Mittwoch, 2. Januar 2013

Mittwoch, 02. Januar 2013

Lotte hatte es gestern nicht mehr aus dem Bett geschafft. Jedenfalls nicht weiter als bis zur Toilette. Sie verstand es nicht, soviel hatte sie nun auch nicht getrunken, aber ihr war einfach permanent übel gewesen. Am späten Nachmittag hatte sie eine Scheibe Zwieback gegessen und abends eine Tütensuppe, aber sie hatte es nicht bei sich behalten können und sich hundeelend gefühlt und wieder ins Bett verkrochen.

Heute fühlte sie sich zwar etwas besser, aber nicht grundlegend gut, weshalb sie ihre Großmutter angerufen hatte und sie gefragt hatte, ob es wohl in Ordnung wäre, wenn sie Schröder erst am nächsten Tag abholen würde. Es war kein Problem gewesen, ihre Großmutter hatte vollstes Verständnis gehabt, dass sie nicht eine Stunde mit dem Auto fahren wollte, wenn sie sich nicht sicher sein konnte, es länger als 20 Minuten getrennt von der Toilette zu schaffen und hatte sofort das Sylvestermenü im Verdacht gehabt, an dem irgendetwas verdorben gewesen sein musste, wenn Alkohol nicht die Ursache war. Lotte hatte Doro angerufen und sie gefragt, ob ihr ebenfalls etwas nicht bekommen sei, aber Doro hatte bis auf einen Kater vom Vortag keinerlei Beschwerden zu vermelden gehabt. Allerdings hatte sie sich im Gegensatz zu Lotte auch nicht durch die gesamte Buffetauswahl gemampft.
Was immer der Übeltäter gewesen sein mochte, Lotte fühlte sich heute besser und war sich sicher, dass sie es morgen endgültig überstanden hatte. Immerhin konnte sie das Essen wieder bei sich behalten, auch wenn sie noch keinen wirklichen Appetit verspürte.
Gegen Nachmittag reichte ihre Energie sogar soweit, dass sie den Rechner startete und nachsah, ob Lars sich gemeldet hatte. Ihr Handy hatte konsequent weiter geschwiegen, aber rein vom Bauchgefühl her hatte sie sowieso eher eine Mail als eine SMS erwartet. Doch auch hier wurden ihre Erwartungen enttäuscht - es empfingen sie diverse Neujahrsmails, aber keine von Lars.
Lotte merkte, wie die Wut in ihr aufstieg und gleichzeitig ein neuer Anflug von Übelkeit. Genervt ging sie in die Küche, um eine neue Kanne mit Fencheltee aufzusetzen, bevor sie sich an eine Mail an Lars machte.



Betreff: Frohes Neues?!
Von: Anne-P.De-Mon@hotmail.de
An: L.Laslandes@koelnmail.de
18:27 02.01.2013

Lieber Lars,

ich wünsche Dir ein frohes neues Jahr und hoffe, Du bist gut hineingekommen. Also nur ins neue Jahr, versteht sich, alles andere möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Allerdings muss ich zugeben, ich quäle mich aufgrund Deines Schweigens mit derlei Vorstellungen herum und das ist nicht besonders angenehm. Genauer gesagt wird dadurch tatsächlich mein Brechreiz noch verstärkt, den ich seit diesem Jahr latent verspüre. Nicht nur Folge des Alkohols, sondern wahrscheinlich war irgendwas vom Buffet nicht mehr ganz in Ordnung. Auf jeden Fall ein sehr gelungener Start ins neue Jahr... Wie war denn Deiner? Wo bist Du überhaupt? Was treibst Du? Wie war Weihnachten? Die Nachrichtenlage war ja mehr als dürftig, um es mal freundlich zu formulieren...

Wahrscheinlich hast Du mich doch vergessen und Ute ist längst mit einem Christkindchen geschwängert, während ihr die heilige Familie spielt.

Oh je, ich muss schon wieder kotzen, das war zuviel an Vorstellung.

