Lotte wurde wach und dachte, sie müsse sterben, so sehr
dröhnte ihr der Schädel. Gestern Abend hatte sie Weihnachtsfeier mit ihren
Mädels von früher aus der Schule gefeiert und diese war immer extrem
feucht-fröhlich. Gegen 4 Uhr morgens war sie im Taxi nach Hause gefahren und
hatte gefühlte 5 Promille gehabt. Sie hatten zuerst mit Prosecco angestoßen,
dann Cocktails gemixt und später noch Glühwein und Feuerzangenbowle gemacht.
Lotte war sich sicher, wenn heute nicht allgemein die Welt untergehen würde, so
doch zumindest ihre. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass ihr je so übel
gewesen war. Sie schaute auf die Uhr. Es war fast 14 Uhr. Sie wankte zur
Toilette und versuchte sich erneut zu übergeben, aber es war nichts mehr da,
was sie hätte erbrechen können, das hatte sie heute Morgen nach der Mail an
Lars bereits erledigt. Nach der Mail an Lars… plötzlich kamen ihr die Erinnerungen
zurück. Um Himmels Willen, was hatte sie ihm bloß geschrieben. Sie erinnerte
sich nur, dass sie völlig in Rage gewesen war, weil sie sich auf der
Weihnachtsfeier recht ausführlich mit Sabine über ihn unterhalten hatte und sie
ihr eingeredet hatte, was er für ein Schwein war und dass sie sich nicht länger
ausnutzen lassen dürfe. Neben Sabine war wohl vorallem ihr Alkoholpegel sehr
überzeugend gewesen. Lotte war sich nicht mehr sicher, was sie ihm genau
geschrieben hatte, sie wusste nur noch, dass sie sehr empört gewesen war –
wegen Sabines Worten und der Tatsache, dass Lars meinte, er müsse ihr kluge
Kommentare zu Jan geben. Ihr schwante Böses. Sie verspürte erneut den Drang,
sich zu übergeben, hatte aber keine Substanz.
Sie wankte hinüber in die Küche und spülte erstmal zwei
Kopfschmerztabletten und drei Gläser Wasser hinunter. So übel ihr auch war, sie
hatte einen Nachdurst, mit dem sie das Rheinhochwasser hätte aufsaugen können.
Dann tapste sie hinüber zum Schreibtisch, um den Rechner
hochzufahren und nachzusehen, was sie genau geschrieben hatte. Auf dem Weg
dorthin verspürte sie erneut den Drang, sich zu übergeben und sie schaffte es
gerade noch rechtzeitig zur Toilette zu stürzen, wo die drei Gläser Wasser den
Dachausgang wählten. Lotte ließ den Rechner Rechner sein und legte sich zurück
ins Bett. Während sie versuchte, möglichst tief und gleichmäßig zu atmen, um
der Übelkeit Herrin zu werden, fiel ihr ein, dass sie die Mail auch über ihr
Handy lesen könnte, während sie im Bett lag. Das wäre die schonendere Methode.
Sie kramte nach ihrem Handy und fand es schließlich in der Spalte zwischen Bett
und Wand. Außerdem war es aus. Lotte stöhnte und schaffte es gerade, das Ladegerät
in die Steckdose zu bugsieren, ehe sie sich erneut übergeben musste. Sie hätte
sich nicht so hastig bücken dürfen. Nie wieder würde sie diese verfluchte
Feuerzangenbowle trinken, schwor sie sich.
Ihr Handy verlangte nach der Pin. Gute Frage… sehr gute Frage.
Beim dritten Versuch kriegte sie gerade noch die Kurve. Das Handy piepste. Eine
SMS von Lars. Sie unterdrückte das Bedürfnis, sich erneut zu übergeben. Nachdem
sie sie gelesen hatte, fand sie sich allerdings doch umgehend auf der Toilette
wieder. Was zur Hölle hatte sie geschrieben? Sie musste nachsehen.
Nachdem sie ihr Werk gelesen hatte, kamen ihr die
Erinnerungen wieder. Natürlich, sie hatte Jan noch eine SMS geschickt aus
lauter Trotz letzte Nacht und er hatte, natürlich, wieder nicht geantwortet. Daraufhin
war sie so wütend geworden, dass Lars nicht nur seine, sondern auch Jans Ration
gleich mit abbekommen hatte. Trotzdem tat es ihr gerade nur bedingt leid.
Immerhin schien Lars seiner SMS nach zu schließen ein schlechtes Gewissen zu
haben, insofern konnten ihre Anschuldigungen nicht jeder Grundlage entbehren.
Sie beschloss, ihm zu antworten, bevor sie noch eine Runde schlafen würde. Sie
hatte das Gefühl, es wurde schon ein wenig besser durch die Tablette,
vielleicht wäre sie nach dem Schläfchen wieder lebensfähig.
