet. Keine Entschuldigung, keine Nachfrage, nichts. Stattdessen hatte Nico sich entschuldigt, obwohl er ja eigentlich gar nichts dafür konnte, er hatte sogar angeboten, für sie einkaufen zu gehen oder sie besuchen zu kommen, aber Lotte hatte dankend abgelehnt. Sie hatte genug Vorräte, außerdem hatte sie ohnehin keinen Hunger und sie wollte auch niemanden sehen. Das Einzige, was sie gerne gehabt hätte, waren Informationen, wie es mit Jan am Sonntag Abend weitergegangen war. Sie hatte Nico danach gefragt, aber er wusste nichts. Allerdings vermutete er, dass die Polizei ihn ohne weitere Konsequenzen hatte laufen lassen, nachdem er wieder nüchtern gewesen war.
Inzwischen tat ihr sein Verhalten viel mehr weh als das Auge selbst. Warum hatte Jan sich nicht wenigstens erkundigt, wie es ihr ging oder sich entschuldigt? Natürlich, eigentlich hatte er das nie getan, in all den Jahren, wenn ihm einmal die Hand ausgerutscht war. Er hatte sich immer eine Weile zurückgezogen und dann so getan, als wäre nie etwas gewesen. Und sie hatte es mitgemacht. Vielleicht war sie es einfach selber schuld. Wieder kamen ihr die Tränen. Nicht einmal richtig weinen konnte man mit dem verdammten Auge. 
Sie spürte Sehnsucht nach Lars. Er würde so etwas niemals tun. Gestern Abend hatte er wieder versucht, sie zu erreichen und sie war versucht gewesen, tatsächlich ans Telefon zu gehen, aber der Gedanke, dass sie am Telefon in Tränen ausbrechen könnte, hatte sie zurückgehalten. Auch seine SMS, wie es ihr ginge und was sie mache, hatte sie ignoriert. Was hätte sie denn antworten sollen?!

