Sonntag, 2. Dezember 2012

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Sonntag, 2. Dezember

Er saß beim Frühstück, soweit man einen schwarzen Kaffee und eine Zigarette als Frühstück bezeichnen konnte. Aber es war das Erste, was er an diesem Tag zu sich nahm, also war es sein Frühstück. Essen könnte er eh noch nichts, zu sehr quälte ihn sein Kater nach der letzten Nacht. Vielleicht sollte er doch weniger trinken, er wurde auch nicht jünger. Früher hätten ihm eine halbe Flasche Wodka und zehn Kölsch nichts anhaben können. Klar, aus Sicht mancher Menschen war das bestimmt viel. Seine Schwester hatte schon mehrfach gesagt, er trinke zu viel. Er schnaubte beim Gedanken an sie. Spießige Ziege. Was wusste die schon. Er kramte in seiner Schreibtischschublade nach den Kopfschmerztabletten, drückte zwei aus der Packung und spülte sie mit einer halben Flasche Wasser hinunter. Jetzt war zumindest der Nachdurst erst einmal gestillt.
Gerade wollte er seine Zigarette im Aschenbecher endgültig ausdrücken, als er Lottes Brief daneben liegen sah. Seit zwei Tagen lag er da nun schon anklagend herum. Ungeöffnet. Es interessierte ihn nicht, was sie ihm zu sagen hatte. Er drückte die Zigarette auf dem Umschlag aus und brannte damit ein kleines, schwarzes Loch an die Stelle, wo zuvor Lotte als Absender vermerkt gewesen war. Nun stand da nur noch te. Schon besser. Er grinste zufrieden. Das war seine persönliche erste Adventskerze.

*****

Er blickte in den Spiegel und rasierte sich sorgfältig. Lars legte sehr viel Wert auf sein Äußeres und stets eine Art Drei-Tage-Bart zu tragen, gehörte zu seiner Strategie, möglichst jugendlich zu wirken. Er fand sowieso, dass er für eine 43 Lenzen noch ziemlich gut aussah. Äußerlich kam er eindeutig nach seiner Mutter, einer Schwedin. Seine Freunde behaupteten immer, er sehe aus wie Fredrik Ljungberg, der ehemalige schwedische Fußballnationalspieler, nur ein paar Jahre älter und damit sei auch seine Frauenquote zu erklären. Er fand den Vergleich durchaus schmeichelhaft, auch wenn sein Körper nicht ganz so durchtrainiert war und er die Haare länger trug, er trug seine dunkelblonden Haare lieber wie Johnny Depp, nach dessen Vorbild er auch seinen Bart trug.
Von seinem Vater, einem Franzosen, hatte er außer dem Nachnamen nichts geerbt. Der Nachname war allerdings auch immer sehr gut bei der Damenwelt angekommen. Es sollte ja tatsächlich Frauen geben, die den Nachnamen in ihre Kriterien bei der Partnerwahl miteinbezogen. Wenn er so darüber nachdachte, den Sinn für Genuss hatte er wohl auch von seinem Vater geerbt. Da waren die Franzosen groß drin. Leidenschaft wurde den Franzosen auch immer nachgesagt aber davon hatte er bei seinem Vater nicht so viel feststellen können. Vielleicht hatte sie auch eine Generation übersprungen. Er hielt sich für ziemlich leidenschaftlich und glaubte, auch die den Schweden zugesprochene sexuelle Aufgeschlossenheit von seiner Mutter geerbt zu haben. Eine ziemlich gute Kombination.

Lars betrat das Wohnzimmer. Es erwartete ihn ein liebevoll gedeckter Frühstückstisch, die erste Kerze am Adventskranz brannte und es duftete nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Auf seinem Platz lag ein kleines, rotes Päckchen, dass die Nummer zwei trug. Sie hatte ihm sogar einen selbstgemachten Adventskalender gebastelt, die Gute. Er küsste sie auf die Stirn, bevor er sich zu ihr an den Tisch setzte. Sie war viel zu gut für ihn.

Nachmittags, als sie mit Hugo Gassi ging, setzte er sich an den Rechner. Er musste Charlotte noch antworten, er hatte ihre Mail gestern Abend gefunden, aber noch keine Ruhe gehabt, ihr zurückzuschreiben.


Betreff: Re: 1
14:35 02.12.2012

Liebe Charlotte,

verzeih, dass ich mich jetzt erst melde, wir hatten gestern Abend gestern und ich fand Deine Mail erst danach, war aber zu sehr vom Rotwein geschwängert, um Dir noch zumutbar zu antworten.
Leider ist ein Treffen dieses Wochenende nicht mehr möglich, sei mir nicht böse, aber ich reise bereits heute Abend wieder nach Paris ab und wüsste nicht, wie wir das schaffen sollten. Vermutlich befindest Du Dich ohnehin gerade im Stadion, ich glaube im Radio mitbekommen zu haben, dass der FC spielt?

Was gibt es denn Dringendes? Vielleicht kannst Du es mir einfach schreiben? Ansonsten könnten wir uns eventuell am Freitag sehen, wenn ich wieder zurück bin aus Paris. Ich komme zwar bereits am Donnerstag, habe dann aber noch zu viele Termine, da schaffe ich es nicht. Lass mich einfach wissen, ob Dir Freitag passt. Am besten wäre der Nachmittag.

Schade, dass ich dieses Jahr keinen Adventskalender bekomme – oder vielleicht doch noch? Aber man(n) kann wohl nicht alles haben.

Ich wünsche Dir einen schönen ersten Advent!

Dein Lars

PS: Dir einen besinnlichen ersten Advent zu wünschen wäre wohl höhnisch?



Euphorisch verließen Lotte und Doro das Stadion. Der FC hatte tatsächlich schon wieder gewonnen. In Lotte schwang leise Hoffnung auf, dass es eventuell diese Saison doch noch etwas mit einem Aufstiegsplatz werden konnte. Der Weg war zwar noch weit, aber sie hatte das Gefühl, die Mannschaft hatte sich so langsam gefangen und in Köln ist man bekanntlich sehr schnell sehr optimistisch, wenn es um Fußball geht, da war sie eine echte Kölnerin.
Sie kramte ihr Handy aus der chronisch mit Papierchen überfüllten Jackentasche und sah, gerade als Doro sie fragte, ob sie Lust hätte, den Sieg noch in der Stadt begießen zu gehen, eine Mail von Lars auf dem Display leuchten. Kurzentschlossen ließ sie das Handy wieder zurück in die Tasche gleiten, ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen. Sie hatte keine Lust, sich die Siegesfreude von ihm verderben zu lassen, wenn er jetzt erst antwortete, würde er sie sowieso nicht treffen wollen. Und falls doch, hatte er eben Pech gehabt. Sie war es leid, dass es immer nur darum ging, wann er Zeit hatte. „Klar gehen wir noch feiern!“, strahlte sie Doro an und sie zogen los Richtung Bahn.

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