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Lotte


Sie schickte die Mail ab, bevor es sie tatsächlich wieder auf die Toilette trieb. Sie fragte sich, was ihr da wohl nicht bekommen war und schwor sich, bei den anderen Gästen noch einmal nachzuhören, damit sie sich wenigstens beim verantwortlichen Koch beschweren könnte.
Immerhin konnte das neue Jahr eigentlich nur noch besser werden...


*****

Verstohlen schielte Lars zu Ute hinüber. Sie war auf dem Beifahrersitz eingeschlafen, während er seit Stunden den Wagen über die verregnete Autobahn Richtung Heimat fuhr. Er war froh, dass es nun endlich wieder nach Hause ging, auch wenn er sich sehr gefreut hatte, seine Eltern endlich wieder einmal zu sehen, so war ihm das Familienidyll auf Dauer doch sehr anstrengend erschienen über die Feiertage. Außerdem hatte er, abgesehen von den Spaziergängen, die er aber auch nicht immer alleine machen konnte, wenig Rückzugsmöglichkeiten gehabt. Zwar hatte er immer mal wieder ein oder zwei Stunden im Arbeitszimmer seines Vaters verschwinden können um dort zu lesen oder zu schreiben, aber es dauerte nie lange, bis irgendwer direkt oder indirekt wieder seine Anwesenheit bei der Familie forderte.
Insgesamt war zwar alles sehr nett und friedlich verlaufen und er war auch mit Ute irgendwie klargekommen, aber mehr eben auch nicht. Er wusste, dass man mit seiner Frau nicht "irgendwie klarkommen" sollte. Sie hatte ihn zu Tode gelangweilt. Selbst wenn das Gespräch um eigentlich spannende Themen ging, sobald die Sätze aus ihrem Mund kamen, ödeten sie ihn nur noch an. Sobald er an Charlotte dachte, empfand er Ute einfach als langweilig und ihre dauerhafte Gegenwart konnte er nur schwer ertragen, so lange war er ihr sonst selten ausgesetzt und er war sich sicherer denn je, dass dies einer der Grundpfeiler ihrer Ehe war.
Solange er die Gedanken an Charlotte verdrängte, ging es irgendwie, aber natürlich schaffte er es nicht immer. Soweit wie möglich hielt er sich aber in Schach, ansonsten hätte er den Aufenthalt bei seiner Familie nicht überstanden, ohne seinen Eltern den Eindruck zu vermitteln, er sei endgültig zum Miesepeter mutiert. Seine Mutter hatte ihn mehrfach angesprochen, warum er eigentlich so schlechte Laune habe und was er nur für ein Muffel geworden sei, das hatte es nicht besser gemacht.
Um nicht noch ein größerer Muffel zu werden, hatte er sich den Kontakt zu Charlotte über die tage verboten. Nicht nur, dass es sowieso riskant gewesen wäre, zumal das Wort Privatsphäre anscheinend bei seiner Familie nicht mehr existent war und ständig jemand reinkam, wenn man einmal fünf Minuten alleine sein wollte, es wäre auch ungeschickt gewesen, da er befürchtete, der Kontakt zu Charlotte hätten seine Aggressionen gegenüber Ute und ihrer Art nur noch weiter verstärkt. Er war sich sicher, er hätte sie niemals als so langweilig empfinden können, hätte er Charlotte nicht kennegelernt.