*****
Ute legte den Hörer auf. Sie musste sich beeilen, der Moment
war günstig. Gerade hatte sie mit Susanne telefoniert und ihr gesagt, dass sie
bei Lars gestern Abend jede Menge Kratzspuren am Rücken gesichtet hatte, die
sie ihm eindeutig nicht zugefügt hatte und von denen sie auch nicht davon
ausging, dass er sie im Kampf gegen die Pariser Bettflöhe selbst verursacht
hatte. Eigentlich hatte Ute von Susanne nur hören wollen, dass sie schon wieder
paranoid werde und bestimmt alles in Ordnung sei, zumal sie erst letzte Woche
das klärende Gespräch mit Lars hatte, aber Susanne hatte ihr gesagt, sie solle
auf der Hut sein und einfach mal seine Mails oder sein Handy durchsehen zur
Beruhigung, da würde sie mit Sicherheit eindeutigere Indizien finden als im
Aktenschrank. Eigentlich hatte Ute es nicht tun wollen, aber nun war Lars
gerade im Garten Kaminholz hacken und sein Handy lag so einladend auf dem
Wohnzimmertisch, weil er sich dort umgezogen hatte zum Holzhacken. Sie würde
nur einen kurzen Blick in sein Handy werfen, einmal durch’s Telefonbuch
scrollen und die Namen durchsehen oder mal kurz in den SMS-Speicher schauen,
nur ganz oberflächlich. Alles halb so schlimm, redete sie sich ein. Danach
würde auch Susanne sehen, dass alles ganz harmlos war.
Sie entsperrte die Tastatur. Eigentlich hatte sie zuerst ins
Telefonbuch schauen wollen, aber es blinkte eine neue Mitteilung. Sie klickte
sie an. Die Nachricht war von Charles.
Sie fragte sich, ob es sich bei Charles
um Charles Dupont, den Kollegen aus dem Seminar handeln konnte. Dann war sie
wohl uninteressant für sie. Sie wollte sie eigentlich ungelesen lassen und
direkt in den Speicher gehen, verdrückte sich aber und die Nachricht öffnete
sich. Sie fluchte innerlich. Hoffentlich war es nichts Wichtiges, dann könnte
sie sie einfach löschen und Lars würde nichts merken. Sie las sie, um sie dann
zu löschen.
Lars, wann geht diese
Scheißwelt endlich unter?! Falls sie es nicht tut – morgen früh ist ok. 11 Uhr
und bring Brötchen…
„Verdammter Mist, es
regnet schon wieder!“
Erschrocken hätte Ute fast das Handy fallen lassen. Sie ließ
es in ihre Hosentasche gleiten.
„Oh, da bist du ja.“
„Habe ich dich
erschreckt?“, Lars lachte.
„Ja. Ja, das hast Du.“
Lars stand mit einem Korb voller Holz vor ihr. Das Hacken
war beendet, der Regen war zu stark geworden. Sie musste das Handy loswerden,
bevor er etwas merkte.
„Geh doch erstmal
unter die Dusche, du bist bestimmt total durchgefroren.“
„Och, es geht eigentlich…“
„Nein, du solltest
duschen, nachher wird dir kalt.“ Sanft, aber bestimmt schob sie ihn in
Richtung Bad.
„Oho, will da etwa
jemand mitduschen und mich wärmen?“, grinste er sie an.
„Oh ja. Und jetzt
hopp, ich komme gleich.“
„Ich auch, Baby, da
bin ich mir sicher!“, antwortete er breit grinsend und verschwand im Bad.
Erleichtert ging Ute zurück ins Wohnzimmer. Sie musste
schnell die SMS löschen. Sie öffnete sie erneut.
Lars, wann geht diese
Scheißwelt endlich unter?! Falls sie es nicht tut – morgen früh ist ok. 11 Uhr
und bring Brötchen mit. Wir reden beim Frühstück über alles und zum Nachtisch
will ich Dich! Freu mich! Enttäusch mich nicht schon wieder! Morgen um 11!
Kuss, Lotte
Utes Finger zitterten. Charles hieß offenbar im wahren Leben
Lotte.
„Schatzi, ich warte!“,
hallte es aus dem Bad.
Hastig löschte Ute die SMS. Sie musste jetzt unter die
Dusche und gute Miene zum bösen Spiel machen. Und sie musste sich irgendetwas
überlegen, damit „Charles“ die SMS nochmal schickte. Nur so würde es nicht
auffallen und sie hatte die Chance, Lars morgen früh auflaufen zu lassen.
„Ich komme gleich, ich
muss nur noch etwas vorbereiten. Du wirst begeistert sein!“, flötete Ute.
Schnell schrieb sie eine neue SMS und sendete sie an
Charles.
Sorry, mein Handy
spinnt, schick nochmal bitte! Lars
Dann löschte sie die SMS aus dem Gesendet-Ordner, riss sich
die Kleider vom Leib und stürmte ins Bad.
Aii jetzt wird's richtig spannend ;D
AntwortenLöschenGo Ute! :) Auch wenn ich ja gar nicht auf so doofe Eifersuchtsschnüffeleien stehe... Aber die Arme ist eben verzweifelt.
AntwortenLöschenWenn das mit der SMS mal nicht rauskommt, eieiei, Ute. Was hast du dir nur gedacht?
Ich hoffe so sehr, dass Lars am Ende alleine dasteht. Am besten hat er sich noch irgendeine Geschlechtskrankheit eingefangen. Das hätte der Mistkerl echt verdient.
Ja, wer weiß, was da heute alles rauskommt... Theoretisch könnte Ute ja auch rausfinden, wer Charles ist. ;) Mal sehen, was da heute so um 11 Uhr passiert ist. Ich denke, heute Abend wissen wir mehr. ;)
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