Mittwoch, 3. April 2013

Aura - Dienstag, 19. Februar 2013

Ute hatte nicht gut geschlafen in dieser Nacht. Obwohl Lars sich ihr gegenüber nicht besonders liebevoll aufgeführt hatte während seiner Anwesenheit, so hatte sie es doch genossen, als er noch nicht wieder nach Paris abgereist war, sondern neben ihr im Bett gelegen hatte. Nun war sie wieder allein und neben der Tatsache, dass sie Lars vermisste, raubte ihr vorallem die Sorge vor der morgigen OP den Schlaf. Hoffentlich ging alles gut bei der Entfernung der Zyste. Sie hatte eine Wahnsinnsangst, dass die Ärzte ihr hinterher doch sagten, sie könne nun keine Kinder mehr bekommen. Das wäre neben allen anderen Sorgen das Schlimmste, was ihr passieren könnte. Auch wenn ein weiteres großes Problem natürlich darin bestand, wie sie Lars beibringen sollte, dass das vermeintliche Baby gar nicht unterwegs war, ohne dass er sie sofort verlassen würde.
Manchmal hatte sie sich in den letzten Tagen schon gefragt, warum sie ihn überhaupt halten wollte. Er hatte sich neutral betrachtet vermutlich ziemlich unmöglich ihr gegenüber aufgeführt, aber trotzdem liebte sie ihn über alles und die Vorstellung, er könnte sie verlassen und am Ende gar mit dieser Charlotte eine Familie gründen, tat ihr unerträglich weh. Da nahm sie lieber seine aktuellen Launen in Kauf. Ganz sicher würde es bald wieder besser werden. Trotzdem waren die vergangenen Tage nicht angenehm gewesen für sie. Er hatte sie kaum beachtet und sich die meiste Zeit in sein Arbeitszimmer zurückgezogen oder war außer Haus unterwegs gewesen, ohne ihr zu sagen, wo er hinging oder wann er zurück sein würde. Sie hatte keine Ahnung, wo er gewesen war, ob er sich gar mit Charlotte getroffen hatte oder was er sonst getrieben haben mochte. Rein von ihrem Bauchgefühl her hatte sie allerdings nicht den Eindruck, dass er sich mit einer anderen Frau getroffen hatte. Er hatte nachdenklich und bedrückt gewirkt, nicht wie ein Mann, der auf Beutezug ging.Vielleicht hatte er einfach Zeit für sich gebraucht oder hatte austesten wollen, inwieweit sie dazu bereit war, ihm die von ihm während der Aussprache proklamierten Freiheiten zu gewähren, damit er sie nicht verlassen würde. Aus diesem Grund hatte sie es kommentarlos über sich ergehen lassen und keine Fragen gestellt. Es würde sich schon alles wieder einrenken. Aber dafür musste sie das Spielchen mitspielen und attraktiv für ihn sein. Das ging nicht, wenn sie nörgelte oder nicht bereit war, seine Bedingungen zu erfüllen. Er musste sich wohl bei ihr fühlen. So wohl, dass er das Nest nicht mehr verlassen wollte, wenn er erfuhr, dass er vorerst nicht Vater würde. Aus diesem Grund hatte sie ihn neben ihrem Schweigen auch verwöhnt, soweit es ihr möglich war. Sie hatte seinen Lieblingskäse gekauft, den er auch genussvoll verzehrt hatte, wie sie beim Frühstück beobachten konnte, auch wenn er kein Wort darüber verloren hatte. Außerdem hatte sie nur gekocht, was er gerne mochte und auch das würde er zur Kenntnis genommen haben, auch wenn er ebenfalls nichts darüber geäußert hatte.
Außerdem wollte sie sich die Haare wieder wachsen lassen und sie hatte sich ein paar Modezeitschriften besorgt, um an ihrem Kleidungsstil zu arbeiten. Bis Lars am Freitag kam, wollte sie sich schon ein oder zwei neue Sachen besorgt haben. Entweder musste sie sich heute darum kümmern oder hoffen, dass das nach der OP kein Problem darstellen würde.
Sie fragte sich, was für Unterwäsche Charlotte wohl trug. Ihr war klar, dass ihre eigene Auswahl eher zweckmäßig als erotisch war und dass ihre bisherigen Versuche, Lars mit erotischen Unterwäschekäufen zu beeindrucken, eher mäßig erfolgreich gewesen waren. Aber worauf in aller Welt stand er nur? Sie hatte verstohlen einige der Playboys, die er in seinem Arbeitszimmer hütete, durchgeblättert in der Hoffnung, dort eine Antwort zu finden, aber alles, was sie darin sah, würde an ihr vollkommen lächerlich aussehen, da war sie sich sicher.