Mittwoch, 20. Februar 2013

Mit einem blauen Auge, nicht davon gekommen - Montag, 11. Februas 2013

Lotte wusste immer noch nicht, wie es hatte gestern Abend passieren können, aber sie wusste, es hätte nie passieren dürfen. Abends, als sie nach dem Karnevalszug im Veedel mit allen in der Kneipe war, war sie Jan begegnet und die Situation war völlig aus dem Ruder gelaufen. Sie war eigentlich nicht auf Streit aus gewesen, im Gegenteil, sie hatte ihn zunächst freundlich gegrüßt und so getan, als hätten sie kein Problem miteinander, aber Jan hatte sofort deutlich gemacht, dass er das anders sah und sie mit Beschuldigungen übergossen, was sie für ein Miststück wäre und dass sie ihn ständig provozieren wolle. Sie hatte daraufhin versucht, ihm aus dem Weg zu gehen, was beim Getümmel in der Kneipe erst einmal kein Problem gewesen war. Konkret gesagt hatte sie ihn einfach stehenlassen, während er sie beschimpfte und sich durch die Menge zu Nico und anderen Freunden, die sei bereits seit Kindertagen kannte, durchgedrängt, um mit ihnen in Ruhe zu feiern. Jan war ihr nicht gefolgt und zunächst war alles gut erschienen, sie hatte ihn gar nicht mehr wahrgenommen. Doch dann, irgendwann zu fortgeschrittener Stunde, als sie bereits ganz gut etwas getrunken hatte, waren sie und Nico sich näher gekommen, so, wie man sich an Karneval nun einmal näher kommt, manchmal. Es war wie in diesem Lied gewesen "1000 Mal berührt, 1000 Mal ist nichts passiert...". Sie kannten sich schon so lange und waren sich eigentlich, bis auf eine kleine Anspielungen im Suff, die aber immer eher spaßig gemeint waren, noch nie ernsthaft näher gekommen. Jan hatte das zwar immer anders gesehen - Nico und er waren lange Zeit sehr gut befreundet gewesenen, was sich geändert hatte, als Lotte und Jan ihre erste von vielen Trennungen hatten und Nico sich auf Lottes Seite geschlagen hatte. Es war damals rein freundschaftlicher Natur gewesen und Nico hatte lediglich zu ihr gehalten, weil er es nicht hatte mitansehen können, wie mies Jan sie behandelt hatte, aber Jan hatte es nie glauben wollen und ihnen immer eine Affäre unterstellt.
Plötzlich hatte Nico ihr dann gestern Abend beim Tanzen ins Ohr geflüstert, was sie davon halten würde, wenn sie an diesem wunderbaren Karnevalssonntag Jans Albtraum Wahrheit werden lassen würden und wirklich ein bisschen Spaß miteinander hätten, es würde schließlich eh nichts ändern und am Dienstag würde der Nubbel alles wieder ungeschehen machen. Sie hatten noch kurz eng umschlungen getanzt und hatten dann die Kneipe verlassen, um sich ein ruhigeres Plätzchen zu suchen. Kaum waren sie jedoch vor die Tür getreten, war Jan plötzlich auf sie zugestürzt gekommen und hatte Nico seine Faust ins Gesicht gerammt. Lotte hatte versucht dazwischen zu gehen und deeskalierend zu wirken, da sie wusste, dass auch Nico durchaus aggressiv werden konnte, wenn er nicht mehr ganz nüchtern war. Ihr Erfolg war gewesen, dass als Nächstes Jans Faust sie knapp unterhalb des Auges getroffen hatte und sie zu Boden gestürzt war. Inzwischen waren andere Jecke herbeigeeilt und halfen ihr hoch, während Nico auf Jan losstürzte und ihn zusammenschrie, ob er inzwischen völlig den Verstand und jegliche Ehre verloren hätte, eine Frau zu schlagen, während Jan sie beide auf's Übelste beschimpfte. Sie selbst war durch den Schlag, den Schock und vermutlich auch den Alkohol so benebelt gewesen, dass sie die Details gar nicht mehr mitbekommen hatte, sie wusste nur, dass am Ende ein Streifenwagen gekommen war, während die beiden Streithähne bereits getrennt worden waren, aber Jan immer noch wahnsinnig aggressiv tobte und versuchte, sich aus der Umklammerung zweier Schränke zu lösen und wieder auf sie oder Nico loszustürzen, und die Polizisten Jan schließlich in den Wagen gepackt und mitgenommen hatten. Inzwischen waren auch andere aus der Clique aus der Kneipe gekommen und Lisa und Ines, die sie ebenfalls von Kindesbeinen auf kannte, hatten gesagt, sie würden sie nach Hause bringen, es wäre wohl besser, wenn Nico das nicht übernehmen würde. Hier war sie nun gerade aufgewacht und spürte, dass sie ihr linkes Auge kaum öffnen konnte, weil es durch den Schlag, der es eigentlich nicht einmal richtig getroffen hatte, so zugeschwollen war. Dabei hatte sie es gestern Abend, als sie zu Hause war, sofort gekühlt.
Sie war immer noch fassungslos. Auch wenn der Schlag nicht direkt ihr gegolten hatte, sondern eher in Richtung Nico gegangen war, so hatte Jan doch mit seinen Beschimpfungen hinterher deutlich gemacht, dass er ihn nicht als Fehlschlag sah. Und hätte man ihn gelassen, so hätte er ihr vielleicht noch mehr verpasst. Was war nur mit ihm geschehen, dass er zu solchen Dingen fähig war?
Karneval war jedenfalls für sie gelaufen, mit diesem Auge würde sie vorerst das Haus nicht mehr verlassen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Sie sah grauenvoll aus und außerdem war das Gefühl widerlich, es spannte und schmerzte.
Ihr kamen die Tränen, was es nicht besser machte. Sie versuchte, sich zusammenzureissen, um nicht noch mehr Schmerzen durch die Heulerei zu bekommen, aber es fiel ihr schwer. Sie fühlte sich so einsam, hilflos und gedemütigt. Es hatte nie gereicht zwischen Jan und ihr, immer wieder war es zu schlimmen Konflikten gekommen und es war auch nicht das erste Mal gewesen, dass ihm die Hand gegen sie ausgerutscht war, allerdings war es noch nie so aus heiterem Himmel gekommen. Sie fühlte sich bedroht und unsicher und wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie fragte sich auch, was die Polizei wohl mit ihm gemacht hatte. Vermutlich nichts, bestenfalls hatten sie ihn in eine Ausnüchterungszelle gesteckt, aber so betrunken war er ihr gar nicht vorgekommen.
Sie wünschte sich, mit ihm abschließen zu können und ihn nie wieder sehen zu müssen. Überhaupt wünschte sie sich gerade eigentlich nur ein bisschen Sicherheit und Geborgenheit, von einem anständigen Mann in die Arme genommen zu werden und sich beschützt zu fühlen. Sie sehnte sich nach Lars...