Er war sich allerdings genauso sicher, dass ihm Ärger mit Charlotte ins Haus stand. Nicht nur wegen seines langen Schweigens, das sie mit Sicherheit und berechtigterweise in Rage versetzt haben mochte, auch die Tatsache, dass er ihr versprochen hatte, die Trennung von Ute im neuen Jahr anzugehen würde neues Konfliktpotenzial bergen. Die Feiertage hatten ihm zwar erneut deutlich vor Augen geführt, dass er es mit Ute auf Dauer nicht aushalten konnte und der jetzige Zustand keine Lösung war, aber dennoch fühlte er sich aktuell noch nicht bereit, daran etwas zu ändern. Warum er diese Trägheit empfand oder was ihn davon abhielt, sich von Ute zu trennen, konnte er selbst nicht sagen, er hatte sich viele Gedanken darüber gemacht in den letzten Tagen, ohne jedoch zu einer Antwort gekommen zu sein.
Er hoffte einfach, es würde ihn von alleine überkommen, möglicherweise würde das nächste Treffen mit Charlotte ihn wieder mit Energie erfüllen, um den nächsten Schritt einzuleiten, schließlich hatte er sich nach den gemeinsamen Stunden in Paris zu allem bereit gefühlt. Dieses Gefühl, diese Energie musste zurückkehren, dann wäre alles ganz leicht. Hoffentlich hatte Charlotte ein wenig Geduld mit ihm und war nicht allzu enttäuscht, dass er sich kaum gemeldet hatte während der Tage. Er würde irgendeine gute Erklärung finden müssen. Immerhin hatte er ein, wie er fand, grandioses Weihnachtsgeschenk für sie, das sollte für Einiges entschädigen. Er war gespannt, was sie sagte.
Seine Mails hatte er in den letzten Tagen nicht abgefragt, er wusste nicht, ob sie sich bereits gemeldet hatte. Er hatte sich nicht getraut nachzusehen, einerseits aus der Sorge heraus Ute gegenüber noch ungehaltener zu werden, sollte es sich um eine erfreuliche Mail von Charlotte handeln, andererseits, um seine Übellaunigkeit nicht zu verstärken, sollte sie auf ihn eindreschen, weil er sich so lange nicht gemeldet hatte. 
Heute Abend, wenn er sich entspannt in sein Arbeitszimmer zurückziehen konnte, würde er nachsehen, ob und was für eine Mail ihn erwartete. Vielleicht war auch gar nichts da, per SMS hatte sie sich schließlich auch nicht gemeldet gehabt. Aber er hoffte, es würde etwas da sein, er vermisste sie, selbst wenn sie wütend sein sollte. Auch zur Furie mutiert war sie überaus reizend, während Ute selbst für einen gepflegten Streit noch zu langweilig war. Er sah wieder zu ihr hinüber. Sie schaute selbst im Schlaf noch verkniffen, fast ein wenig verhärmt. Seine Gedanken wanderten zurück zu Charlotte, die im Schlaf so unglaublich süß wirkte, wie ein kleines Mädchen, fast schon unschuldig. Er musste lächeln. Bald musste sie ihn wieder in Paris besuchen kommen, sein süßes Lottchen.

Ute war nicht nur langweilig, sie war auch spießig. Kaum waren sie zu Hause angekommen gewesen, war sie mit der gesamten Wäsche des Urlaubs in den Keller gestürmt, um die Waschmaschine anzuwerfen. Eigentlich hätte es ihn freuen sollen, früher hatte diese Art durchaus zu den Eigenschaften Utes gehört, die Lars besonders zu schätzen wusste, aber gerade nervte es ihn einfach nur unglaublich. Charlotte hätte die Wäsche Wäsche sein lassen und sich von der langen Fahrt bestimmt erstmal gemütlich mit einem guten Glas Rotwein mit ihm auf dem Sofa erholt. Nicht, dass er das Bedürfnis verspürte, sich mit Ute schon wieder auf irgendeinem Sofa niederzulassen und sich mit ihr zu unterhalten, das hatte er in den letzten anderthalb Wochen für seinen Geschmack sowieso schon viel zu häufig tun müssen, aber Utes Sturm der Waschmaschine war für ihn gerade eine weitere Wäscheklammer auf der Leine der Liebestöter, ein weiterer Sargnagel in ihrer Beziehung. Als sie endlich fertig gewesen war mit der bescheuerten Wäsche, war sie mit vorwurfsvoller Miene aus dem Keller getreten und hatte ihm erklärt, sie würde nun ins Bett gehen. Das Leiden Christi war nichts im Vergleich zu ihrem Anblick. Er fragte sich, ob ihr Blick vorwurfsvoll gewesen war oder ob er es sich nur eingebildet hatte. Sollte er vorwurfsvoll gewesen sein, war dies für ihn ein weiterer Punkt, der sein Unverständnis hervorrief. Was erwartete sie denn? Dass er ihr noch half, die Wäsche zu sortieren? Immerhin war er die ganze Strecke bei teils strömenden Regen gefahren, während sie auf dem Beifahrersitz die meiste Zeit geschlafen hatte.
Er ging in die Küche und entkorkte sich eine Flasche Rotwein. Die hatte er sich verdient. Und seine Nerven hatte sie mehr als nötig. Mit Flasche und Weinglas bewaffnet machte er sich auf den Weg ins Arbeitszimmer. Hoffentlich würde Charlotte dem Tag wenigstens ein gutes Ende bereiten, ansonsten musste der Wein herhalten.
Er las ihre Mail. Hätte schlimmer kommen können. Dafür, dass sie krank war, drang seiner Meinung nach noch ein gewisser Galgenhumor in ihrer Mail durch, was er so interpretierte, dass er sein Schweigen recht leicht wiedergutmachen konnte.