Sie versuchte, sich Charlotte in Unterwäsche vorzustellen. Sie war doch auch keines dieser Modepüppchen. Natürlich, ab und an sah man sie mal aufgebrezelt, aber das war selten der Fall, in der Regel wirkte sie nicht einmal unbedingt so, als würde sie besonders viel Zeit auf ihr Äußeres verwenden, sondern als würde sie sich einfach das Erstbeste anziehen, was ihr aus dem Kleiderschrank entgegenstürzte und dann im Rausgehen noch zweimal kurz durch die Haare bürsten. Trotzdem sah sie unbestritten attraktiv damit aus, auf jeden Fall attraktiver, als sie selbst es auch mit viel Mühe in der Regel aussah. Sie fragte sich, woran das lag. War es vielleicht nur eine Art besonderer Stil und in Wahrheit verschwendete dieses Biest doch jede Menge Zeit auf ihr Äußeres und ließ es nur so aussehen, als täte sie es nicht? So etwas gab es, das hatte sie in diversen Frauenzeitschriften gelesen, aber irgendwie konnte sie es sich nicht vorstellen. Daran, dass Charlotte eine klassische Schönheit wäre, die einen Müllsack tragen konnte und selbst darin noch gut aussah, konnte es auch nicht liegen. Sie war zwar nicht hässlich, aber eine klassische Schönheit war sie ganz sicher auch nicht und Ute hatte sie oft genug an der Uni gesehen und sich gefragt, warum Lars sich ausgerechnet mit ihr eingelassen hatte. Nein, Charlotte gehörte nicht zu den Frauen, die einfach immer gut aussahen. Aber was zum Teufel war es dann, was Charlotte hatte, das sie nicht hatte?
Wieder versuchte sie, sich Charlotte in Unterwäsche vorzustellen. Sie sah genau vor ihrem inneren Auge, wie Lars nach ihr geiferte, wie er sie begehrte, wie er es bei ihr selbst nie im Leben getan hatte. Die Vorstellung brachte sie fast um, so realistisch spielte sich dieser Film vor ihrem inneren Auge ab. Und dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, was Charlotte dabei trug.
Lag es vielleicht gar nicht daran? Kam es am Ende gar nicht darauf an? Wieder ließ sie die Szene vor ihrem inneren Auge ablaufen. Es war Charlottes Auftreten, dass sie so neidisch machte. Diese selbstsichere, stolze Haltung, der trotzige Gesichtsausdruck und der stolze Blick, mit dem sie Lars begegnete. Es wirkte, als könne er dankbar sein, sie überhaupt begehren zu dürfen. Plötzlich begriff Ute es. Es war ihre Aura, ihr Auftreten. Es war völlig egal, was sie anhatte, weil sie es in diesem Moment ausstrahlte. Sie hatte keine Ahnung, ob es auch nur ansatzweise der Realität entsprach, was gerade vor ihrem inneren Auge abgelaufen war oder ob Charlotte Lars vielleicht als Duckmäuserin in Blümchenwäsche den Verstand raubte. Sie hatte ihr in diesem Film die Eigenschaften zugeschrieben, die Lars ihr gegenüber an den Tag legte, das wurde ihr gerade bewusst. Er verhielt sich ihr gegenüber so stolz, als müsse es ihr eine Ehre sein, ihn begehren zu dürfen und ganz offensichtlich zog es ja bestens bei ihr. Und nicht nur bei ihr. Lars war tatsächlich generell ein Meister dieser Kunst. Er gab mit seiner Haltung und seiner Art eigentlich allen Menschen zu verstehen, dass sie dankbar sein durften, ihn verehren zu dürfen und dass es eine Ehre war, dass er sich überhaupt mit ihnen abgab.
Sie dachte an die Abende im Golfclub, wo alle an seinen Lippen hingen. Ja, genau das war es, was er ausstrahlte, das war seine Taktik. Und es funktionierte perfekt. Sie fragte sich, ob es andersherum auch funktionieren würde. Musste sie ihm das Gefühl vermitteln, dass es eine Ehre war, sie haben zu dürfen? War es das, was er suchte und bei Charlotte gefunden hatte? Sie hätte alles gegeben zu wissen, wie die beiden miteinander umgingen. Sie konnte Charlotte nicht einschätzen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich ihm als das kleine brave Mädchen präsentierte, das zu allem ja und Amen sagte. Und war es nicht genau das, was sie selbst immer tat?
Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und die Vorstellung, wie Charlotte sich wohl Lars gegenüber verhielt, wie sie war, wie viele Gedanken sie auf ihr Äußeres verwendete und letztenendes auch, was für Unterwäsche sie trug, machten sie fast wahnsinnig. Sie musste unbedingt mehr über sie erfahren, damit sie wusste, was sie verändern musste. Sie wollte wissen, wer diese Frau war, die ihr um ein Haar den Mann geraubt hätte und wie sie tickte.
Sie beschloss, erneut ihr Glück über das Internet zu versuchen. Sie würde ihren Facebook-Account und die ihrer Freunde noch einmal gezielter nach Informationen über Charlotte durchsuchen. Und sie würde sie googeln. Vielleicht fand sie darüber ja noch etwas Neues. Sie startete den Laptop und holte sich einen Notizblock und einen Stift, um sich wichtige Stichpunkte notieren zu können. Kurzfristig kam ihr der Gedanke, wie erbärmlich das alles eigentlich war, aber sie schob ihn ganz schnell wieder beiseite. Tiefer als eine Schwangerschaft vorzutäuschen konnte sie ohnehin nicht mehr sinken, dachte sie verbittert und schlug den Notizblock auf.

*****

Alexandrine fragte sich, was das wohl für ein Typ war, der gerade ihr Bett und danach ihre Wohnung verlassen hatte. Sie hatten sich gestern Abend in einem Club kennengelernt, er hatte sie massiv angebaggert und zuerst hatte sie ihn abblitzen lassen, aber dann hatten sie sich später in der Bar nebenan wiedergetroffen, wo er mit seinem Freund noch auf einen Absacker gewesen war und sie mit ihrer Freundin. Schließlich hatte sein Freund sich verabschiedet und er war alleine an der Bar sitzen geblieben. Er hatte zutiefst deprimiert ausgesehen und irgendwie gewirkt wie ein einsamer Wolf. Plötzlich hatte Alexandrine ihn hochgradig attraktiv gefunden, wie er da gesessen hatte mit seinem kantigen Profil und als ihre Freundin gehen wollte, hatte sie gesagt, sie würde doch noch zu dem Typen hinübergehen. Sie waren die letzten Gäste gewesen und sie hatte sich neben ihn an die Bar gesetzt. Er hatte sie zunächst ignoriert, womit sie nicht gerechnet hatte und gerade, als sie hatte aufstehen wollen um wieder zu gehen, hatte er sich doch noch zu ihr herübergedreht, gegrinst, die Augenbraue hochgezogen und sie gefragt, ob sie sich eines Besseren besonnen habe und nun doch noch einen Drink mit ihm nehmen wolle. Sie hatte genickt und er hatte für sie beide einen Whiskey bestellt. Der Wirt hatte erklärt, dies sei die letzte Runde, dann würde er schließen und Lars, so hatte er sich ihr vorgestellt, hatte sie ohne Umschweife gefragt, ob sie sich danach mit einem Kaffee bei sich zu Hause revanchieren würde. Sie war perplex gewesen, dass er tatsächlich so dreist war, nachdem sie ihn vorher im Club hatte abblitzen lassen, nun direkt wieder zum Angriff zu blasen und erst gar nicht drumherum zu reden. Neben einer gewissen Melancholie, die immer noch auf seinem Gesicht lag, leuchtete nun deutlich die Fleischeslust in seinen Augen. Alexandrine hatte nicht widerstehen können und so hatte sie ihm gesagt, er könne auf einen Kaffee mitkommen, wenn er ihr dann verraten würde, ob er so deprimiert geschaut hätte, weil sie ihn hätte abblitzen lassen oder was ihm sonst so wirken ließ, als könne er Aufheiterung gebrauchen. Daraufhin hatte er erwidert, wenn sie im Anschluss für die notwendige Aufheiterung sorgen würde, würde er ihr die Geschichte erzählen, sie würde wirken wie eine kluge Frau, die ihm vielleicht einen hilfreichen Rat geben würde und so waren sie ins Geschäft gekommen.