Samstag, 16. Februar 2013

Vor dem Fall - Sonntag, 10. Februar 2013

Lars erwachte, weil er auf die Toilette musste. Auf einem Radiowecker, der nicht seiner war, sah er in roten Lettern, dass es 07:24 Uhr war. Neben ihm lag eine dunkelhaarige Schönheit, die mit viel Glück vielleicht gerade 20 Jahre alt war und an deren Namen er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Er beschloss, dass es die beste Idee sei, sich nicht nur leise ins Bad, sondern direkt danach aus der Wohnung zu stehlen.
Nichtsdestotrotz, es war gut gewesen mit ihr. Sie hatten sich gestern Abend zufällig in der Metro kennengelernt. Er hatte sie versehentlich angerempelt, darüber waren sie ins Gespräch gekommen und schließlich hatte sie ihn einfach gefragt, ob er nicht noch einen Kaffee mit ihr trinken wolle. Er war mit ihr gegangen und statt eines Kaffees waren es zwei Flaschen Rotwein geworden. Für ihre jungen Jahre war sie erstaunlich abgebrüht gewesen. Vielleicht wirkte sie auch nur so jung. Es spielte keine Rolle, er konnte sich nicht einmal an ihren Namen erinnern. Erst hatte sie ihm ihn nicht verraten wollen und dann am Ende, nachdem sie nach dem Rotwein noch mit einem Calvados angestoßen hatten, hatte sie ihm doch ihren Namen ins Ohr geflüstert. Er glaubte, dass er mit A angefangen hatte, aber selbst das konnte er nicht mehr sicher sagen. Es war egal. Leise zog er die Türe hinter sich zu und verließ die Wohnung. Er sah auf das Namensschild, aber dort stand nur der Nachname. Rouge. Na immerhin.

*****

Es war 8 Uhr morgens, als er nach Hause kam. Er setzte sich an den Computer, zündete sich eine Zigarette an und startete das Video, nicht ohne zuvor noch einen tiefen Schluck aus der Wodkaflasche genommen zu haben. Auf dem Bildschirm tanzte Lotte, nur in Unterwäsche bekleidet, auf das Bett zu. Lasziv räkelte sie sich dann auf den Laken. Nach drei Minuten stoppte er das Video wieder. Er konnte es nicht ertragen. Damals hatte sie noch ihm gehört. Da war sie ihm noch treu gewesen, wenigstens hoffte er das. Auf jeden Fall hatte sie sich damals noch nicht jedem x-beliebigen Spinner an den Hals geworfen, wie sie es heute tat.
Noch nie hatte er sie so sehr gehasst wie jetzt. Er fragte sich, ob sie ihn bemerkt und bewusst provoziert hatte. Eigentlich war es fast unmöglich. Sie hatte vorher nicht wissen können, dass er auch in dieser Kneipe war und eigentlich hatte es auch nicht so gewirkt, als habe sie ihn gesehen, zumindest hatte sie ihn nie angesehen. Sie hatte ihn überhaupt nicht beachtet, weil sie nur Augen für diesen Widerling hatte. Mit einem Gartenzwerg hatte sie rumgemacht. Was für ein lächerliches Kostüm, aber es schien ihr überhaupt nichts auszumachen. Sie hingegen hatte unglaublich sexy ausgesehen in ihrem Kostüm. Aber dessen war sie sich mit Sicherheit bewusst gewesen. Wie arrogant sie geworden war. Deswegen traute er es ihr auch zu, dass sie ihn doch bemerkt hatte und das alles ein abgekartetes Spiel gewesen war. Wahrscheinlich würde er es heute Abend bemerken. Heute Abend, wenn sie sich in ihrer Stammkneipe im Veedel wiedersahen, wie jedes Jahr an Karnevalssonntag nach dem Zug. Wenn sie ihn dann auch wieder provozieren würde, war für ihn die Sache klar. Bestimmt würde sie es tun. Sie musste ja zeigen, dass sie etwas Besseres war, dass sie jeden haben konnte, dass er unter ihrem Niveau war. Verdammte Schlampe. Hochmut kommt vor dem Fall und du wirst tief fallen, ganz tief, dachte er.
Er nahm einen weiteren tiefen Schluck aus der Wodkaflasche und startete dann Battlefield. Er brauchte Ablenkung und an Schlafen war nicht zu denken, dafür war er viel zu aufgebracht.

Ablenkung gesucht - Samstag, 09. Februar 2013

Heute fühlte sich Lotte wieder fit. Sie war sehr erleichtert gewesen, dass alle ihre Qualen vom Vortag nach dem Aufwachen wie weggeblasen gewesen waren. Das war zumindest soweit wahr, wie es sich um die körperlichen Qualen handelte. Der aktuelle Zustand mit Lars und auch der Gedanke, was Jan wohl an Karneval treiben könnte, quälten sie nach wie vor. Aber davon würde sie sich am Abend beim Geisterzug ablenken, wo sie gemeinsam mit Doro und ein paar Kommilitoninnen mitfeiern wollte. Die Frage war lediglich, wie sie sich bis 17 Uhr ablenken sollte, denn dann erst trafen sie sich. Sie beschloss, sich erst einmal mit ein paar sinnlosen Spielen auf Facebook abzulenken, das klappte eigentlich immer recht gut. Gerade als sie sich eingeloggt hatte, klingelte ihr Handy. Es wurde mit unterdrückter Nummer angerufen und da fürchtete, es könne Lars sein, ging sie nicht ran. Tatsächlich war ihre Befürchtung nicht unbegründet gewesen. Nur zwei Minuten später piepte eine SMS, die ebenfalls von Lars war.

Charlotte, bitte geh ans Telefon oder schick mir wenigstens eine SMS, wann wir reden können. Mir ist klar, wie es auf Dich wirken muss, aber es ist anders. Bitte, ich will es Dir nicht per SMS oder Mail schreiben müssen. Lars

Wieder kreisten ihre Gedanken darum, was passiert sein könnte. Aber was immer es war, er schien sich nicht getrennt zu haben und damit war alles andere eigentlich hinfällig.
Sie drückte auf Antworten.

Wir können reden, wenn Du Dich getrennt hast. Falls Du Dich getrennt hast. Ansonsten gibt es nichts zu reden.

Kaum hatte sie die Empfangsbestätigung für die SMS erhalten, ging erneut ein Anruf mit unbekannter Nummer auf ihrem Handy ein. Sie drückte ihn weg und schaltete das Handy aus. Wenn er jetzt auch noch auf Festnetz anrief, würde sie das Kabel aus der Wand reißen.
Kurzentschlossen griff sie selbst zum Hörer und rief Doro an, ob sie nicht Lust hätte, bereits jetzt mit dem Vorglühen zu beginnen. Sie hatte.