Betreff: Frohes Neues!!!
Vonn: L.Laslandes@koelnmail.de
An: Anne-P.De-Mon@hotmail.de
23:12 02.01.2013

Meine liebste Charlotte,

ich wünsche Dir von ganzem Herzen ein frohes neues Jahr und es tut mir leid zu hören, dass Dein Start eher bescheidener Natur war. Aber es klingt so, als wäre es eine kurze Sache, so dass ich hoffe, Du bist morgen bereits zu alter Frische zurückgekehrt.
Entschuldige mein langes Schweigen, es hatte keineswegs etwas mit Deinen Befürchtungen zu tun, so dass ich hoffe, Dein Brechreiz ist nun endgültig gestillt, wenn Du diese Zeilen liest. Im Gegenteil, mein Start ins neue Jahr war ebenso wenig beneidenswert wie Deiner. Es war zwar wunderschön, meine Eltern wiederzusehen, aber die lange Zeit in familiärer Umgebung, quasi gefangen, ist nichts für mich und hat mich fast wahnsinnig werden lassen. Ute hat mich zu Tode gelangweilt, ich konnte sie nicht mehr sehen, wirklich nicht, ich habe Dich so sehr vermisst. Entschuldige, dass Du Dir dennoch vernachlässigt vorkommen musstest, aber ich konnte mich nur schlecht melden, da ich unter diesen familiären Umständen kaum eine ruhige Minute genossen habe, was unsere Kommunikation natürlich erschwert hat. Außerdem hätte ich all das noch schwerer ertragen können, hätte ich ausführlicher mit Dir kommuniziert. Du kennst es ja, meine Liebe. Also bitte verzeih mir, ja?!

Wann können wir uns sehen? Ich möchte Dich gerne in meine Arme schließen und Dir persönlich ein frohes neues Jahr wünschen, bevor ich am Sonntagabend wieder nach Paris abreisen muss. Also bitte, sei wieder gesund und sag mir, wann Du es einrichten kannst in den nächsten Tagen, ich werde mich ganz nach Dir richten und es möglich machen.

Fühl Dich geküsst!

Kein Grund zu kotzen, mein vulgäres kleines Lottchen!

Dein Lars


Nachdem er die Mail abgeschickt hatte, sah er sich noch ein paar seiner Lieblingsfotos von Charlotte an und vergnügte sich dazu ein wenig, während er das dritte Glas Rotwein leerte. Danach ging er ins Bett, wo Ute bereits seit über einer Stunde tief und fest schlief.

3 Kommentare:

  1. Arme Lotte... vor lauter Übelkeit hat sie den Sprung ins neue Jahr nicht geschafft und befindet sich in einer Parallelwelt 2012 ;)

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    1. Haha mal abwarten, in welcher Welt sie landet, wenn die Übelkeit endlich verschwindet. ;)

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    2. Lol ich hab gerade kapiert, was du meintest, danke für den Hinweis, jetzt sind wir im richtigen Jahr angekommen. ;)

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