Sonntag, 2. Dezember
Er saß beim Frühstück, soweit man einen schwarzen Kaffee und
eine Zigarette als Frühstück bezeichnen konnte. Aber es war das Erste, was er
an diesem Tag zu sich nahm, also war es sein Frühstück. Essen könnte er eh noch
nichts, zu sehr quälte ihn sein Kater nach der letzten Nacht. Vielleicht sollte
er doch weniger trinken, er wurde auch nicht jünger. Früher hätten ihm eine
halbe Flasche Wodka und zehn Kölsch nichts anhaben können. Klar, aus Sicht
mancher Menschen war das bestimmt viel. Seine Schwester hatte schon mehrfach
gesagt, er trinke zu viel. Er schnaubte beim Gedanken an sie. Spießige Ziege.
Was wusste die schon. Er kramte in seiner Schreibtischschublade nach den
Kopfschmerztabletten, drückte zwei aus der Packung und spülte sie mit einer
halben Flasche Wasser hinunter. Jetzt war zumindest der Nachdurst erst einmal
gestillt.
Gerade wollte er seine Zigarette im Aschenbecher endgültig
ausdrücken, als er Lottes Brief daneben liegen sah. Seit zwei Tagen lag er da
nun schon anklagend herum. Ungeöffnet. Es interessierte ihn nicht, was sie ihm
zu sagen hatte. Er drückte die Zigarette auf dem Umschlag aus und brannte damit
ein kleines, schwarzes Loch an die Stelle, wo zuvor Lotte als Absender vermerkt gewesen war. Nun stand da nur noch te. Schon besser. Er grinste zufrieden.
Das war seine persönliche erste Adventskerze.
*****
Er blickte in den Spiegel und rasierte sich sorgfältig. Lars
legte sehr viel Wert auf sein Äußeres und stets eine Art Drei-Tage-Bart zu
tragen, gehörte zu seiner Strategie, möglichst jugendlich zu wirken. Er fand
sowieso, dass er für eine 43 Lenzen noch ziemlich gut aussah. Äußerlich kam er
eindeutig nach seiner Mutter, einer Schwedin. Seine Freunde behaupteten immer,
er sehe aus wie Fredrik Ljungberg, der ehemalige schwedische
Fußballnationalspieler, nur ein paar Jahre älter und damit sei auch seine
Frauenquote zu erklären. Er fand den Vergleich durchaus schmeichelhaft, auch
wenn sein Körper nicht ganz so durchtrainiert war und er die Haare länger trug,
er trug seine dunkelblonden Haare lieber wie Johnny Depp, nach dessen Vorbild
er auch seinen Bart trug.
Von seinem Vater, einem Franzosen, hatte er außer dem
Nachnamen nichts geerbt. Der Nachname war allerdings auch immer sehr gut bei
der Damenwelt angekommen. Es sollte ja tatsächlich Frauen geben, die den
Nachnamen in ihre Kriterien bei der Partnerwahl miteinbezogen. Wenn er so
darüber nachdachte, den Sinn für Genuss hatte er wohl auch von seinem Vater
geerbt. Da waren die Franzosen groß drin. Leidenschaft wurde den Franzosen auch
immer nachgesagt aber davon hatte er bei seinem Vater nicht so viel feststellen
können. Vielleicht hatte sie auch eine Generation übersprungen. Er hielt sich
für ziemlich leidenschaftlich und glaubte, auch die den Schweden zugesprochene
sexuelle Aufgeschlossenheit von seiner Mutter geerbt zu haben. Eine ziemlich
gute Kombination.
Lars betrat das Wohnzimmer. Es erwartete ihn ein liebevoll
gedeckter Frühstückstisch, die erste Kerze am Adventskranz brannte und es
duftete nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Auf seinem Platz lag ein kleines,
rotes Päckchen, dass die Nummer zwei trug. Sie hatte ihm sogar einen
selbstgemachten Adventskalender gebastelt, die Gute. Er küsste sie auf die
Stirn, bevor er sich zu ihr an den Tisch setzte. Sie war viel zu gut für ihn.
Nachmittags, als sie mit Hugo Gassi ging, setzte er sich an
den Rechner. Er musste Charlotte noch antworten, er hatte ihre Mail gestern
Abend gefunden, aber noch keine Ruhe gehabt, ihr zurückzuschreiben.
Betreff: Re: 1
14:35 02.12.2012
Liebe Charlotte,
verzeih, dass ich mich jetzt erst melde, wir hatten
gestern Abend gestern und ich fand Deine Mail erst danach, war aber zu sehr vom
Rotwein geschwängert, um Dir noch zumutbar zu antworten.
Leider ist ein Treffen dieses Wochenende nicht mehr
möglich, sei mir nicht böse, aber ich reise bereits heute Abend wieder nach
Paris ab und wüsste nicht, wie wir das schaffen sollten. Vermutlich befindest
Du Dich ohnehin gerade im Stadion, ich glaube im Radio mitbekommen zu haben,
dass der FC spielt?
Was gibt es denn Dringendes? Vielleicht kannst Du es mir
einfach schreiben? Ansonsten könnten wir uns eventuell am Freitag sehen, wenn
ich wieder zurück bin aus Paris. Ich komme zwar bereits am Donnerstag, habe
dann aber noch zu viele Termine, da schaffe ich es nicht. Lass mich einfach
wissen, ob Dir Freitag passt. Am besten wäre der Nachmittag.
Schade, dass ich dieses Jahr keinen Adventskalender
bekomme – oder vielleicht doch noch? Aber man(n) kann wohl nicht alles haben.
Ich wünsche Dir einen schönen ersten Advent!
Dein Lars
PS: Dir einen besinnlichen ersten Advent zu wünschen wäre
wohl höhnisch?
Euphorisch
verließen Lotte und Doro das Stadion. Der FC hatte tatsächlich schon wieder
gewonnen. In Lotte schwang leise Hoffnung auf, dass es eventuell diese Saison
doch noch etwas mit einem Aufstiegsplatz werden konnte. Der Weg war zwar noch
weit, aber sie hatte das Gefühl, die Mannschaft hatte sich so langsam gefangen
und in Köln ist man bekanntlich sehr schnell sehr optimistisch, wenn es um
Fußball geht, da war sie eine echte Kölnerin.
Sie kramte ihr
Handy aus der chronisch mit Papierchen überfüllten Jackentasche und sah, gerade
als Doro sie fragte, ob sie Lust hätte, den Sieg noch in der Stadt begießen zu
gehen, eine Mail von Lars auf dem Display leuchten. Kurzentschlossen ließ sie
das Handy wieder zurück in die Tasche gleiten, ohne einen weiteren Blick darauf
zu werfen. Sie hatte keine Lust, sich die Siegesfreude von ihm verderben zu
lassen, wenn er jetzt erst antwortete, würde er sie sowieso nicht treffen
wollen. Und falls doch, hatte er eben Pech gehabt. Sie war es leid, dass es
immer nur darum ging, wann er Zeit hatte. „Klar gehen wir noch feiern!“,
strahlte sie Doro an und sie zogen los Richtung Bahn.
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