Tatsächlich hätte Alexandrine darauf gewettet, dass er es dabei belassen würde, zuerst den Kaffee und dann sie zu vernaschen, aber sie hatte zum Kaffee noch eine Flasche Whiskey auf den Couchtisch gestellt und ihn gefragt, was ihn bedrücke, woraufhin sie tatsächlich ins Gespräch gekommen waren. Er hatte ihr berichtet, dass er unglücklich verheiratet sei und in eine andere Frau, die seine Studentin war, verliebt sei und nun eigentlich seine Frau für die andere habe verlassen wollen, aber es sei schiefgegangen und nun wolle seine Geliebte nichts mehr von ihm wissen und es würde ihm fast das Herz brechen. Die ganze Story war völlig konfus und kurios gewesen und nachdem zwei Stunden vergangen und eine halbe Flasche Whiskey geleert waren, hatte sie ihn gefragt, warum er eigentlich mit ihr schlafen wolle, wenn er Frau und Geliebte zu Hause habe und er hatte sie völlig irritiert angesehen und dann, als sei es das Normalste von der Welt, geantwortet, das habe er immer schon so gemacht und er brauche die Abwechslung. Seine Geliebte wisse davon und für sie wäre es in Ordnung und ob sie nun nicht mehr mit ihm schlafen wolle, dann könne er es verstehen und würde sich für das gute Gespräch bedanken und gehen. Alexandrine war erneut völlig perplex gewesen, weil sie mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, dann hatte sie ihm erklärt, dass sie sich den Lohn für ihr Zuhören nicht entgehen lassen wolle, wer solche Abgründe und Überraschungen in sich berge, sei sicherlich auch gut im Bett und tatsächlich hatten sich nicht nur seine Worte als beeindruckend erwiesen. Mit ihren 34 Jahren hatte Alexandrine noch nie so guten Sex gehabt und auch sonst musste sie sich eingestehen, dass dieser seltsame Mann nachhaltig Eindruck bei ihr hinterlassen hatte. Sie fragte sich, ob seine Story wohl stimmte oder ob er sich das alles nur ausgedacht hatte und es eine Masche war. Sie konnte im Nachhinein und wieder nüchtern kaum glauben, was er ihr da alles erzählt hatte. Aber ein interessanter Mann war er, so oder so.
Als sie die Küche betrat, um sich einen Kaffee zu kochen, bemerkte sie einen Zettel auf dem Küchentisch.

Danke für das Zuhören. Ich hoffe, Du hattest auch Spaß, wenigstens hinterher. Du bist eine sehr interessante Frau. 
Eigentlich hinterlasse ich kein Spuren bei meiner Beute, aber in diesem Fall lag der Fokus denke ich auf etwas anderem. Würde mich über weitere gute Gespräche mit Dir freuen, gerne auch über Dich. Falls Du Lust hast, erreichst Du mich unter folgender Nummer, wenn ich in Paris bin: 83457207
Vielleicht bis bald,
Lars

Alexandrine musste lächeln. Ja, vielleicht bis bald. Vielleicht auch nicht. Sie würde es sich durch den Kopf gehen lassen. Sie wusste nicht, was sie von diesem Kerl halten sollte.

1 Kommentar:

  1. Also das Lars seine Nummer hinterlässt gefällt mir ja nun nicht... wobei es ihm vielleicht mal gut tun würde, wenn ihm ein weibliches Wesen die Welt erklären würde!

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