Montag, 17. Dezember 2012

17



Montag, 17. Dezember

Lars war selten so froh gewesen im Zug nach Paris zu sitzen wie an diesem Morgen. Oberflächlich war es zu Hause so entspannt gewesen wie lange nicht, nachdem er die Aussprache mit Ute gehabt hatte. Danach hatte eine wunderbare Harmonie zwischen ihnen geherrscht. Allerdings eben nur oberflächlich, schließlich hatte er Ute nach Strich und Faden belogen und war nach der Aussprache damit beschäftigt gewesen, irgendwie seine Nerven zusammen zu halten und die Fassade aufrecht zu erhalten, dass alles in Ordnung sei. Innerlich hatte er sich noch nie so zerrissen gefühlt. Natürlich hatte er alle seine Frauen immer und immer wieder betrogen, aber bisher hatte sich das alles im Verborgenen abgespielt und sie lebten in einer Seifenblase, wo sie nichts davon ahnten, so dass er noch nie in die Situation gekommen war, einer Frau derart dreist ins Gesicht lügen zu müssen wie Ute am Samstag. Er hatte es erstaunlich gut geschafft, er war selber erstaunt gewesen, wie souverän er in der Situation geblieben war und wie er ihr völlig unschuldig und eiskalt eine verlogene Erklärung nach der anderen aufgetischt hatte. Am Ende hatte Ute geweint, weil sie ein so schlechtes Gewissen gehabt hatte, was sie ihm da alles unterstellt hatte. Sie hatte sich fast zu Tode geschämt, dabei wäre es eigentlich an ihm gewesen, das war ihm sehr wohl bewusst und machte ihm zu schaffen.
Noch viel mehr machte ihm zu schaffen, was er Charlotte erzählen sollte. Sie erwartete, dass er Ute die Wahrheit gesagt hatte und nun der Weg frei war für eine gemeinsame Zukunft. Er hatte sich selbst auch gefragt, warum er es nicht einfach getan hatte. Theoretisch war die Gelegenheit dafür wahrscheinlich so geeignet gewesen, wie sie es nur sein konnte. Praktisch hatte er sich bei seiner Rückkehr am Freitagabend gefühlt, als sei er in Canossa eingekehrt, so abweisend hatte Ute ihn empfangen. Zu seiner eigenen Überraschung hatte ihn das ziemlich belastet und all seine Euphorie über die Stunden mit Charlotte war im Nu verflogen und einer nervösen Anspannung gewichen. Er kannte Ute so nicht und es hatte ihn unruhig gemacht. Plötzlich war das schlechte Gewissen präsent gewesen und er hatte Angst bekommen, sie könnte gehen, weil sie alles herausgefunden hatte. Es war seltsam Angst zu haben, dass sie gehen könnte, wenn man selber kurz zuvor noch gehen wollte, aber so war es gewesen. Möglicherweise war es die Angst vor dem Kontrollverlust. Normalerweise war er derjenige, der ging, nicht die Frau. Dennoch hatte es ihn verunsichert und er sah plötzlich wieder viele gute Seiten an seinem Leben mit Ute. Er war sich überhaupt nicht mehr sicher gewesen, ob er das nun alles wirklich so plötzlich beenden konnte und so hatte er, als es zur Aussprache gekommen war, kein Wort von Charlotte erwähnt, obwohl sich die Möglichkeit quasi auf dem Silbertablett geboten hatte, sondern hatte für alles eine Ausrede gefunden und Ute am Ende sogar versprochen, nächstes Jahr zurück nach Köln zu kommen und ihr ihren Kinderwunsch endlich zu erfüllen. Das Einzige, was er davon wirklich auch nur ansatzweise in Betracht zog, war die Rückkehr nach Köln gewesen, allerdings hatte er dabei eher an ein Leben mit Charlotte gedacht als mit Ute. Die hatte er nun erstmal ruhiggestellt, es versprachen sehr harmonische Weihnachten zu werden, wenn er das durchhielt, aber er fühlte sich grauenvoll. Das erste Mal hatte er für sich betrachtet das Gefühl, sie wirklich verwerflich hintergangen zu haben und Charlotte gleich mit.
Er wusste nicht, was er Charlotte sagen sollte. Natürlich könnte er behaupten, sie hätten miteinander gesprochen und Ute sei so labil, dass er momentan nicht gehen könne, vermutlich würde sie ihm auch einen gewissen Aufschub gewähren, aber er war sich relativ sicher, dass Charlotte nicht auch nur ansatzweise so naiv war wie Ute und sehr schnell dahinter steigen würde, wenn er sie hinhalten würde, ohne die Sache mit Ute anzugehen. Aber er konnte es gerade einfach nicht. Eigentlich war er sich sicher, dass er sich seine Zukunft mit Charlotte wünschte und nicht mit Ute, aber er brachte es nicht über sich, sie zu verlassen. Sie liebte ihn so sehr und tat alles für ihn, er wollte sie nicht unglücklich machen, das hatte sie nicht verdient. Schon gar nicht so kurz vor Weihnachten. Natürlich, das war erstmal eine Lösung. Er würde Charlotte sagen, er würde es nach Weihnachten angehen, dass er es Ute und der Familie so kurz vor Weihnachten nicht antun wollte. Dafür musste sie Verständnis haben und so hätte er einen Aufschub, um sich darüber klar zu werden, wie es weitergehen konnte.

