Montag, 21. Januar 2013

Stinkefinger - Montag, 21. Januar 2013

Als der Wecker klingelte, hatte Ute sich völlig erschlagen gefühlt und wäre am liebsten einfach liegengeblieben, aber Lethargie brachte sie kein Stück weiter und so riss sie sich zusammen, stand auf, versuchte unter der heißen Dusche ein wenig Lebensgeister zu wecken, kochte sich dann einen Tee und ging mit Hugo seine Runde. Anschließend überwand sie sich, wenigstens einen Apfel zu essen, auch wenn sie keinerlei Appetit mehr verspürte sei den Ereignissen am Samstag Abend. Lars hatte gestern Abend ein einziges Mal versucht sie telefonisch zu erreichen, aber sie hatte den Hörer nicht abgenommen. Weitere Bemühungen hatte er nicht unternommen. Sie fragte sich, ob sie ihm wirklich so wenig wert war oder ob ihm die Ideen ausgegangen waren oder warum er sich sonst nicht meldete. Vielleicht war es aber auch einfach nur seine Art. Lars war kein Mensch, der Frauen hinterherlief, das hatte er offensichtlich ja auch nicht nötig, dachte sie verbittert. Wahrscheinlich fühlte er sich auch noch völlig im Recht. Aber die Kratzer auf seinem Rücken hatten eine eindeutige Sprache gesprochen, so sehr konnte er sich nachts überhaupt nicht gekratzt haben ohne etwas zu bemerken. Auch wenn ihr immer noch nicht klar war, wann er das verdammte Biest getroffen haben konnte, weil ihr keine der Möglichkeiten richtig plausibel erschien. Sie mochte sich nicht vorstellen, dass sie ihm Unrecht getan hatte mit ihrem Ausbruch. Aber nein, er musste lügen, solche Kratzer hatte er sich nicht selbst zugefügt. Teilweise hatte es sogar so ausgesehen, als hätte sie ihm ihre Fingernägel in den Rücken gebohrt. Das sprach erst recht gegen ein unbewusstes nächtliches Kratzen. Wann auch immer es gewesen sein mochte, aber er musste Charlotte getroffen haben. Am Abend würde sie sich mit Susanne treffen und ihr alles ausführlich berichten. Vielleicht würde sie mit ihrer Hilfe erkennen, wann Lars sein Rendezvous hatte, irgendetwas übersah sie, da war sie sich sicher. Aber sie konnte auch kaum einen klaren Gedanken fassen, Susanne würde es sicherlich erkennen mit ihrer rationalen Art.
Der Gedanke, dass Susanne wenigstens dieses Problem würde lösen können, baute sie wenigstens ein bisschen auf. Sie nahm noch einen Schluck Tee, dann ging sie ins Bad und wusch sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser, um die Schwellungen vom Weinen wenigstens ein bisschen zu bekämpfen. Anschließend versuchte sie den Rest soweit wie möglich mit Make Up zu beheben, aber in diesem Fall hätte selbst Camouflage nicht alle Spuren von so vielen Tränen beseitigen können.
Als sie das Schlimmste beseitigt hatte, machte sie sich auf den Weg zur Uni. Sie musste ihre Übung irgendwie abhalten, eine Woche vor den Klausuren durfte sie sie nicht ausfallen lassen. Sie hoffte bloß, dass ihr nicht plötzlich wieder die Tränen kommen würden.

Sie überstand die Übung ohne größere Zwischenfälle, auch wenn es sie ihre komplette Selbstbeherrschung gekostet hatte und ihre Konzentration zu wünschen übrig gelassen hatte. Danach ging sie noch schnell in ihr Büro, um dort ein paar Unterlagen abzuheften und zu schauen, ob Post für sie angekommen war. Dort stellte sie fest, dass sie noch ein paar Kopien für die andere Übung anfertigen musste. Als sie auf den Flur trat, um zum Kopierraum zu gehen, traf es sie wie ein Schlag. Neben der Tür des Kopierraums, vor dem Sekretariat, stand dieses verdammte Flittchen mit einer anderen Studentin und beide kicherten vergnügt, wie kleine Mädchen. Ute wich zurück in ihr Büro und drückte hastig die Tür hinter sich zu. Mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt verharrte sie und atmete tief ein, in der Hoffnung, so gegen die aufsteigenden Tränen anzukommen. So kämpfte sie zehn Minuten, bis sie sich wieder gefangen hatte. Sie fragte sich, was dieses Biest wohl zu kichern hatte, ob sie der anderen womöglich gerade erzählt hatte, wie sie Lars ihre Krallen in den Rücken gebohrt hatte. Ute wurde schwarz vor Augen. Sie ließ sich schnell in ihren Bürostuhl fallen, atmete abermals tief durch und beschloss, dass sie die Kopien auch morgen noch machen konnte. Sie blieb noch ein paar Minuten still sitzen, bis sie sich wieder einigermaßen gefestigt fühlte, dann raffte sie schnell ihre Sachen zusammen, zog sich den Schal über den Mund und die Mütze tief ins Gesicht und verließ fast fluchtartig das Gebäude.
Erst als sie schon 200 m fast blind über den Campus gestürmt war, fiel ihr ein, dass sie in die falsche Richtung lief. Sie war gar nicht mit dem Auto, es hatte nicht anspringen wollen, wie so oft bei dieser Kälte. Das Rad stellte sie aber immer auf der anderen Seite vom Campus ab, so dass sie wieder zurück musste. Als sie am neuen Seminargebäude vorbei eilte, stachen ihr plötzlich die bunten Graffitis an der Treppe ins Auge, die dort seit kurzer Zeit prankten und jetzt durch den Schnee besonders hervorgehoben wurden. Genau so fühlte sie sich gerade...


*****

Als Lotte abends von der Uni heimkam, fragte sie als Erstes ihre Mails ab. Aber nichts, immer noch nichts von Lars. Sie war genervt. Er hatte doch gesagt, die Pause war vorbei, warum zum Teufel meldete er sich also nicht? Sie würde ihm ein bisschen Dampf machen...



Betreff: Hallo?!
Von: L.Laslandes@koelnmail.de
 
An: Anne-P.De-Mon@hotmail.de
18:54 21.01.2013

Lars?!

Halloooo? Guckguck?! Ich dachte, die Pause ist vorbeiiiii???

Ich warte!!!

Lotte

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