*****

Lars kam sich vor wie ein Tiger im Käfig. Er hatte sich noch nie in seinem Leben so ratlos gefühlt. Er war weder mit seinen Überlegungen, wie es mit Ute weitergehen sollte, noch mit denen, wie er das alles Charlotte beibringen sollte, auch nur ein Stück weiter gekommen. Allerdings hielt ihn das inzwischen nicht mehr davon ab ständig zu versuchen, Charlotte zu erreichen Er hoffte einfach, dass ihm spontan die richtigen Worte in den Sinn kommen würden, wenn er erst einmal mit ihr sprach. Damit, dass sie so konsequent den Kontakt mit ihm verweigerte, hatte er ebenfalls ziemlich zu knabbern. Er war es gewohnt, die Fäden in der Hand zu haben und momentan schien es so, als habe er auf ganzer Linie die Kontrolle verloren.
Er fragte sich, ob es vielleicht sinnvoll wäre, heute Abend ein wenig Ablenkung zu suchen und an einem Samstagabend in Paris auf Beutezug zu gehen. In den letzten Tagen war er dazu nicht in Stimmung gewesen, zu groß war die Angst gewesen, es könne auch bei einem seiner Beutezüge noch etwas schiefgehen, aber gerade war er sich sicher, dass es ihm eventuell helfen könnte, den Kopf ein wenig frei zu bekommen. Er musste eben genau darauf achten, wenn er sich aussuchte, dann würde auch kein Missgeschick passieren. Schließlich war ihm eigentlich in den ganzen Jahren noch keines passiert - außer jetzt mit seiner eigenen Frau. Wenn man die Sache mit Franziska außen vorließ, jedenfalls. Er dachte an die Karnevalsfeier vom Golfclub, die ebenfalls an diesem Abend stattfinden würde. Ein Glück, dass er in Paris war und Ute würde mit Sicherheit nicht alleine hingehen. Damit blieb ihm wenigstens weiterer Stress in Sachen Franziska erspart. Er war gespannt, ob sie sich heute noch einmal melden würde.

Freitag, 15. Februar 2013

Der Morgen danach - Freitag, 08. Februar 2013

Der Morgen danach brachte Lotte ein böses Erwachen. Sie hatte einen Wahnsinnskater und neben den Kopfschmerzen die in letzter Zeit schon fast obligatorische Übelkeit. Ob es daran lag, dass sie Fabio mit seinen seltsamen kurzen braunen Ringellöckchen plötzlich so gar nichts mehr abgewinnen konnte oder einfach an der Tatsache, dass sie wieder nüchtern war, vermochte sie nicht zu beurteilen. Allerdings war sie sich sicher, dass sie aufgrund aller dieser Tatsachen gerne auf das Frühstück verzichten konnte und machte sich unbemerkt aus dem Staub, während Fabio noch vor sich hin schnarchte.

Zu Hause angekommen aß sie einen Teller Nudeln mit Ketchup, das Einzige, worauf sie Hunger verspürte und jagte anschließend zwei Kopfschmerztabletten hinterher, in der Hoffnung, dass sie helfen würden. Danach kroch sie in ihr Bett und döste ein wenig, bis sie vom Vibrieren ihres Handys geweckt wurde. Lars rief an. Sie spürte sofort Schmetterlinge im Bauch, die allerdings gerade eher zu weitererer Übelkeit führten, als dass sie ein angenehmes Gefühl verursachten. Sie drückte den Anruf weg und atmete tief durch. Zwei Minuten später rief er erneut an. Diesmal ließ sie ihn durchklingeln, betete aber innerlich, er würde nicht auf die Mailbox sprechen. Kurz darauf kam eine SMS, die eine neue Mailboxnachricht vermeldete. Lotte beschloss, sie zu ignorieren. Sie stellte die Vibration ab und hoffte, ein wenig schlafen zu können, aber sie war zu unruhig und ihre Gedanken kreisten nur noch um Lars. Vielleicht hätte sie doch mit ihm reden sollen? Vielleicht hatte sie alles völlig falsch interpretiert und es war gar nicht vorbei, sondern sie führte es erst mit ihrem abweisenden Verhalten dorthin? Früher wären ihr solche Gedanken nicht gekommen, aber seit der Beziehung mit Jan war sie in dieser Hinsicht ein gebranntes Kind. Sie hatten so unglaublich viele Mißverständnisse gehabt und er hatte ihr immer wieder vorgeworfen, der Beziehung mit ihrem abweisenden Verhalten aufgrund kleinerer Streitigkeiten den Todesstoß verpasst zu haben. Lotte sah das zwar nur bedingt ein, war aber dennoch inzwischen etwas übersensibel, was die Angemessenheit ihrer Reaktionen anging.
Sie fragte sich, was Jan wohl an Karneval machte. Wahrscheinlich trieb er es ziemlich bunt, wie immer. Ein Kind war dabei bereits herausgesprungen vor einigen Jahren. Sie mochte sich lieber nicht weiter ausmalen, wie seine Karnevalstage aussehen könnten. Der Stachel von damals saß immer noch zu tief.
Sie griff nach ihrem Handy und bekam einen weiteren Anruf in Abwesenheit von Lars sowie zwei SMS angezeigt.

Charlotte, bitte melde Dich. Ich möchte unbedingt mit Dir reden und Dir alles erklären.

Lottchen, meine Phantasie, was Du gerade an Karneval treiben könntest, um Dich von Deinem dämlichen Professor abzulenken, bringt mich um. Bitte, schick wenigstens eine SMS.

Die zweite SMS hatte er nur fünf Minuten nach der ersten geschickt. Wahrscheinlich war Ute gerade einkaufen und er hatte Langeweile. Wenn er wirklich etwas wollte oder sie ihm wichtig war, sollte er es ihr zeigen. Warum kam er nicht einfach vorbei? Er hatte es doch nicht weit. Sie würden ihn schmoren lassen. Entschlossen legte sie das Handy beiseite und rappelte sich hoch. Sie würde sich Kamillentee kochen, vielleicht kam der gegen die Übelkeit an.

*****

Auch an diesem Morgen war Ute erwacht, ohne dass ihre Periode über Nacht eingesetzt hatte. So langsam aber sicher hegte sie wirklich Hoffnung, sie war doch nun schon eine ganze Weile überfällig. In was für Verhältnisse ihr Kind geboren würde, bliebe abzuwarten, aber sie hoffte immer noch, dass in den kommenden Monaten bis zur Geburt mit Lars alles wieder in Ordnung kommen würde. Momentan hatten sie zwar so gut wie keinen Kontakt, auf seinen Wunsch hin, aber sie hoffte, sobald er die Ereignisse verdaut hatte, würde es sich ändern. Sie vermisste ihn zwar wahnsinnig, war aber ausnahmsweise gar nicht so traurig gewesen, als sie gestern seine SMS erhalten hatte, dass er über Karneval in Paris bleiben würde. Er hatte Karneval noch nie leiden können und wenn er feiern war, hatte er es immer nur für Exzesse genutzt, natürlich vor ihrer Zeit, aber die Versuchungen lauerten an diesen Tagen überall, so dass sie nicht unglücklich darüber war, wenn er aus der Schusslinie war. Ganz kurz hatte ihr der Gedanke einen Stich versetzt, er könne möglicherweise nicht alleine in Paris sein, sondern dort Besuch von Charlotte bekommen, aber das konnte sie sich nicht vorstellen. Sie hatte sich erinnert, dass sie auf der Facebookseite von Dorothee Fotos entdeckt hatte, auf denen sie und Charlotte im letzten Jahr sehr ausgelassen Karneval gefeiert hatten und auf manchen Fotos sah es sogar so aus, als seien sie zumindest in der Vergangenheit in einem Tanzcorps gewesen. Ute selbst konnte mit Karneval zwar nichts anfangen, aber sie war sich sicher, dass wenn man solche Dinge an Karneval machte - und Charlotte hatte sehr vergnügt gewirkt auf den Fotos - man nicht über Karneval Köln verlassen und nach Paris reisen würde. Auch nicht für Lars. An dieser Hoffnung hing sie sich auf. Und selbst wenn sie doch dort sein sollte, über kurz oder lang würde Lars die Geschichte jetzt mit Sicherheit beenden, allein durch die Schwangerschaft. Und wenn er es nicht täte, würde sie es tun, da war Ute sich sicher. Sobald Charlotte sie mit ihrem Babybauch sehen würde, würde sie ganz sicher kein Interesse mehr an Lars haben.
Vielleicht sollte sie nochmal auf die Facebookseite von Dorothee gehen, möglicherweise gab es dort neue Karnevalsfotos. Dann hätte sie sogar einen Bildbeweis, dass Charlotte sich in Köln befand. Sie eilte an ihren Schreibtisch und fuhr den Rechner hoch...