Bevor er der Uni verließ, um den Abend mit zwei Kollegen in einer Bar ausklingen zu lassen und auf hoffentlich fröhlichere Gedanken zu kommen, musste er endlich Charlotte antworten. Er fühlte sich immer noch gelähmt von seinem schlechten Gewissen, egal ob er Utes SMS beantwortete oder das Mailprogramm startete, um Charlotte zu schreiben. Vielleicht musste er sich heute Abend in der Bar Abwechslung der ganz anderen Art suchen. Eventuell wäre Chloé ja auch wieder in der Bar. Er verdrängte den Gedanken und begann zu schreiben.


Betreff: Pardon
17:39 17.12.2012

Liebe Charlotte,

es tut mir leid, dass ich mich jetzt erst melde, Du hast bestimmt ungeduldig auf Post gewartet. Ich hoffe, Du hattest dennoch ein schönes Wochenende und ein besseres als ich.

Ich habe leider keine allzu guten Neuigkeiten oder jedenfalls kann ich Dir nicht die Nachricht überbringen, auf die Du möglicherweise hofftest. Das Wochenende war wirklich schlimm, Ute war schon bei meiner Heimkehr sehr labil und traurig, wie sich hinterher herausstellte nicht unbedingt, weil sie einen Verdacht wegen uns gehabt hätte, sondern allgemein wegen der Verlängerung meines Aufenthaltes. Sie leidet sehr unter meiner Abwesenheit. Ich glaube, sie hat eine Art Depression oder irgendsoetwas. Vielleicht liegt es auch nur am Winter, ich weiß es nicht. Aber ich habe sie gebeten, mit einem Arzt darüber zu reden. Du kannst Dir denken, dass es unter diesen Umständen nicht besonders angebracht war, sie von uns in Kenntnis zu setzen. Wir hatten eine Aussprache über diverse Probleme innerhalb unserer Ehe, die auch erstaunlich konstruktiv war; das Gespräch entwickelte sich sogar in die Richtung, dass die Möglichkeit einer Affäre meinerseits im Raum stand, aber daraufhin fing sie so unglaublich an zu weinen, dass ich es nicht über das Herz gebracht habe. Charlotte, bitte habe Verständnis, ich kann es ihr momentan nicht sagen. Ich hätte wirklich Angst, dass sie sich bei einer Trennung etwas antun könnte, ich kann das nicht so plötzlich machen und schon gar nicht so kurz vor Weihnachten. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ihr etwas zustoßen würde und ich bin mir sicher, Dir geht es da nicht anders. Insofern heißt es also für die kommenden Feiertage erstmal „The Show must go on“ und im Januar wird alles besser, ich verspreche es Dir, Charlotte. Ich werde sie langsam darauf vorbereiten und dann werden wir die Trennung vernünftig und im Guten vollziehen und nicht Hals über Kopf.
Ich bin mir sicher und hoffe, Du kannst das verstehen und gibst mir die nötige Zeit. Bis dahin machen wir weiter wie bisher, so schlecht ist es doch auch nicht, wenn natürlich auch keine Dauerlösung. Aber mit dem Ende vor Augen halten wir das noch ein wenig durch, mein liebes Lottchen, oder? Und wenn es wirklich gar nicht mehr geht, kommst Du mich eben wieder in Paris besuchen, es war so wunderschön mit Dir!

Ich liebe Dich. Bitte habe noch ein klein wenig Geduld.

Dein Lars


Lars las die Mail noch zweimal durch, bevor er sie abschickte. Er hoffte, Charlotte würde nicht toben, auch wenn er nicht völlig abstreiten wollte, dass sie möglicherweise Grund dafür hatte. Aber er hoffte auf ihre Vernunft und fand, dass sich seine Begründung recht nachvollziehbar anhörte.
Jetzt musste er sich nur noch überlegen, wie es wirklich weitergehen konnte. Aber nicht mehr heute Abend, jetzt wollte er erstmal diesen ganzen Wahnsinn vergessen und Spaß haben. Vielleicht war Chloé ja auch da…

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen